- Käuflichen Sex konsequent legalisieren
Das Prostitutionsgesetz soll verschärft werden. Doch in der Debatte geht es vor allem um Moral. Tatsächlich ist das Gesetz nicht liberal genug. In einer freiheitlichen Gesellschaft sollte der bezahlte Sex zwischen Erwachsenen eine ganz normale Dienstleistung sein.
Der Konflikt um die Prostitution ist wohl so alt wie das Gewerbe selbst. In ihm spiegeln sich gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen ebenso wider, wie Erwartungshaltungen an die Rolle des Staates oder an die Fähigkeit der Individuen zur Selbstbestimmung. So ist es wenig überraschend, dass im gegenwärtigen Klima großflächiger staatlicher Einmischung in alle möglichen Lebensbereiche von der Kinderziehung bis zu unseren Ernährungsgewohnheiten auch der käufliche Sex mal wieder in den Fokus einer vordergründig wohlmeinenden Regulierungsdebatte geraten ist.
Ja, ein Job wie jeder andere war die Prostitution noch nie. Sie wurde immer bekämpft, geächtet, verboten oder zumindest stark reguliert. Lediglich die Begründungen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt: Mal hieß es, sie fördere die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, mal, sie zersetze die eheliche Moral usw. usw. Heutzutage, auch das ist nicht ganz neu, geht es vor allem darum, die Prostituierten vor sich selbst und vor „Menschenhandel und Zwangsprostitution“ zu schützen. Letzteres wird in aktuellen Debatte als wichtigste Begründung für eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes genannt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten ist die Prostitution hierzulande immerhin legal. Und für die Prostitutionsgegner – ganz vornweg die EMMA-Chefin Alice Schwarzer, die mit ihrem „Appell gegen Prostitution“ den Ton in der aktuellen Debatte vorgibt – liegt genau hier das Problem: die angebliche Liberalität der hiesigen Gesetzgebung habe Deutschland „zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel“ gemacht. Ein rechtsfreier Raum sei entstanden, dem man nur durch stärkere Kontrolle, Überwachung und Bestrafung wieder Herr werden könne.
Eindeutige Zahlen fehlen bislang
Die Polizei soll’s also richten! Aber ist der behauptete Zusammenhang von legaler Prostitution und Menschenhandel wirklich so eindeutig? Man weiß es nicht: genaue Zahlen fehlen ebenso, wie eine klare Definition, was unter Menschenhandel zu verstehen ist. Prostituiertenselbsthilfegruppen bemerken, dass Frauen in übergroßer Mehrheit freiwillig auf sogenannte „Schlepperbanden“ zurückgreifen, z. B. weil sich auf Grund der restriktiven Arbeits- und Einwanderungsgesetze ansonsten kaum legale Möglichkeiten der Einreise bieten. Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes sind die erfassten Fälle von „Menschenhandel“ zwischen 2000 und 2012 sogar um ca. 50 Prozent zurückgegangen.
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Solche Zweifel lassen die in der Regel aus privilegierten Kreisen stammenden Antiprostitutionskämpfer vom Schlage Alice Schwarzers nicht gelten – sie sehen sich als Anwälte der Opfer und Kämpfer gegen die Finsternis. Bei Prostituiertenselbsthilfegruppen handele es sich um gekaufte „LobbyistInnen“ und den Frauen in der Sexindustrie wird pauschal die Befähigung abgesprochen, rational über ihr Leben zu bestimmen. Sie hätten keine Wahl, heißt es. Ihr Lebenswandel sei oft durch frühe Missbrauchs- und Gewalterfahrungen mehr oder weniger vorbestimmt.
Hier unterscheiden sich die Argumente der heutigen Antiprostitutionskämpfer erstaunlicherweise kaum von denjenigen des späten 19. Jahrhunderts. Auch die selbsternannten „Abolitionisten“ (in Anlehnung an die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei), wie z. B. die Österreicherin Berta Pappenheim, sahen in Prostituierten unter Rückgriff auf die Sprache der damals noch jungen Psychoanalyse keine zurechnungsfähigen Subjekte sondern getriebene einer kranken Psyche. Der paternalistische Anspruch kleidet sich damals wie heute in psychologisierende Begrifflichkeiten.
Trotz aller Kritik an simplifizierenden und entmündigenden Opfermythen; viele Sexarbeiterinnen haben es tatsächlich schwer im Leben. Es gibt kriminellen Zwang und Ausbeutung. Im „Niedriglohnsektor“, in dem eine große Zahl der vor allem aus Osteuropa stammenden Prostituierten arbeitet, liegt mit zum Teil beschämender Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen vieles im Argen. Für viele Frauen wird die Prostitution zur biografischen Sackgasse. Mangelnde Bildung und Lebensperspektiven sind wichtige Faktoren für den Einstieg in die Sexindustrie.
Dass aber ausgerechnet die diskutierten Gängelungen und Repressionen gegenüber Prostituierten, Bordellbetreibern und Freiern helfen werden, diese Missstände zu beseitigen, darf bezweifelt werden.
Die Legalisierung der Prostitution kann die Arbeitsbedingungen verbessern
Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Selbstbestimmung für die Sexarbeiter erreicht man am ehesten durch die konsequente Legalisierung der Prostitution und die Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigkeiten, wie es etwa die Frankfurter Prostituierten-Selbsthilfeorganisation Doña Carmen fordert. Das Problem ist nicht die zu liberale Gesetzgebung hierzulande, sondern dass sie bei weitem noch nicht liberal genug ist!
Das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002 war bereits eine Mogelpackung, in der viele der heutigen Missstände und Grauzonen angelegt waren. Nach wie vor ist das Verdikt der „Sittenwidrigkeit“ im Zusammenhang mit Prostitution nicht vollständig abgeschafft, nach wie vor gibt es „Sperrgebiete“, nach wie vor ist der gewerberechtlich Status der Prostitution unklar und nach wie vor wird sie steuerrechtlich sowie sozialrechtlich diskriminiert.
Leider scheint es aktuell nur noch darum zu gehen, wie sehr die Gesetze verschärft werden sollen. Statt gesellschaftliche Vorurteile zu verfestigen, sollte der Staat bei der notwendigen gesetzlichen Regulierung der Prostitution jegliche moralische Wertung unterlassen. Für ihn hat der auf Bezahlung erfolgte einvernehmliche Sex zwischen zwei Erwachsenen als Dienstleistung zu gelten – sonst nichts. Bei Zwang und Gewalt kann das bestehende Strafrecht greifen. Wenn jemand die Prostitution als unmoralisch oder anstößig erachtet, kann er das gerne tun, aber in einer freiheitlichen Gesellschaft sollte das keine Frage der Gesetzgebung sein.
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