- Deutsche Außenpolitik braucht weniger Soldaten
Deutschland sollte sich in Afrika nicht ins nächste militärische Abenteuer stürzen, warnt der frühere Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walther Stützle. Die bisherigen Operationen haben wenig Positives bewirkt
Noch ist der verlorene Krieg in Afghanistan nicht beendet. Noch gibt es keine politische Bilanz aus dieser und allen anderen militärischen Interventionen, noch steckt die Bundeswehr tief in gewaltigen Umbau-Schmerzen – da ertönt bereits der Ruf, das militärische Engagement in Afrika auszuweiten. Nicht nur Mali, auch die vom islamisch-christlichen Krieg zerstörte Zentralafrikanische Republik soll gerettet werden. Beschwichtigend heißt es, dass der Einsatz sich auf die Hauptstadt Bangui und die Sicherung des dortigen Flughafens konzentriert.
So fing es auch in Afghanistan an. Nur Kabul und die Umgebung sollten gesichert werden. In sechs Monaten sollte alles geschafft sein. Daraus sind 13 Jahre geworden. Und man wird froh sein dürfen, wenn der höchst komplizierte Rückzug möglichst opferfrei gelingt.
Militärinterventionen haben Chaos erzeugt
Rund eine Milliarde Euro hat die EU zwischen 2007 und 2013 für die zivile Entwicklung in der Sahel-Zone ausgegeben – nahezu erfolglos. Nun sollen Soldaten es richten. Beschlossen ist eine EU-Mission. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass sie mehr Erfolg haben wird. Durch militärische Intervention erzwungene Regime-Wechsel wie im Irak oder in Libyen haben Chaos erzeugt, nicht Stabilität. Die Bewegungsfreiheit für Terrorgruppen ist größer geworden, nicht kleiner. Bagdad ist heute unsicherer als vor 13 Jahren.
Gescheitert ist auch der Versuch, mittels militärischer Unterstützung für gewaltbereite Oppositionsgruppen einen Systemwechsel herbeizuführen. Noch nie hat Syrien so bluten müssen wie heute im Bürgerkrieg. Und was lehrt uns das verlustreiche Umsturzbeispiel Ägypten? Zwei Präsidenten – Mubarak und Mursi – befinden sich in Haft. Alle Hoffnungen richten sich, wieder einmal, auf das allmächtige einheimische Militär. Doch nicht einmal die existenziell wichtige Finanzhilfe durch die USA hat bei den ägyptischen Machthabern Appetit auf demokratische Verhältnisse nach angelsächsischem Vorbild geweckt.
Weniger Truppen, mehr politische Konzepte
Fazit: Politische Bewegungen in Nordafrika und im Nahen Osten haben die mangelnde Fähigkeit von Akteuren gezeigt, Systemveränderungen zugunsten demokratisch legitimierter Machtausübung friedlich herbeizuführen. Weder die Europäische Union mit ihrer finanziell aufwendigen Nachbarschaftspolitik noch erfahrene ehemalige Kolonialmächte wie Großbritannien oder Frankreich haben diese Entwicklung vorausgesehen, geschweige denn zu beeinflussen vermocht.
Längst ist ein Politikwechsel gegenüber jenen Staaten überfällig, die unter Armut, Unsicherheit und Staatszerfall leiden. Und dieser Politikwechsel muss von der Europäischen Union beschlossen werden. Noch ist das vereinte Deutschland gerade in afrikanischen Augen unbelastet genug, um dazu den entscheidenden Impuls zu geben. Nicht mit Soldaten, sondern mit einem politischen Konzept. Geschieht das nicht, bleibt die vereinbarte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein leeres Versprechen.
Dreh- und Angelpunkt einer neuen Politik muss eine andere Erkenntnis sein: Veränderungen müssen zuallererst einheimische, nicht intervenierende Kräfte, herbeiführen. Am Ende muss eine gerechte Teilhabe am politischen Prozess und an der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes möglich sein. Wo der Zusammenhang von Eigenverantwortung für Frieden und Gerechtigkeit nicht akzeptiert wird, kann auch mit Hilfe von außen nichts dauerhaft Sinnvolles bewirkt werden. Wer die mühsam und schwerfällig geführten Toleranz-Gespräche zwischen Christen und Muslimen in einer so gefestigten Demokratie wie der bundesdeutschen vor Augen hat, wird nicht glauben können, dass Soldaten aus EU-Ländern einen Religionskrieg zwischen radikalen Islamisten und Christen in Afrika dauerhaft beilegen können.
Vielerorts ist vergessen, dass sich die damals noch nicht sehr erfahrene Bundeskanzlerin 2006 vom französischen Staatspräsidenten Chirac zur Mitintervention im Kongo verleiten ließ. Militärisch glimpflich ist die Operation ausgegangen, politisch gebessert aber hat sich bis heute nichts.
Deutschland muss endlich einsehen: Der wünschenswerte Wandel in postkolonialen Systemen zu rechtsstaatlich verfassten und demokratisch legitimierten Regierungssystemen kann nicht herbeigeschossen werden. Er muss sich entwickeln. Und dabei kann und muss die EU helfen.
Mehr Transparenz beim Rüstungsexport
Gegenwärtig sind zwölf zivile Missionen und vier militärische Operationen im Auftrag der EU im Einsatz. Diese Ziffern weisen auf Wichtiges hin: das zivile Gesicht der EU ist weitaus stärker als das militärische. Das ist die richtige Richtung. Es gibt Wichtigeres als immer neue kurzatmige Militärinterventionen: etwa, funktionierende und korruptionsresistente Justiz- und Polizeidienste aufzubauen, eine geordnete Gesetzesarbeit und eine transparente Kontrolle über die Ausbeutung einheimischer Bodenschätze zu entwickeln, vor allem aber politisches Führungspersonal durch politische Stiftungen auszubilden.
Deutsche Politik muss wieder offensiv dafür eintreten, dass zivile Krisenprävention Vorrang hat vor nacheilender militärischer Intervention. Der Verzicht auf verschwenderische Rüstungsausgaben wird von den Geberländern mit verstärkter Hilfe zur Selbsthilfe honoriert. Ein absolut restriktiver und vollkommen transparenter Rüstungsexport gehört zwingend zu diesem Politikwechsel.
Gewiss: Aus alledem folgt nicht, dass etwa auf die Hilfe beim Aufbau von Streitkräften gänzlich verzichtet werden könnte, auch vor Ort. Auch nicht, dass Interventionen aus humanitären Gründen gänzlich auszuschließen sind. Aber sie müssen die Ausnahme sein, nicht die Regel.
Über die bisher weit mehr als 100 weltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt es bislang keinen bilanzierenden Rechenschaftsbericht. Der Deutsche Bundestag sollte ihn anfordern und gründlich erörtern, bevor er neuen Einsätzen, etwa in Afrika, zustimmt.
Der Verfasser war von 1998 bis 2002 Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, ist Honorarprofessor an der Universität Potsdam und arbeitet als freier Publizist in Berlin.
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