- Putins neue DDR
Heute beginnt der G20-Gipfel in Sankt Petersburg. Unter Putin hat sich Russland von europäischen Werten entfernt. Daher ist es an der Zeit, mit der Schönfärberei in den EU-Russland-Beziehungen aufzuhören
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Print-Ausgabe von Cicero (August), die Sie in unserem Online-Shop kaufen können
Die lang gehegte Hoffnung auf demokratische Fortschritte in Russland hat sich als falsch erwiesen. Anstatt die Zügel der „gelenkten Demokratie“ zu lockern, hat sich Putin III. offenbar vorgenommen, die Opposition an und in Ketten zu legen. Die ohnehin schwache Zivilgesellschaft wird drangsaliert, eingeschüchtert und zerschlagen. Reaktionäre, nationalistische und erzkonservative Bestrebungen sind auf dem Vormarsch. Auch durch die von Putin betriebene Volksfront und die Aufwertung der Kirche als Stütze des Staates. Die Unterdrückung Homosexueller oder die gnadenlose Bestrafung der Punkband Pussy Riot sind dafür Beispiele.
Das politische System gleicht immer mehr der DDR, mit der Putin gut vertraut war: ein unumschränkter Bestimmer an der Spitze, gestützt auf ein Scheinparlament, einen alles beherrschenden Geheimdienst, einer Nationalen Front mit Marionettenparteien und einer vom Staat dirigierten und monopolisierten Volkswirtschaft. Hinzu kommen sowjetische Versatzstücke und eine systemische Korruption.
Putin reagiert mit Härte auf alles, was ihm bedrohlich erscheint
Putins rigoroses und paranoid anmutendes Vorgehen gegen die Opposition hat auch persönliche Gründe. Glasnost und Perestroika hat Putin nur aus der Ferne erlebt. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems war für ihn „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Den Fall der Mauer, dem Massenproteste gegen Wahlfälschung, Mangelwirtschaft und Unterdrückung vorausgingen, hat er als KGB-Agent in Dresden dagegen hautnah mitbekommen. Insbesondere den Sturm auf die Stasi-Zentrale. Eine Besetzung der KGB-Niederlassung hat er mit gezogener Waffe verhindert. Vermutlich hat dieses „Erfolgserlebnis“ ihn darin bestärkt, entschlossen und mit Härte auf alles zu reagieren, was ihm bedrohlich erscheint. Die „Orangene Revolution“ in der Ukraine hat ihm das abermals vor Augen geführt und seine Allergie gegen jedwede Opposition verstärkt. Und Alexander Lukaschenko hat ihm in Weißrussland bestätigt, wie der Protest durch brutales Vorgehen im Keim erstickt werden kann.
So hat die durch Wahlfälschung entstandene Duma im Schnelldurchlauf eine Reihe von Gesetzen gegen die Zivilgesellschaft beschlossen. Darunter eines, das Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die vom Ausland finanziell unterstützt werden, zwingt, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Putin selbst hat vor dem Inlandsgeheimdienst darauf bestanden, dass es rigoros umgesetzt wird. Es folgten Razzien und Geldstrafen, die Liste der Verdächtigten wird immer länger, bis hin zum renommierten Lewada-Institut, dessen Umfragen dem autokratischen Präsidenten nicht gefallen. Zwar ist es Putin gelungen, dem unbedarften WDR-Chefredakteur vorzugaukeln, das sei völlig normal und würde einem Gesetz der USA entsprechen. Aber während das 1938 in Amerika der Abwehr faschistischer Propaganda diente, erinnert das russische NGO-Gesetz fatal an die Zeit, als die meist durch Folter erzwungene Selbstbezichtigung als „ausländischer Agent“ das Todesurteil der stalinistischen Tribunale begründete.
Erneut wird das Feindbild „Westen“ aufpoliert. In nostalgischer Verklärung taucht der Traum einer omnipotenten Großmacht wieder auf, die den USA Paroli bieten kann. Auch das europäisch-russische Verhältnis ist in einer schweren Krise. Vom Wandel durch Handel ist bestenfalls der Handel übrig geblieben. Ein Begriff wie „Modernisierungspartnerschaft“ verschleiert die Realität, da er den Sachverhalt nur imitiert. Zudem vermittelt er ein schräges Bild, denn die Europäische Union muss sich im Verhältnis zu Russland nicht modernisieren, während der Kreml diesen Anspruch nicht erfüllt.
Eine „strategische Partnerschaft“ ohne gemeinsame Ziele und Werte kann es jedoch nicht geben. Schon gar nicht, wenn Europa immer stärker in Putins Fadenkreuz gerät. Der Friedensnobelpreisträger EU darf nicht zulassen, dass seine Partner, die Projektgelder einwerben, als Agenten diffamiert werden und die EU damit im Verdacht steht, ein Spionage- und Subversionsnetz zu unterhalten. Gerade jetzt gilt es, liberale Parteien und Initiativen zu unterstützen, die sich einer Rückkehr der Diktatur widersetzen. In vielen Fragen ist Europa ihr Vorbild, das die russischen Bürger durch visafreien Reiseverkehr jederzeit erreichen sollten. Allerdings dürfen wir Beamten, die an Repressionen beteiligt sind, kein Privileg einräumen. Ihnen muss die Einreise verwehrt werden.
Allein durch den anhaltenden Protest im Land wird ein von Massenunruhen infizierter Putin seine Linie des harten Durchgreifens nicht ändern. Es sei denn, die EU macht ihm deutlich, dass seine Politik weder Stabilität noch Modernisierung, sondern eine Selbstisolation Russlands bewirkt.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.