- Schreiben als Angsttherapie
Fabian Hischmann scheut sich nicht davor, sein Inneres offenzulegen. Das hat er mit der Hauptperson aus seinem Debütroman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ gemeinsam. Wer Hischmanns Pathos teilt, wird das Buch lieben
Das Haar liegt in sorgfältiger Unordnung. Immer wieder versucht Fabian Hischmann die braunen Strähnen zu richten. Vergeblich. Er trägt einen ausgewaschenen schwarzen Pulli und einen dünnen Schnurrbart. Die tiefen Ringe unter den Augen vervollständigen den lässigen Look. Der junge Schriftsteller blickt durch den Raum. Drei Viertel der Zuhörer in einer Bar in Berlin-Rixdorf gehören zu seinen Freunden. Sie wollen ihn aus seinem ersten Roman lesen hören.
Leise, fast sanft, fängt Hischmann an. Er hebt kaum die Stimme. Dennoch hören alle zu. Irgendwann beginnt er, schneller zu lesen. Die Stimme überschlägt sich, sein Gesicht läuft rot an. Doch Hischmann versucht nicht, seine Nervosität zu verstecken. Sie wird Teil der Vorstellung, sie verleiht ihm Charme. Beim Vorlesen erfahren die Zuhörer, dass auch Hischmanns Romanfiguren ihre Ängste vorführen. Hischmann treibt die Frage um, wie Menschen Angstgefühle verarbeiten.
Angst, Freunde und Familie zu brüskieren
Später erzählt Hischmann, er sei beim Vorlesen vor Aufregung beinahe gestorben. Normalerweise lindern bekannte Gesichter das Lampenfieber, bei Hischmann steigern sie die innere Unruhe. Er war gespannt auf die Reaktion seiner Freunde. Autobiografisches preiszugeben, sich von der Seele zu schreiben, tat ihm gut. „Aber ich hatte Angst, Freunde und Familie zu brüskieren", sagt Hischmann.
Zwei Jahre hat der Dreißigjährige an seinem ersten Roman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ geschrieben. Kindheit und Jugend in Donaueschingen dienten als Vorbild. Sein Handwerk lernte Hischmann während eines Literaturstudiums in Hildesheim und Leipzig. Heute lebt er im Berliner Stadtteil Neukölln. Sein Roman wurde von Kritik und Lesern gleichermaßen gefeiert. Er wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und hat dort den Publikumspreis gewonnen.
Publikumsliebling ist Hischmann, weil Situationen und Personen ihn rühren oder erschüttern können. Er scheut sich nicht, diese Emotionen vorzuführen. Diese Eigenschaft teilt Hischmann mit Max Flieger, dem Protagonisten seines Buches. Flieger ist 29 Jahre alt, ein junger Lehrer, der leidenschaftslos an einem Gymnasium in Bremen unterrichtet. Ein Schicksalsschlag lässt ihn zum Mann werden. Kindheitsfreunde aus seinem Geburtsort Königsburg, der stark an Donaueschingen erinnert, helfen ihm bei der Identitätsfindung.
Am liebsten lungert Flieger auf dem Sofa herum und schaut Tierfilme. Diese Passivität zieht sich durch den Roman. Der Schatten der eigenen Handlungsunfähigkeit verfolgt ihn vor allem während seiner Zeit als Au-pair in Amerika, kurz nach dem Abitur. Eines Abends spaziert er durch die Lower East Side in New York und sieht, wie ein Junge ein Mädchen brutal zusammenschlägt. Als der Junge Flieger bemerkt, zückt er ein riesiges Messer. Flieger steht nur regungslos da: „Dass ich mir in die Hosen pisste, war alles, was ich spürte.“ Augenblicke später rennt er davon. Das Erlebnis wird für ihn zum Trauma. Wird er später in seinem Leben mit Gewalt konfrontiert, empfindet Flieger eine Mischung aus Scham und Wut über seine damalige Ohnmacht.
Hischmann beschäftigt nicht nur in seinem Roman die Frage, wie sich Menschen in Gefahrensituationen verhalten. Die Frage treibt ihn um. Er wundert sich, wenn Leute ganz genau wissen, dass sie in bedrohlichen Situationen verantwortungsbewusst handeln würden. „Es ist unmöglich, seine Reaktion vorauszusehen“, sagt Hischmann. Viele Menschen würden schweigen, anstatt offen über ihre Hemmungen zu reden. Doch es sei dumm, Angstgefühle zu verstecken. Nur wer sie anspreche, kämpfe gegen sie.
Romanheld Flieger hadert mit der Angst vor dem Tod
Flieger hadert nicht nur mit seiner Angst vor der Handlungsunfähigkeit, sondern auch mit der Angst vor dem Tod. In fast leitmotivischer Form kommt das Wort „Peng!“ in dem Roman vor. Zunächst als Jagdschüsse im Schwarzwald, später dröhnt das „Peng!“ nur noch in Fliegers Kopf. Es scheint, als ob er eine tödliche Bedrohung voraussehen würde: Seine Eltern kommen bei einer Gasexplosion auf Kreta ums Leben.
Dieser Schicksalsschlag zwingt Flieger, seine Präferenzen neu zu definieren. Er kündigt seine Stelle als Lehrer. Seine Generation, die stoisch den sicheren Weg geht, will er hinter sich lassen. Flieger widmet sich seiner wirklichen Leidenschaft: dem Filmen von Tieren. Er holt seine eingestaubte Kamera aus dem Kinderzimmer. Endlich schaut er nicht mehr nur Tierfilme anderer. Im Schwarzwald filmt er Stare im Formationsflug. Es zieht ihn auch zurück nach Kreta. Dort sucht er nach Verstecken junger Steinadler.
Vor allem aber erfährt Flieger, wie wichtig es ihm ist, das Alleinsein zu bekämpfen, eng mit Menschen verbunden zu sein. So fordert er seine Kindheitsfreunde schließlich auf, mit ihm in das Haus seiner Eltern zu ziehen. Es werde häufig in das Buch hineingelesen, dass es sich hier um eine Hippiegemeinschaft handele, erzählt Hischmann. Ihn stört diese Interpretation. „Die Freundesgruppe um Flieger sind Leute wie Du und ich, die alle ihre Jobs haben, aber ihre wirkliche Erfüllung nur in engen Beziehungen finden.“
Die radikale, ungeschminkte Nähe zu Freunden gehört auch zu Hischmanns Leben. Er will mit ihnen seine Emotionen teilen, sich von ihnen mitreißen lassen oder auch heftig mit ihnen streiten. Das sei nur möglich, wenn man eine gewisse Bewunderung, ja fast Liebe für seine Freunde empfinde, erklärt er und sagt schließlich: „Ich bin in alle meine Freunde ein bisschen verliebt.“ Kein Wunder, dass sich Hischmanns Stimme in der Bar in Rixdorf überschlägt.
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