- Darf Deutschland Daten kaufen?
Das Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland lässt auf sich warten – und Nordrhein-Westfalen kauft indes weiter Bank-Daten und erntet viel Kritik. Ist das Vorgehen vertretbar?
Das Land Nordrhein-Westfalen hat erneut CDs aus der Schweiz mit Daten von vermutlichen Steuersündern aufgekauft – und damit einmal mehr einen Konflikt mit dem Bundesfinanzministerium riskiert. Denn dort setzt man nach wie vor auf das Steuerabkommen mit der Schweiz, das aber noch nicht ratifiziert ist.
Wie lief der Deal?
Die Fahnder wurden schon ungeduldig. Seit Monaten hatten sie mit dem einen oder anderen Informanten verhandelt, die Daten durchleuchtet und auch die Preise gedrückt, aber sie kamen nicht voran; ihnen fehlte die entscheidende Unterschrift des Düsseldorfer Finanzministers.
Wegen der plötzlich bevorstehenden Landtagswahl im größten Bundesland zögerte Norbert Walter Borjans. Der Kassenwart hatte, wurden die Fahnder vertröstet, die Sorge, dass seine Zustimmung für den Kauf von weiteren Steuer CDs aus der Schweiz als plumpes Wahlkampfmanöver gewertet werden könnte. Die Ermittler brauchten aber die politische Rückendeckung von ganz oben, weil sie für die Daten über deutsche Steuersünder eine Menge Geld zahlen mussten.
Inzwischen ist die Wahl vorbei, der Sozialdemokrat Norbert Walter Borjans blieb Finanzminister und hat unmittelbar nach dem Urnengang grünes Licht für den Ankauf der vier verschiedenen Datenträger gegeben. Seither ziehen die Ermittlungen gegen deutsche Steuersünder immer größere Kreise, arbeiten inzwischen neben den beiden Oberfinanzdirektionen, die Steuerfahnder in weiten Teilen des Landes sowie die Staatsanwaltschaften in Bochum, Köln, Münster und Düsseldorf an den verschiedenen Fällen.
Die Liste der Banken, die steuerunwilligen Deutschen den Weg in die Schweiz geebnet haben, ist inzwischen weiter angewachsen, selbst der Branchenprimus UBS ist ins Visier der Fahnder geraten. Deren Sprecher versichert zwar, dass man die Daten geschützt habe und sich Kunden keine Sorgen machen müssten. Doch die Ermittler lächeln nur müde. „Wir haben hervorragendes Material“, schwärmt ein mit dem Fall betrauter Insider.
Was lässt sich das Land den Kauf kosten?
Seit der Landtagswahl hat das Land damit nach Informationen dieser Zeitung rund neun Millionen Euro für die vier verschiedenen Datenträger ausgegeben. „Wir geben keine Auskunft zu aktuellen Fällen“, versichert der Düsseldorfer Finanzminister, fügt dann aber ohne Zögern hinzu, „wenn wir interessantes Material haben, prüfen wir es genau.“ Weil seine Ermittler ihm glaubhaft versichert haben, dass sich die neun Millionen reichlich über künftige Steuereinnahmen verzinsen werden, hat er nicht gezögert, ihnen freie Hand zu gewähren.
Was haben die Ankäufe bisher eingebracht?
Schon mit den bisherigen fünf verschiedenen Datensätzen über deutsche Steuerflüchtlinge hat das Land hervorragend verdient: Seit Februar 2010 haben nach Angaben des Landesfinanzministeriums 6463 Selbstanzeigen schätzungsweise 300 Millionen Euro Mehreinnahmen in die Steuerkassen des Landes gespült. Hinzu kämen erhebliche Beträge aus mindestens 2000 Ermittlungsverfahren, die zu Steuerfestsetzungen geführt haben, sagte der Landeschef der Deutschen Steuergewerkschaft, Manfred Lehmann. Und schließlich haben sich die Schweizer Banken Credit Suisse und Julius Bär die Einstellung der gegen sie gerichteten Verfahren gut 200 Millionen Euro kosten lassen.
Alle Ankäufe werden im übrigen auf Arbeitsebene über das dem Bundesfinanzministerium unterstellte Bundeszentralamt für Steuern in Bonn koordiniert; auf diese Weise verhindert man, dass Informanten für die gleiche Ware mehrfach in unterschiedlichen Ländern Kasse machen.
