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Christian Wulff - Am eigenen Moralanspruch gescheitert

Christian Wulff ist nicht wegen juristischer Verfehlungen in die Kritik geraten. „Der gute Mensch von Osnabrück“ hat vielmehr seine eigenen Maßstäbe verfehlt, schreibt der langjährige Wulff-Beobachter Hugo Müller Vogg

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Es hat in diesem Land schon viele Politiker-Rücktritte wegen privater Fehler gegeben: Die Plagiatsfälle der Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan gehören ebenso dazu wie die „Traumreisen“ des einstigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth, die gesponserte Hochzeit des niedersächsischen Regierungschefs Gerhard Glogowski, die Badespaß-Eskapaden des frisch verliebten Verteidigungsministers Rudolf Scharping wie die Amigo-Connection des bayerischen Regenten Max Streibl.

Gleichwohl unterscheidet sich der Fall Wulff von all diesen anderen Fällen: Noch nie ist ein Politiker von den Medien so gnadenlos gejagt worden wie der ehemalige Bundespräsident, noch nie wurde ein Angehöriger der politischen Klasse im Zusammenspiel von Medien und Justiz auf offener Bühne quasi nackt ausgezogen, noch nie wurden intime Details bis hin zu Kontoauszügen im Licht der Scheinwerfer so ausgebreitet wie hier. Dass Christian Wulff sich bei der Auswahl seiner Freunde,  mit seiner Neigung zur Schnäppchenjagd und mit seiner Salami-Taktik bei der Aufklärung nicht strafbar gemacht hat, war absehbar. Seine „Schuld“ ist eher eine moralische – er ist seinen eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht geworden.

Wulff hatte sich der Moral verschrieben


Was heute gern vergessen wird: Christian Wulff sah sich sein ganzes politisches Leben lang als Gegenstück zu den vermeintlich macht- und geldgierigen Durchschnittspolitikern. Er bastelte am Bild des „guten Menschen von Osnabrück“, der seine Grundsätze nicht für eine Schlagzeile über Bord wirft. Der ideale Schwiegersohn wollte anders sein als all die anderen Machtpolitiker – ehrlicher, anständiger, moralischer.

Wahrscheinlich war die Empörung des fünfundzwanzigjährigen Nachwuchspolitikers durchaus echt, als die CDU/FDP-Koalition 1984 mit einer Amnestie in der Flick-Parteispenden-Affäre vor allem Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff vor einer Verurteilung bewahren wollte. Da bewies er Mut, als er sich auf dem Stuttgarter CDU-Parteitag gegen dieses Vorhaben stellte und den gesamten Bundesvorstand gegen sich aufbrachte. Der junge Rebell bekam damals keine Mehrheit, gewann aber Respekt. Zugleich dürfte er gelernt haben, dass „Politik und Moral“ durchaus ein Gewinner-Thema ist.

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Im Laufe der Jahre übernahm Wulff in der CDU die Rolle des Moralisten vom Dienst. Als der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Glogowski 1999 seine Hochzeit von Firmen sponsern ließ und die Hochzeitsreise ebenso, tat der Oppositionsführer Wulff, was jeder Oppositionsführer getan hätte: Er attackierte den Amtsinhaber kräftig. Aber er wählte einen besonders moralischen Ton und warnte davor, auch nur „den Anschein“ einer Vorteilsannahme zu erwecken.

Er wurde selbst zum Schnäppchenjäger


Dazu passt, dass Christian Wulff später seine Homepage mit einer Inschrift des Ingolstädter Rathauses zierte: „Weißt Du aus eigner Kraft, mit mutig stillem Wagen / dort ehrlich ja, hier ehrlich nein zu sagen, / gleich ob Dich alle loben oder keiner, / dann bist Du einer.“ Kein Wunder, dass Wulff zu den schärfsten Kritikern Helmut Kohls zählte, als dieser Ende 1999 wegen seiner schwarzen CDU-Kasse in Schwierigkeiten geriet. Er überlegte damals, sogar ganz aus der Politik auszusteigen, „weil ich nicht dabei sein wollte, wenn (…) Rechtsbruch vertuscht würde.“ Wegen der Fehler eines anderen ganz aus der Politik auszusteigen – so viel Moral war selten.

Als Bundespräsident war der Moralist Christian Wulff dann – jedenfalls formal – an der richtigen Stelle. In seinen Reden tauchte immer wieder die pathetische Forderung auf, „wer zur Elite eines Landes gehören will, muss auch Vorbildfunktion und Verantwortung übernehmen – ohne Wenn und Aber.“ Das verkündete er 2011 vor Gewerkschaftern wie vor Bankern. Bei einer Tagung von Nobelpreisträgern ging er im selben Jahr noch weiter: „Das Versagen der Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gemeinschaft“, klagte er dort. Und: „Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich eben auch nicht in eine abgehobene Parallelwelt verabschieden.“

Genau das aber hat Christian Wulff getan. Als er seiner zweiten Frau – trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten – etwas bieten wollte, wurde er zum Schnäppchenjäger – und seiner Vorbildfunktion als Mitglied der politischen Elite nicht mehr gerecht. Dafür hat er bitter gebüßt – auch ohne juristische Verurteilung.

Der Autor publizierte 2007 einen Gesprächsband mit Christian Wulff. Der Titel war ein Zitat des niedersächsischen Ministerpräsidenten: „Besser die Wahrheit“.

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