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Kultur im Koalitionsvertrag - Linkes Banausentum

Der Koalitionsvertrag ist voll linker Kulturpolitik. Kultur soll „Kultur für alle“ sein. Aber wer Kunst und Kultur nur erträgt, wenn sie dem eigenen Weltbild zuarbeitet, hat erheblichen Anteil an der Banalisierung der Welt

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Noch immer gilt der Satz: Linke Kulturpolitik gibt es nicht. Die politische Linke hat keinen Begriff von Kultur, weil sie in ihr ein Mittel sieht zur Durchsetzung politischer Inhalte oder eines bestimmten Bewusstseins. In Zürich will die mehrheitlich linke Stadtregierung das angesehene Literaturmuseum im „Strauhof“ abwickeln. Dort soll allen Ernstes ein „Junges Literaturlabor“ für Kinder entstehen. Zeitgleich will der Intendant des Südwestrundfunks dessen Freiburger Orchester faktisch auflösen, was den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann wenig schmerzt. Laut Dirigent Michael Gielen finden die Grünen „das, was ein Orchester macht, elitär“. Und in Leipzig glänzt der Kulturdezernent von der Linkspartei „vor allem damit, dass er zum Beispiel Kulturkürzungen des Freistaates als problemlos bezeichnet“ – so der Theaterkritiker Matthias Weigel.

Dass der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU einen eher linken Geist atmet, zeigt sich an den Ausführungen zur Kultur. Ja, viel ist von ihr die Rede, erstaunlich viel – von „Kulturtourismus“ nämlich, von „Kultur- und Kreativwirtschaft“ und von „Aquakultur“, von „Willkommens- und Bleibe- und Anerkennungskultur“, von „nachhaltiger Mobilitätskultur“ auch. Wer derart viel begrifflichen Schindluder betreibt, sieht in dem kleinen Wort das Geschenkpapier für Interessenpolitik und Standortpflege. Eine Schleife auf dem Nichts ist diese „Kultur“. Und welche Kultur vertreten wohl Politiker, die schmerzfrei Sätze niederschreiben lassen können wie „Mit dem Programm 'Kultur macht stark' leisten wir einen Beitrag dazu, dass kulturelle Bildung in der Breite ankommt“? Wo war sie zuvor, die kulturelle Bildung, vor dem Zeitalter der Großen Koalition – in der Tiefe etwa oder in der Höhe oder in der Spitze? Gepriesen also sei nun die Breite.

Im Koalitionsvertrag wird wie in jedem linken Grundsatzdokument Kultur strikt funktional gedacht. Der Autonomiegedanke hat unter linken Vorzeichen nie wachsen können, Kultur ist hier immer ein „Um zu“, ein Werkzeug. Dass Kunst wie Kultur, um zu gedeihen, keine Zwecke haben dürfen außer vielleicht dem einen, vom Menschen Zeugnis abzulegen, ist der künftigen Regierung unbekannt. Auch die vornehmste menschliche Hervorbringung wird unter dem Stichwort „kulturelle Teilhabe“ auf das Niveau von Stadtteilfesten und Flohmärkten geschrumpft. Kultur soll „Kultur für alle“ sein – dabei ist wahre Kultur für sich da und schenkt die große Freiheit, an ihr vorbeizugehen oder sich inspirieren zu lassen. Die „Kultur für alle“ hingegen muss außerkulturellen Kriterien genügen. Geglückt ist Kultur künftig immer dann, wenn sie „Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit sowie interkulturelle Öffnung“ vorantreibt oder zumindest die „Potenziale des demografischen Wandels (…) aufzuzeigen“ vermag. So definiert man Staatskunst, Parteienkultur. CDU, SPD und CSU wollen es.

In arge Rechtfertigungsnöte geraten etwa Opernhäuser, Stadttheater, historische Bibliotheken, sofern sie nicht auch die sofortige Verwertbarkeit im staatsbürgerlichen Tagesgeschäft anzielen. Vielleicht mühen diese Institutionen sich deshalb so verzweifelt, so komisch um Losungen und Mottos aus der Grabbelkiste der Gegenwart. Das Nicht-Verzweckte, das eigentlich exakt den Raum von Kultur und Kunst definiert, wird suspekt. Es trage ja nichts bei zum gesellschaftlichen Fortschritt. Umgekehrt wird der berühmte Schuh draus: Wer Kunst und Kultur nur erträgt, wenn sie dem eigenen Posten oder dem eigenen Weltbild zuarbeiten, der ist ein Banause und hat erheblichen Anteil an der Banalisierung der Welt.

Ob es bei anderer politischen Mengenlehre anders wäre? Eine Garantie gibt es nicht. Wohl aber die Erfahrung, dass in einem Gesellschaftsbild, das den einzelnen zum nützlichen Teil einer Masse erziehen will, eben dieser einzelne wenig zählt. Nirgends aber ist der einzelne mehr herausgefordert als in der Produktion oder Rezeption von Kunst und Kultur. Darum soll es ihnen an den Kragen gehen.

 

 

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