- USA und Großbritannien rüsten zum Angriff
Eine Militäraktion gegen das syrische Regime steht möglicherweise kurz bevor. Was ist von der Aktion zu erwarten? Ein Militärschlag in Nahost könnte das Pulverfass endgültig entzünden. In Israel bereitet sich die Bevölkerung bereits auf das Schlimmste vor
Der amerikanische Fernsehsender NBC berichtete am Mittwoch, ein Angriff auf syrische Stellungen könnte bereits heute erfolgen. In London wird das Unterhaus über eine Reaktion auf den vermuteten Giftgaseinsatz in Syrien abstimmen. Es wird auch dort davon ausgegangen, dass ein Militärschlag kurz bevorsteht.
Was kann ein Militärschlag bringen?
Wie die „New York Times“ unter Berufung auf amerikanische Offizielle berichtet, soll die geplante Militäraktion das syrische Regime davon abhalten, erneut Chemiewaffen einzusetzen. Ein „Regimewechsel“ soll aber nicht herbeigebombt werden. Demnach plant Washington mit Raketenangriffen auf knapp 50 Ziele in Syrien, darunter militärische Kommandozentralen oder Flugeinheiten.
Deutsche Regierungspolitiker vermeiden es bisher meist, sich klar zu einem Militärschlag zu äußern, fordern aber „Konsequenzen“, sollte sich der Verdacht auf einen Chemiewaffeneinsatz erhärten. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, berät Bundestag und Bundesregierung in außenpolitischen Fragen und hält es für sehr wichtig, dass Deutschland jetzt „die politische Unterstützung für USA, Großbritannien und Frankreich nicht verweigert“. Zugleich sollte Deutschland der russischen und der iranischen Regierung vermitteln, dass es nicht um den Sturz Assads, sondern darum geht, „den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen“. Zum einen, damit Syriens Präsident Baschar al Assad nicht glaubt, sich nur noch in den eigenen Untergang stürzen zu können und sein Volk mitreißt. Zum anderen, weil eine geschlossene Haltung des UN-Sicherheitsrats sogar noch einen Militärschlag verhindern könnte. Dazu aber müsste Russland sehr kurzfristig davon überzeugt werden, Assad nicht weiter zu unterstützen.
Wie stark ist das Regime militärisch?
Über die militärische Stärke Syriens herrscht keine absolute Gewissheit. Die syrischen Streitkräfte zählen eigentlich zu den stärksten im Nahen Osten, doch im Bürgerkrieg, der seit 2011 herrscht, wurden sie stark dezimiert. Das Internationale Institut für Strategische Studien in London (IISS) schätzt laut Nachrichtenagentur AFP, dass sich die Kapazitäten von etwa 178 000 Soldaten zu Beginn des Konflikts durch Verluste, Überläufe und Desertationen etwa halbiert haben. Allerdings gab es laut IISS 2009 noch etwa 108 000 paramilitärische Kämpfer, die Assad unterstützten. Wie viele von ihnen heute noch gegen die Rebellen kämpfen ist unbekannt. Die Ausrüstung der Soldaten stammt zum Großteil aus Russland oder sogar noch aus der Sowjetunion.
Es wird zudem vermutet, dass Syrien über eines der am weitesten entwickelten Systeme für chemische Kriegsführung im arabischen Raum verfügt. Chemische Waffen werden an mehreren Standpunkten in Syrien entwickelt und produziert, darunter Senfgas, Sarin und VX Nervengas. Technische Unterstützung soll das Regime dabei aus dem Iran erhalten haben. Die Armee verfügt laut Informationen der Organisation „Nuclear Threat Initiative“ über eins der größten Arsenale an ballistischen Kurzstreckenraketen (Flugweite bis zu 700 Kilometer) der gesamten Region. Das IISS schätzt, dass nicht alle der etwa noch 365 Kampfjets wirklich einsatzfähig sind. Die Luftabwehr sei von den Kämpfen vermutlich am stärksten geschwächt.
Was ist zu erwarten, wenn sich die Assad-Regierung wehrt?
Assad hat gedroht, sich bei einem Angriff mit allen Mitteln zu verteidigen. Was davon zu halten ist, kann man schwer sagen. Man sollte den Diktator auf jeden Fall ernst nehmen, rät Perthes, ihm aber gleichwohl „keine Selbstmordabsichten unterstellen“. Schwer kalkulierbare Faktoren in der Region sind der Iran und sein radikaler ideologischer Ableger im Libanon, die schiitische Hisbollah. Über 2000 Elitekämpfer aus ihren Reihen kämpfen seit Monaten an der Seite der Truppen von Assad in Syrien. Ihre Kommandostrukturen sind mit den Revolutionären Garden verknüpft, die dem Obersten Revolutionsführer Ali Khamenei unterstehen und deren Führung zuletzt scharf vor einer militärischen Intervention warnte. Solche Angriffe würden den gesamten Nahen und Mittleren Osten in einen Feuerball verwandeln. Ob diese Drohgebärden jedoch automatisch bedeuten, dass die Hisbollah von libanesischem Boden aus Israel oder US-Kampfschiffe vor der syrischen Küste mit Raketen unter Feuer nimmt, ist zweifelhaft. Die Hisbollah steht bereits im Libanon unter wachsendem Druck radikaler sunnitischer Gegner. In großen Teilen der arabischen Welt, ja selbst daheim bei den libanesischen Schiiten, ist die radikale Schiitenorganisation wegen ihrer Kampfgemeinschaft mit Assad in Verruf geraten.
In Israel ist man auf alles gefasst, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Dass der jüdische Staat ein potenzielles Ziel möglicher Vergeltungsschläge des Assad-Regimes sein könnte, stellen weder Regierungsvertreter noch Militärs infrage. Nur ernsthaft mag keiner so recht glauben, dass der Machthaber in Damaskus eine derartige Dummheit begeht. Denn würde er angreifen, dürfte das nach israelischer Lesart sein politisches Ende zur Folge haben. Weil Jerusalem fest dazu entschlossen wäre, mit aller Macht gegen Assad vorzugehen. Der Weg nach Damaskus ist für israelische Kampfflugzeuge nicht weit. Dennoch setzt Premier Benjamin Netanjahu auf Nummer sicher. Die Armee hat am Mittwoch eine Teil-Mobilmachung der Reservisten angeordnet. Das Raketenabwehrsystem „Eiserne Kuppel“ ist in Stellung gebracht worden. So richtig beruhigen können diese Abwehrmaßnahmen die Bevölkerung allerdings offenbar nicht. Die Menschen decken sich derzeit mit Gasmasken ein. Vorsichtshalber.
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