- Wenn Wunsch und Wirklichkeit koalieren
Jetzt wird es richtig hart: Längst nicht alles, was sich Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen vornehmen, wird zu bezahlen sein. Wie groß sind eigentlich die finanziellen Spielräume?
Der Verdacht kam den Parteivorsitzenden von Union und SPD schon nach den ersten Verhandlungsrunden. In den Fach-Arbeitsgruppen der künftigen Koalition verständigte man sich – mitunter nach kontroversen Debatten – darauf, was man in der kommenden Legislaturperiode alles machen will und lieferte am Ende Listen, in denen es nur so wimmelte von Ausgabewünschen. Auf 50 bis 60 Milliarden Euro summierten die sich letztlich – trotz des lautstarken Appells aller drei Parteichefs, nicht alles Wünschenswerte sei finanziell auch machbar. Jetzt wird es hart: Nun muss entschieden werden, welche Ausgabewünsche gestrichen werden. Denn nur ein Teil dessen, was wünschenswert wäre, wird auch finanziell machbar sein.
Anfang kommender Woche wird darüber entschieden.
Wie viel kann sich die künftige Regierung leisten?
Darauf gibt es keine konkret zu beziffernde Antwort. Zumal die Auffassungen der künftigen Koalitionspartner über die Grundbedingungen für das zur Verfügung stehende Budget nicht deckungsgleich sind. Zum Beispiel Steuern: Zunächst war die SPD der festen Auffassung, zur Finanzierung aller nötigen Zukunftsaufgaben (Kitaausbau, Verkehrsinvestitionen) müssten die Steuern angehoben werden. Die Union konterte: Wenn die Steuersätze steigen, schwächt das die Wirtschaft, und in der Summe sinken die Einnahmen. Für die Union steht also fest: Die Steuern dürfen nicht steigen. Es sieht so aus, als ob die SPD dies akzeptiert hätte. Zudem sind sich beide Seiten einig: keine neuen Schulden zur Finanzierung von Ausgaben.
Damit ist der Finanzspielraum aber noch nicht festgelegt. Denn die Renten-Zusatzwünsche berühren die Beiträge, die eigentlich Ende 2013 sinken müssten. Die Koalition könnte darauf verzichten und sich Spielräume verschaffen. Betrachtet man allein den Bundeshaushalt, so sind diese gar nicht klein. Ab 2015 – so die gegenwärtige Planung – erwirtschaftet der Bund nämlich Überschüsse. Bis 2017 sind das 15 Milliarden Euro. Eigentlich wollte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) damit die ersten Schulden des Bundes tilgen. Den Plan hat die Union aber längst aufgegeben. Zu den Überschüssen kommen noch rund 1,6 Milliarden Euro, die aus Sicht der Steuerschätzer entstehen könnten, weil die Konjunktur gut läuft. Zudem haben die Parteichefs die Möglichkeit, einzelne Wunsch-Zusatzausgaben an die Bedingung zu knüpfen, dass sie durch Sparsamkeit an anderer Stelle im jeweiligen Fachministerium „erwirtschaftet“ werden.
Welche von den geplanten zusätzlichen Ausgaben werden vermutlich überleben?
Im Rentenbereich dürfte die Einführung der Zusatzrente für Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, als gesichert gelten. Die Union wird darauf bestehen, wie die SPD auf dem Mindestlohn besteht. Auch bei der Erwerbsminderungsrente darf mit Verbesserungen gerechnet werden. Die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege rühmt sich überdies, dass ihr Verhandlungsergebnis unterm Strich fast nichts kostet. Ausgenommen die bis zu sechs Milliarden Euro teure Pflegereform: Sie wird über höhere Beiträge finanziert, wenn die Parteichefs ihr Plazet geben. Ansonsten gehen bei der Gesundheit nur drei Posten richtig ins Geld. Ein „Innovationsfonds“ für zusätzliche Versorgungsleistungen und Versorgungsforschung in Höhe von 300 Millionen Euro, den die Kassen mit 150 Millionen bezuschusst bekommen. Die geplante Förderung von Prävention, die nach allmählichem Aufwachsen im Jahr 2017 390 Millionen verschlingen soll. Und der Verzicht auf die Nutzenbewertung von Bestandsmedikamenten, durch den die gesetzliche Krankenversicherung im nächsten Jahr 65 Millionen und im Maximum 255 Millionen verliert.
Für die Weiterbildung von Allgemeinmedizinern sollen zudem 45 Millionen, für Kurzzeitpflege in den Kliniken 50 Millionen fließen. Im Gegenzug werden durch Herstellerrabatt und Fortsetzung des Preismoratoriums für neue Arzneimittel aber pro Jahr 700 Millionen Euro gespart. Und der geplante Fonds zum Umbau defizitärer Kliniken in Versorgungszentren und Altenheime, der eine halbe Milliarde schwer ist, wird komplett aus Reserven des Gesundheitsfonds bezahlt. Macht unterm Strich für 2017 ein Minus von 135 Millionen – und für 2014 sogar ein Plus von 375 Millionen Euro. Bei jährlichen Ausgaben von 200 Milliarden in der Krankenversicherung sei man mit Netto-Mehrausgaben von 135 Millionen im Jahr 2017 „mehr als moderat“, hieß es in der AG. „Da sind wir auch ein Stück stolz drauf.“ In welchem Umfang Bildungsausgaben und Investitionen in Verkehr und den Ausbau des Breitbandnetzes gesteigert werden, ist nicht klar. Sicher scheint hier nur: Es wird Investitionen geben, beide Partner haben das immer wieder betont.
Bei welchen Posten wird vermutlich der Rotstift angesetzt werden?
Ob die Union der Einführung einer abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren zustimmt und sich die Partner auf eine sogenannte Armutsrente verständigen können, ist zu bezweifeln. Hier könnte es sein, dass als Kompromiss lediglich eine Bemühenszusage gegeben wird.
Wer wird unter den Streichungen am meisten leiden – Union oder SPD?
Den Grad der Zufriedenheit mit dem Endergebnis, also dem Koalitionsvertrag, wird man nicht allein in Zahlen messen können. Die SPD hat in den vergangenen Tagen vor allem Bedingungen für die Zustimmung zur großen Koalition genannt, die nicht finanzwirksam sind – den Mindestlohn etwa, die Frauenquote oder Fortschritte bei der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Und die Union hat im Wahlkampf vor allem auf die Konsolidierung der Haushalte und die Abwehr von Steuererhöhungen gesetzt. Für sie wäre es bereits ein Erfolg, wenn diese beiden Punkte umgesetzt würden.
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