Hebeln die Ankäufe das deutsch-schweizerische Steuerabkommen aus?
Dass die Datenkäufe als Sabotage des Steuerabkommens gewertet werden könnten, lässt Norbert Walter Borjans kalt. „Ich halte es für einen Akt von Steuergerechtigkeit, auch auf diese Weise gegen Steuersünder vorzugehen“, antwortet er auf entsprechende Fragen und listet die aus seiner Sicht bestehenden Schwachpunkte des Vertragswerks auf. „Wir würden die Rolle der Schweiz als Steueroase festschreiben“, zeigt sich der Sozialdemokrat überzeugt, „das Abkommen hat inakzeptable Defizite.“ Ihn stört zum Beispiel, dass die Steuerflüchtlinge bis Ende des laufenden Jahres Zeit hätten, ihr Kapital aus der Schweiz in andere Paradiese zu verlagern und der deutsche Fiskus danach leer ausgeht. In internen Handlungsanweisungen von Schweizer Banken, die inzwischen deutschen Fahndern bekannt sind, finden sich unter dem Titel „Sieben Wege ins Glück“ entsprechende Modelle, die die Fahnder hierzulande zur Weißglut treiben, weil sie genau darauf abzielen, wie man sich verhält, wenn der Bundesrat wider Erwarten doch noch zustimmen sollte.
Das Steuerabkommen sieht vor, deutsches Schwarzgeld in der Schweiz rückwirkend pauschal mit 21 bis 41 Prozent zu besteuern. Auf künftige Kapitalerträge sollen wie hierzulande gut 26 Prozent fällig werden. Der Kauf von CDs mit Daten von Steuerhinterziehern soll ein Ende haben. Gleichzeitig können deutsche Steuerbehörden innerhalb von zwei Jahren maximal 1300 Auskunftsersuchen an die Schweiz stellen.
Was das Bundesfinanzministerium dazu sagt
Wie reagiert man im Bundesfinanzministerium?
Im Berliner Ministerium hat die Nachricht aus Nordrhein-Westfalen massive Verärgerung ausgelöst. Staatssekretär Steffen Kampeter (CDU) warf der Regierung in Düsseldorf vor, „auf Datendiebstahl“ zu setzen und sich damit in eine politische und rechtliche Grauzone“ zu begeben. Zwischen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der SPD-geführten Landesregierung in Düsseldorf herrscht seit Monaten Streit wegen der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Schäuble hatte mit der Schweizer Regierung mühsam das Abkommen ausgehandelt, von dem er sich ab 2013 Einnahmen erhofft. Das Abkommen jedoch wird von den SPD-geführten Bundesländern mit der Begründung aufgehalten, es lasse die deutschen Steuerhinterzieher ungeschoren davonkommen.
Für Staatssekretär Kampeter ist der Ankauf der Steuersünder-CDs durch Nordrhein-Westfalen ein eindeutiger Fall, bei dem Düsseldorf nach dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ handelt. In Steuerfragen könne das aber nicht die Herangehensweise einer Landesregierung sein, sagt Kampeter. Er halte nichts von „Steuergerechtigkeit nach dem Zufallsprinzip“. Nur mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen sei es möglich, Steueransprüche in der Schweiz gleichmäßig und nachhaltig durchzusetzen. Ohne das Abkommen verjährten Jahr für Jahr Steueransprüche in Milliardenhöhe – das nutze nur den Steuerhinterziehern.
Es kommt ein Weiteres hinzu, was Schäubles Ministerium zunehmend auf die Palme bringt. Der Minister hatte mit den Ländern im vergangenen Jahr in einer „Verwaltungsvereinbarung“ festgeschrieben, welchen Weg man gemeinsam beschreiten will, wenn einem Ministerium solche Steuerhinterzieher-CDs angeboten werden. Erster Schritt: Das Angebot wird dem Bundesministerium angezeigt. Das haben die Nordrhein-Westfalen wohl auch in den aktuellen Fällen getan. Auf den zweiten Schritt allerdings, eine Stellungnahme des Bundesministeriums einzuholen, hat Düsseldorf verzichtet. Schäuble lehnt deshalb ab, wie vereinbart die Hälfte des Preises an den CD-Händler zu zahlen. Ungeachtet dessen steht dem Bund trotzdem ein großer Teil der „erbeuteten“ Summe zu, wenn ein Steuerhinterzieher ertappt wird.
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