- Das hätte Hitzlsperger nicht gewollt
Thomas Hitzlsperger hat mit seinem Coming-Out etwas bewirkt, was er eigentlich nicht wollte: Immer mehr Homophobe melden sich zu Wort, beobachtet der „Männer“-Chefredakteur David Berger. Ihre Argumentation ist nicht nur peinlich, sondern auch gefährlich
Viel entspannter werde man mit dem Thema Homosexualität in Zukunft umgehen. Es werde einen regelrechten Hitzlsperger-Effekt geben, ein Klima werde entstehen, das viele andere – vom Profifußballer über den katholischen Priester bis hin zum einfachen Jugendlichen – zum selbstbewussten Coming-Out motiviert. So die Prognose von Bundestrainer Joachim Löw kurz nach dem Coming-Out des Ex-Nationalspielers Hitzlsperger. Und in der Tat sah es tatsächlich kurzfristig nach einem entspannteren Umgang mit homosexuellen Menschen aus.
Doch inzwischen zeigt sich eine ganz andere Art des Hitzlsperger-Effekts. So haben etwa in Baden-Württemberg mehr als 150.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, die in Zukunft das vorurteilsfreie Reden auch über Homosexualität im Schulunterricht verhindern will. Unterstützt wird diese Aktion bezeichnenderweise von den beiden großen Kirchen, die gemeinsam eine der einflussreichsten Lobbys in Deutschland bilden. Eine ähnliche Diskussion beginnt derzeit im Land Thüringen, wo die FDP-Landesvizechefin Franka Hitzing im Landtag forderte, Randgruppenthemen wie Homosexualität nicht überzubewerten: Vor 20 Jahren habe man „dummes Schwein“ gesagt und nun heiße das halt „du Schwuler“.
Eine „inquisatorische Jagd"
Vor lauter Jubel über Hitzlsperger kaum in ihrer Gesamtheit wahrgenommen, konstituiert sich derzeit eine große Allianz der „Normalen“, die sich berufen fühlt, für den Erhalt des Heteronormativen zu kämpfen. Als wichtige Ideengeber präsentieren sich etwa – neben den üblichen Verdächtigen, die schon lange die deutschen Talkshows als Vorzeigehomophobe aufmischen – der Ex-Bundesminister Norbert Blüm, der Journalist Wolfgang Bok, der katholische Professor Gerhard Beestermöller oder der ehemalige Schauspieler Carles M. Huber.
Einige große Leitmotive lassen sich in der Argumentation dieser Leute ausmachen. Zum einen wird immer wieder auf den Minderheitenstatus homosexueller Menschen hingewiesen, nach dem Motto: Ihr seid so wenige und wir sind die Mehrheit. Dennoch bekommt ihr eine Aufmerksamkeit, von der wir nur träumen können!
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Diese große Aufmerksamkeit wird dadurch erklärt, dass Homosexuelle sich „wortgewaltig positionieren“, die ganze „Kultur und Modewelt“ unterwandert haben und mehr Geld als normale Bundesbürger besitzen. So habe man bewusst ein Klima in unserer Gesellschaft geschaffen, in dem die eigentlichen Opfer nicht die Homosexuellen seien, sondern Homo-Kritiker, die lediglich die Normalität beziehungsweise die menschliche Natur und die damit verbundene traditionelle Familie verteidigten. Der Berufskatholik Beestermöller spricht gar von einer „inquisitorischen Jagd“ auf jene, die sich erlauben, die Gleichwertigkeit von Homo- und Heterosexualität in Frage zu stellen; die zeigen, dass Homosexualität defizitär und deren Ausübung unmoralisch sei. Ihm „stockt“ gar der „Atem“ bei der Vorstellung, wie er nun von der Homo-Lobby wegen seines Plädoyers für eine gesunde Natürlichkeit zum Märtyrer gemacht werde. Wer sich ein wenig mit den Mechanismen von Diskriminierung auskennt, weiß, wie psychologisch geschickt hier Aversionen gegen das Andere geweckt und großgezüchtet werden.
Zunächst werden Vorurteile als nicht hinterfragbare Fakten präsentiert: Hier der Mythos vom reichen, einflussreichen, besser aussehenden, sich in Geheimbünden verschwörenden und die Schlüsselstellen der Macht unterwandernden Schwulen. Als Chefredakteur von Deutschlands größtem Schwulenmagazin, der die Homo-Welt ganz gut kennt, kann ich nur sagen: Schön wäre es, wenn da etwas dran wäre! Auf der Basis dieser Stereotype werden Neid und Angst provoziert. Beides die vielleicht wirkmächtigsten Motive menschlichen Handelns.
