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Frédéric Sautereau

Nahost - Hamas – Sozialarbeiter mit Raketen

Seit 2007 herrscht die Hamas in Gaza, und seit 25 Jahren rufen ihre Führer zur Vernichtung Israels auf. Wer sind diese radikalen Palästinenser wirklich?

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Bazzi, Mohamad

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Was auch immer man von der Hamas halten mag, an einem kommt keiner vorbei: Die Hamas ist ein wichtiger politischer und sozialer Faktor in der palästinensischen Gesellschaft. Vor 25 Jahren als Ableger der Muslimbrüder gegründet, hat die Organisation heute viele Gesichter: ein sunnitisch-islamistisches, ein soziales und ein terroristisches. Vor allem aber ist Hamas eine Guerillabewegung, die im Geheimen wirkt, obwohl sie längst politische Macht erlangt hat.

Ob es einem gefällt oder nicht: Hamas vertritt einen erheblichen Teil der palästinensischen Bevölkerung. Ohne deren Beteiligung wird es daher zwischen Israel und den Palästinensern keine tragfähige Vereinbarung zur Beilegung des Konflikts geben. Israel aber lehnt direkte Gespräche ab mit dem Verweis, man verhandle nicht mit Terroristen, die Hamasführung wiederum sendet widersprüchliche Signale. Vor allem zeigt sie keinerlei Bereitschaft, die Vernichtung Israels aus ihrer Charta zu streichen. Im Gegenteil. Bei seinem Besuch im Dezember bekräftigte Hamas-Chef Chalid Maschaal: „Wir geben keinen Zoll von Palästina auf. Es wird islamisch und arabisch bleiben. Der Heilige Krieg und der bewaffnete Widerstand sind der einzige Weg. Wir können Israels Legitimität nicht anerkennen.“

Die Uneinigkeit innerhalb der Hamas hat ihren Ursprung in der Zersplitterung der Organisation: Es gibt einen politischen Flügel, der sich zum Teil im Exil und zum anderen Teil innerhalb der palästinensischen Gebiete befindet, und es gibt den militärischen Arm, die Al-Qassam-Brigaden. Jeder Flügel repräsentiert eine andere Strömung. Paradoxerweise verfügen die Führer im Exil, die zu den Hardlinern zählen, über den größten Einfluss.

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Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass die Exilführung in ihrer kompromisslosen Haltung – ideell und vor allem finanziell – tatkräftig von Syrien und Iran unterstützt wird. Das hat seinen Preis. Manches Mal hat Hamas Maßnahmen ergriffen, die den Interessen Syriens und Irans dienten, sicherlich aber nicht denen der Palästinenser. So sind die Raketenangriffe auf Israel, die der Iran als Erfolg im Kampf gegen das „zionistische Gebilde“ betrachtet und für deren Abwehr Israel enorme Militärinvestitionen aufwenden muss, sicherlich nicht im Interesse der Palästinenser, die schließlich den israelischen Gegenangriffen ausgesetzt sind.

Seite 2: Der Westen ist nicht ganz unschuldig

Die Führung in Gaza, die von der Außenwelt abgeschnitten ist, ist darauf angewiesen, dass die Exilanten Geld sammeln und dadurch das Überleben der Organisation sichern. Jene Exilführer, die in komfortablen Verhältnissen weit entfernt von Gaza und der Westbank leben, können es sich leisten, in ihrer Haltung unnachgiebig zu sein. Weder leben sie unter ganz gewöhnlichen Palästinensern noch müssen sie ihnen gegenüber Rechenschaft ablegen. Aus der Ferne lässt sich die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes mit allen Mitteln leicht fordern. Aber man täusche sich nicht: Auch wenn die Menschen in Gaza des tagtäglichen Kampfes müde geworden sein mögen, werden die Hardliner, angeführt von Chalid Maschaal, den Diskurs in Gaza auch weiterhin dominieren.

Der Westen ist an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Die USA und Europa haben durch ihre Politik der Isolierung indirekt dazu beigetragen, dass die Exilführung die Hamas auf Kosten der Führung innerhalb der palästinensischen Gebiete zu beherrschen begann. Vor der Übernahme Gazas durch die Hamas 2006 hatte der Westen die Chance, sich mit Hamasführern aus den Gebieten, etwa mit Ismail Hanija, dem heutigen Chef der Hamas in Gaza, auseinanderzusetzen und sie in ein Gespräch einzubinden. Israelis und Amerikaner ließen diese Gelegenheit verstreichen in der Annahme, die Palästinenser würden schon irgendwann die Regierung stürzen. Sie haben aber eins nicht bedacht: Solange Gaza abgesperrt bleibt, wird Hamas die Ächtung durch den Westen als Vorwand benutzen, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Wie aber sollen die Palästinenser je das politische Versagen der Hamas erkennen, solange sie nicht wirklich regieren kann? Statt die Palästinenser durch die Blockade gegen die Hamas aufzubringen, hat die Blockade die Menschen nur noch abhängiger von der Organisation gemacht. Als etwa Israel 2008 die Benzinversorgung in Gaza mehrfach eingeschränkt hatte, schlug Hamas sehr schnell Kapital daraus. Sie versah Polizeifahrzeuge mit Aufklebern, auf denen stand: „Wir sind bereit, Sie kostenlos zu fahren“, und setzte die Wagen als öffentliche Verkehrsmittel ein.

In den Achtzigern glaubte man, dass die Palästinenser den Konflikt eines Tages schon leid sein und eine Alternative zu Jassir Arafat und seiner PLO finden würden. Die Alternative war noch militanter und noch kompromissloser: die Hamas. Es ist ihr in den 25 Jahren ihres Bestehens gelungen, sich als Alternative zu der korrupten, ineffizienten und größtenteils diskreditierten PLO-Führung zu positionieren. Sollte die Hamas weiterhin isoliert bleiben, dann besteht heute die Gefahr, dass eine noch tödlichere Kraft in den palästinensischen Gebieten entsteht: radikal-islamistisch motiviert oder von Al Qaida inspiriert. Sollte es dem Westen daher nicht gelingen, sich mit der Hamas konstruktiv auseinanderzusetzen, wird das erneut den Radikalen helfen.

Mohamad Bazzi ist Adjunct Senior Fellow for Middle Eastern Studies beim Council on Foreign Relations und Professor für Journalistik an der New York University.

 

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