- Der Papst, der Stuhl und die Satire
Der Vatikan geht gerichtlich gegen das Cover der aktuellen „Titanic“-Ausgabe vor. Darauf erregt ein gelber Fleck auf dem Papst-Gewand Aufsehen, der ironisch auf die Vatileaks-Affäre anspielt. Wie weit darf Satire gehen?
Die Papsteinsetzung im frühen Mittelalter hatte ein besonderes Zeremoniell. Nachdem der Papst gewählt worden war, wurde er „ehrenvoll“ zu einem Marmorsessel vor der Lateranbasilika in Rom geführt, der „Kot-Stuhl“ (sedes stercorata) genannt wurde. Auf diesem verweilte der neu gewählte Papst für einige Minuten. Warum? Sinn und Zweck war es, dass sich der neue Bischof von Rom symbolisch bewusst werden sollte, dass auch er nur aus Fleisch und Blut sei und die Notdurft verrichten müsse wie jeder andere Mensch auch.
Ob die Titanic-Redaktion diesen inzwischen nicht mehr praktizierten Brauch gekannt hat, als sie das aktuelle Cover entwarf, darf bezweifelt werden. Die nachgeholte Begründung, es handle sich bei dem gelben Fleck auf der Soutane lediglich um das Lieblingsgetränk des Papstes, Fanta, wirkt spätestens dann schal, wenn man die Rückseite sieht und sich fragt, ob der braune Fleck geschmolzene Schokolade sei, auf die sich der Papst versehentlich gesetzt hat.
Der Vatikan hat nun beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkt. Das Heft darf mit dem Titel vorläufig nicht weiter verbreitet werden. Der Papst sieht sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dies ist ein absolutes Recht, das jedem Menschen innewohnt und sich direkt aus der Menschenwürde ableitet.
Berührt das Cover die Menschenwürde Papst Benedikt XVI.? Steht demgegenüber nicht die Freiheit der Presse und Kunst? Satire darf zuspitzen, sie darf überzeichnen und an die Grenze des guten Geschmacks gehen. In manchen Situationen ist Satire die fast einzige Form, sich noch ernsthaft einem Thema zu nähern. Nämlich immer dann, wenn Hype und Hysterie jeden nüchternen Gedanken verdrängen. Man erinnere sich nur an die Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg.
Auf dem Cover erregt nun dieser ominöse gelbe Fleck auf dem Papst-Gewand Aufsehen. Der Untersatz „Undichte Stelle gefunden!“ spielt auf die seit Monaten andauernde „Vatileaks-Affäre“ an, in der Interna durch engste Mitarbeiter des Papstes an die Presse weitergeleitet worden sind. Nicht ganz ungewollt wird dieses sprachliche Bild umgesetzt in ein visuelles, das doch sehr an ein körperliches „Gebrechen“ im Alter erinnert. In der Affäre kristallisierte sich jedenfalls immer mehr heraus, dass Papst Benedikt XVI. zwar ein begnadeter Dogmatiker, dafür aber ein umso schwächerer Behördenleiter ist.
Diese Schwäche wird dem Papst in diesen Wochen tagtäglich vor Augen geführt. Und diese Schwäche übersetzt das Satiremagazin nun in ein Bild vom gebrechlichen alten Herrn. Sie stellt ihn bloß und verletzt damit seine Menschenwürde, tritt praktisch auf eine am Boden liegende Person ein.
Satire muss da aufhören, wo die Menschenwürde berührt wird. Ja, der Papst ist Stellvertreter Christi. Aber er ist auch ein Mensch; insofern ist das mittelalterliche Zeremoniell mit dem Marmorsessel durchaus sinnvoll gewesen. Es ist stets ein schmaler Grat zwischen noch zulässiger Satire und persönlichkeitsverletzender Überschreitungen. Dieses Mal hat die „Titanic“ die Grenze überschritten.
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