- „Hass darf nicht schwerer wiegen als die Liebe”
Sein Schicksal erregte bundesweit Aufsehen: Harry Wörz wurde 13 Jahre lang zu Unrecht des Mordes beschuldigt. Cicero Online erzählt er, wie er sich seinen Lebensmut dennoch bewahrt hat und wie er heute zum Rechtsstaat steht
Cicero Online: Herr Wörz, Sie wurden 13 Jahre lang für eine Tat verdächtigt, die Sie nie begangen haben. Viereinhalb Jahre saßen Sie im Gefängnis. Erst 2010 wurden Sie endgültig freigesprochen. Wie geht es Ihnen heute?
Harry Wörz: Wie soll es mir nach solch einer langen Odyssee schon gehen? Bis heute leide ich unter Konzentrationsproblemen. Wenn ich etwa ein DIN-A 4-Blatt lese, habe ich bereits nach der Hälfte wieder vergessen, was da steht. Dafür sind mir die Akten immer präsent. Wenn Sie mich etwa fragen: Was steht im dritten Ordner auf Seite 177, kann ich Ihnen sagen: Da geht es um einen Beschluss der Staatsanwaltschaft. Aber was nützt mir dieses Wissen schon im Alltag?
Wie hat sich der Rechtsstaat Ihnen gegenüber im Nachhinein verhalten?
Das ist eigentlich der größte Skandal: Obwohl die Behörden über 13 Jahre lang nur geschlampt haben, bin ich heute derjenige, der den Staat verklagen muss, um an mein Geld zu kommen. Alles wird überprüft: Sogar Parktickets für die Verhandlungszeit am BGH in Höhe von vier oder sechs Euro muss ich nachreichen. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen.
Wem geben Sie die Schuld an diesem Justizirrtum?
Der Pforzheimer Polizei und der Staatsanwaltschaft. Die Polizei hatte damals die Akten gefälscht und die Staatsanwaltschaft hatte die Haupt- mit den Seitenakten vertauscht. So sind schließlich die falschen Akten an das Gericht geschickt worden. Das bedeutet: Als ich verurteilt worden bin, kannte das zuständige Gericht nicht einmal die vollständige Aktenlage!
Es hat sich niemand bei Ihnen entschuldigt?
Nein. Eine Entschuldigung gab es bislang nicht.
Sie haben Ihren Glauben an den Rechtsstaat komplett verloren?
Was den Glauben an Polizei und Staatsanwaltschaft angeht, auf jeden Fall. Es gibt sicher auch gute Staatsanwälte, die aber leider nicht in einem meiner Verfahren tätig waren.
Was muss sich ändern?
Das ist schwer zu sagen, ich bin kein Jurist. Es müsste aber dringend eine Instanz geben, die diese beiden Institutionen kontrolliert, damit solch eine Schlamperei wie in meinem Fall in Zukunft ausgeschlossen ist.
Wie haben Sie es geschafft, über diese lange Zeit Ihren Lebensmut nicht zu verlieren?
Ich habe immer versucht, meinen Hass auf das System durch die Liebe zu meinem Sohn im Gleichgewicht zu behalten. Denn der Hass sollte nie schwerer wiegen als die Liebe. Darauf habe ich immer geachtet.
Ihre Lebensgeschichte ist nun verfilmt worden und wird heute Abend in der ARD ausgestrahlt. Wie gefällt Ihnen das?
Gut.
Lesen Sie auch das Interview mit Wörz' Verteidiger Hubert Gorka.
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