- Die Wiederbelebung des Bergdramas
Fünf Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung wird das utopische Naturdrama „Die Wand" mit Martina Gedeck verfilmt. Als Literaturverfilmung weist der Film Schwächen auf — weil Regisseur Pösler seinen Bildern zu wenig traut
Vielleicht lag es an der genialischen Einfachheit ihrer Romanidee, ausgeführt in angemessener Zurückhaltung, dass sie von ihren Zeitgenossen übersehen wurde wie der sprichwörtliche Wald vor lauter Bäumen: 1963 veröffentlichte die österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer ihren Roman «Die Wand», doch es dauerte bis in die Achtziger, bis er vor allem dank der feministischen Literaturkritik viele Leser fand.
lötzlich mangelte es nicht mehr an Interpreten dieses nüchtern formulierten Erfahrungsberichts einer Frau, die in einer Berglandschaft plötzlich feststellt, dass sie von einer durchsichtigen Wand eingeschlossen ist. Das Paar, bei dem sie zu Gast ist, kommt nicht mehr zurück, und die wenigen Menschen, die sie durch die gläserne Barriere ausmachen kann, stehen wie versteinert da.
Doch fast verstörender als diese irritierende Vision eines Fortlebens im Verschluss ist der Überlebensgeist der Protagonistin: Der Verlust der Menschen lähmt sie nicht und bekümmert sie wenig. Beinahe befreit bewältigt sie die Anforderungen ihrer Robinsonade, entwickelt enge Bindungen zu einem Hund, einer Katze und einer schwangeren Kuh.
Man kann sich fragen, wie wohl 1963 eine Verfilmung ausgesehen hätte: Die Idee hätte sich geradezu angeboten für das vom Existentialismus beeinflusste Kunstkino jener Zeit. So sachlich, wie Haushofer ihre rätselhafte Utopie entwickelt, hat man Bilder vor Augen, die aus den Filmen von Michelangelo Antonioni, Robert Bresson oder Alain Resnais stammen könnten.
Auch der junge Roman Polanski hätte mit dem Stoff gewiss etwas anfangen können: Sein Film «Ekel», nur zwei Jahre nach dem Roman entstanden, ist vielleicht das Ähnlichste, was das Kino Haushofers höchst eigenständiger Vision zur Seite gestellt hat: Der Lebensraum einer Frau wird darin zum Spiegel ihrer Innenwelt.
Endlich gibt es nun doch eine Verfilmung, und man staunt, wie sehr der österreichische Regisseur Julian Pölsler mit Haushofers modernistischem Zeitgeist bricht. Was ihn an ihrem Werk, das sie ironisch eine «Katzengeschichte» nannte, vor allem inspiriert, ist der Naturalismus.
Seite 2: Es wird zu viel vorgelesen
So hat er fast einen Naturfilm gedreht: Mit nicht weniger als sechs bekannten Kameraleuten erkundete er die passende Almlandschaft, das Salzkammergut, und sammelte Wald- und Bergpanoramen in jeder erdenklichen Lichtstimmung rund um die einzige Darstellerin Martina Gedeck.
Und tatsächlich: Im Verzicht auf jede Expression in Bild, Schnitt oder Musik kommt er dem Text besonders nahe. Und lässt uns ein noch älteres Filmgenre wieder entdecken, den Bergfilm: «Die Wand» ist vielleicht der erste Vertreter dieses einzigen urdeutschen Filmgenres seit den Tagen von Leni Riefenstahl und Luis Trenker. Nur in einem Punkt unterscheidet sich Pölsler von diesen Pionieren: Wo sie allein die Bilder sprechen ließen, wird in «Die Wand» fast ohne Unterbrechung vorgelesen.
Martina Gedeck, die allein durch ihre glaubhafte Präsenz aus den Naturbildern einen Spielfilm macht, ist eine bewährte Vorleserin. Dabei beschweren Text und Bild einander durch die Verdopplung ungemein. Es ist wie im Alten Testament: Was gesprochen wird, geschieht.
«Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: Einen glatten und kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft.» Nur, was er nicht darstellen kann, lässt der Regisseur weg. Und so entwickelt der Zuschauer diesem Film gegenüber ein ungesundes Misstrauen.
Was ist etwa mit dem Bach, der auf die unsichtbare Wand zufließt, müsste er sich nicht stauen? Im Roman wird genau beschrieben, wie die anschwellenden Wassermassen unter der Wand wieder abzufließen scheinen. Doch für diesen Effekt fehlte wohl das Geld, vielleicht scheute man auch den Griff in die Trickkiste.
Aber wäre es dann nicht klüger, überhaupt auf die Dopplungen von Bild und Text zu verzichten? Francois Truffaut sagte einmal, es gebe einen guten Grund, nur am Filmanfang einen Erzähler einzusetzen: «Zuerst zeige ich das selbe, was auch der Erzähler sagt. Das verleiht dem Geschehen eine besondere Glaubwürdigkeit, die auch dann noch wirkt, wenn ich mich vom Text wieder entferne.» So kann eine literarische Erzählstimme wunderbar in das Geschehen führen, doch dann sollten Bilder und Töne selbst sprechen.
Es ist schade, dass Julian Pölsler, der sein Handwerk bei Axel Corti, einem Meister der Literaturverfilmung, lernte, seinen Bildern das nicht zutraut.
Die Wand: Österreich/Deutschland 2012, Regie: Julian Pösler. Mit Martina Gedeck, 108 Minuten. Kinostart: 11.10.2012
Der Roman von Marlen Haushofer ist im List Verlag für knapp 9 Euro erhältlich.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.