Diese Angst erreicht ihr peinlichstes, wohl selbst an Stammtischen nur noch Kopfschütteln erreichendes Niveau dort, wo Bok sich so sehr durch die zunehmende Gleichberechtigung der Homosexuellen bedrängt sieht, dass er Schutzräume für Heterosexuelle fordert. Denn: „Mann kann sich nicht mehr sicher sein, angefasst zu werden.“ Das Kalkulieren mit der Angst wird aber mit Hilfe der Selbst-Viktimisierung so weit getrieben, dass sie geeignet ist, in Aggression umzuschlagen: Wer sich so von den eigentlich minderwertigen Homosexuellen in die Enge getrieben, sexuell bedrängt, ja verfolgt sieht, der neigt natürlicherweise dazu, sich selbst zu verteidigen oder auch einmal zurückzuschlagen. Sehr überzeugend hat der Kultursoziologe Jonas Pfau im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gezeigt, wie Selbst-Viktimisierung Gewalt provoziert. Der Vergleich Boks von sich und den Seinen mit den Opfern des Nationalsozialismus ist daher nicht nur geschmacklos und perfide, er zeigt auch, wie Angst, Neid und Umkehr der Opfer-Täter-Relation zwar nach Pfau typisch, aber eben geeignet sind, das Denken auszuhebeln. Die Klaviatur menschlicher Motive, die Bok und die anderen hier geschickt bedienen, kennt man nämlich in gleicher Weise aus dem Antisemitismus.
Und hier ist der Vergleich nun wirklich angebracht. Es waren nämlich nicht die nationalsozialistischen Schwulenhasser, die neben Juden, Roma und Sinti, Sozialisten und anderen in den Konzentrationslagern hingeschlachtet wurden, sondern schwule Männer! Basis für diese Schwulenverfolgung durch die Nationalsozialisten waren eben jene Argumente, die heute Blüm, Bok und Beestermöller anführen, unterfüttert durch dieselben demagogischen, mit Neid, Angst und Selbstviktimisierung arbeitenden Verschwörungstheorien. Wie sehr diese Zusammenhänge gerade auch die größte Opfergruppe sieht, zeigt die Tatsache, dass das weltweit größte Mahnmal für die verfolgten Homosexuellen in Tel Aviv steht.
In einem Gespräch vor einigen Tagen mit Eran Lev, einem der Initiatoren des aus staatlichen Geldern finanzierten Mahnmals, fiel eine interessante Bemerkung, die auch den Ahnungslosesten unter uns vielleicht den Blick öffnen kann, für das, was da von Bok und den anderen öffentlich gesagt wird: „Man ersetze doch einmal in homophoben Aussagen das Wort Schwule durch Juden“ – das hieße dann in der Sprache Boks und der Seinen so: „Juden bekommen viel mehr Aufmerksamkeit als die Arier – und das, obwohl sie in ganz Deutschland prozentual nur eine solch kleine Gruppe bilden. Aber sie haben eben mehr Geld als der normale deutsche Arbeiter und geschickt die Welt der Medien und Kultur unterwandert. Wenn das so weitergeht, wird man sich noch dafür entschuldigen müssen, Nicht-Jude zu sein, man wird nicht einmal mehr sagen dürfen, dass das Jüdischsein gegenüber dem Arischen minderwertiger ist und dass diese lautstarke kleine Gruppe daher nicht erwarten kann, bis in die kleinsten Winkel hinein gleiche Rechte zu bekommen…“ Man möge entschuldigen, dass dieser Vergleich hier abgebrochen wurde: zu schmerzhaft ist das, was man hier noch schreiben müsste.
Immer noch gesetzlich benachteiligt
Liebe Kollegen Bok, Beestermöller und andere: Sie fordern zurecht Meinungsfreiheit. Aber das, was Sie da machen, hat mit Meinung nichts zu tun. Mit Freiheit schon gar nicht. Es ist schlicht bösartige Diffamierung von Menschen, die nur gemäß der Natur leben wollen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Eine Diffamierung, die sich vor einer Geschichte, in der ein eigener Paragraph (175) weit über den Nationalsozialismus hinaus eine Unzahl an Existenzen zerstört und Menschen zugrunde gerichtet hat, besonders unerträglich anhört. Sie vertreten Positionen, die mit psychologischen Mechanismen arbeiten, die Gewalt provozieren und Freiheit zerstören. Unsere offene Gesellschaft lebt davon, dass sie keine Toleranz gegenüber Intoleranz und Diffamierung duldet. Sie sind im Unrecht, wenn Sie Freiheit für sich einklagen!
Die Ihrer Meinung nach von Homosexuellen unterwanderten Medien geben Ihnen die Möglichkeit, Ihre Meinung offen zu sagen. Dort zelebrieren Sie sich als Opfer, in Wirklichkeit sind Sie aber Täter. Und müssen damit rechnen, dass wir Schwule und Lesben in aller Entschiedenheit gegen Positionen wie die Ihren kämpfen. Für uns selbst, für unsere Nachkommen und für unsere Brüder und Schwestern, die – unter dem Schutz Ihrer Ideen und Vorurteile – in Deutschland noch immer gesetzlich benachteiligt und teilweise auch gesellschaftlich diskriminiert, in einer Vielzahl anderer Länder, von Russland bis in den Iran durch die Straßen gehetzt, erpresst, verfolgt, niedergemetzelt oder an Baukränen aufgehängt werden.
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