- Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz?
Frage des Tages: Der Vorwurf wiegt schwer. Ein hessischer Verfassungsschützer könnte in einen Mord des Neonazi-Trios verstrickt sein. Parallel zu den Ermittlungen wird ein erneutes NPD-Verbotsverfahren diskutiert
Der Vorwurf wiegt schwer. Ein hessischer Verfassungsschützer könnte in einen Mord des Neonazi-Trios verstrickt sein, heißt es in verschiedenen Zeitungen. Eine direkte Verwicklung des Verfassungsschutzes ist bislang aber nicht witklich zu erkennen. Es gibt keine substanziellen Hinweise, dass ein Mitglied des Trios oder mehrere Mitglieder vom Verfassungsschutz als Spitzel geführt wurden. Ein anderer schwerwiegender Verdacht, den einige Zeitungen äußerten, bleibt offen. Ein hessischer Ex-Verfassungsschützer soll in einen Mord der Serie von Attentaten auf türkischstämmige Männer und einen Griechen verstrickt sein.
Die Staatsanwaltschaft Kassel, die in dem Fall vor fünf Jahren ermittelte und das Verfahren dann einstellte, sieht zwar keinen Anlass für neuen Verdacht. „Alles, was damals an Erkenntnissen da war, wurde ausgeschöpft“, sagte am Dienstag der Sprecher der Behörde, Götz Wied. Doch nach Informationen des Berliner Tagesspiegels war der Verfassungsschützer in seiner Jugend rechtsextrem und wurde in seinem Ort „der kleine Adolf“ genannt. In Sicherheitskreisen hieß es, der Mann sei mehrfach überprüft worden, ohne dass ein Hinweis auf eine weiter bestehende bräunliche Gesinnung entdeckt wurde.
Bleibt aber die Frage, was der Verfassungsschützer am Tag des Mordes, dem 6. April 2006, am Tatort, einem Internetcafé in Kassel, zu suchen hatte. Der Beamte chattete nach Tagesspiegel-Informationen mit seiner Geliebten, zu Hause saß seine schwangere Frau. Da erschienen mutmaßlich die beiden Männer des Jenaer Neonazi-Trios, Uwe M. und Uwe B., und erschossen den deutschtürkischen Betreiber des Internetcafés, den 21-jährigen Halit Yozgat. Es war der letzte Mord in der Anschlagsserie auf die türkischstämmigen Männer und den Griechen.
Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten alle Personen, die sich ungefähr zur Tatzeit in dem Lokal aufgehalten hatten. Fast alle Zeugen machten auch eine Aussage, nur der Verfassungsschützer meldete sich nicht. Die Polizei holte ihn ab, er wurde im Polizeipräsidium vernommen und konnte am nächsten Abend wieder gehen. Auch die weiteren Ermittlungen ergaben keinen Hinweise, der Verfassungsschützer könnte mit den Todesschützen in Verbindung gestanden haben. Und die Waffen, die der Mann in seiner Wohnung lagerte, waren registriert. Staatsanwalt Wied betonte, es gebe auch keine Anhaltspunkte für das Gerücht, der Verfassungsschützer habe sich an sechs Tatorten der Attentatsserie aufgehalten.
Wofür braucht der Verfassungsschutz
V-Leute?
Der Verfassungsschutz ist auf V-Leute angewiesen, um aus
extremistischen Szenen heraus regelmäßig Informationen zu bekommen.
Andere Methoden, zum Beispiel Telefonüberwachung, muss sich der
Nachrichtendienst erst genehmigen lassen. Bei den V-Leuten handelt
es sich um Extremisten, die vom Verfassungsschutz gezielt
angesprochen werden, manchmal auch in der Haft. Den potenziellen
Spitzeln wird Geld angeboten oder Hilfe, beispielsweise einen
Führerschein wiederzubekommen. Lässt sich ein Extremist auf die
Zusammenarbeit ein, wird er von einem V-Mann-Führer betreut. Bei
den Treffen mit dem Beamten erzählt der spitzelnde Neonazi oder
Islamist oder Autonome, welche Aktionen in seinem Milieu geplant
werden. V-Leute sind nicht identisch mit eingeschleusten Agenten.
Diese sind Beamte einer Sicherheitsbehörde, die getarnt
Informationen beschaffen.
Wie viele V-Leute die 17 Verfassungsschutzbehörden führen, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Der Nachrichtendienst muss allerdings den Parlamentarischen Kontrollkommissionen der Landtage und dem Kontrollgremium des Bundestages Auskunft über geheime Aktionen geben. Jede Verfassungsschutzbehörde hat nur eine Liste der eigenen V-Leute. Ein zentrales Register ist nicht bekannt.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Chance ein NPD-Verbotsverfahren hätte und welche Kompetenzen die V-Leute haben.
Was dürfen V-Leute?
Die Beteiligung an Straftaten ist nicht erlaubt. Das ist allerdings
für V-Leute oft schwer durchzuhalten. Halten sie sich von
kriminellen Aktivitäten fern, erregen sie in der Szene Misstrauen.
Beteiligen sich V-Leute dann doch an Delikten, wird es für den
Verfassungsschutz schnell heikel. Häufig bricht der
Verfassungsschutz dann den Kontakt ab.
Wie verhält sich die NPD zu den Taten des
Mord-Trios?
Der neue NPD-Vorsitzende Holger Apfel hat sich am Montag in
brachialem Ton von dem „Zwickauer Killer-Trio“ distanziert. Wer
angesichts der „Bestialität“ der Täter auch nur ansatzweise auf die
Idee komme, dies könne im Sinne der NPD sein, „ist entweder
unzurechnungsfähig oder agiert aus durchsichtigem politischem
Interesse“, verkündete Apfel im Internet. Es folgten die
erwartbaren Attacken auf den in der NPD verhassten
Verfassungsschutz.
Welche Chancen hätte ein erneutes NPD-
Verbotsverfahren?
Im März 2003 stellte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
das Verfahren ein, das Regierung, Bundestag und Bundesrat
angestrengt hatten. Drei Richter meinten, mit den V-Leuten in der
Partei liege ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ vor. Mit
den Spitzeln sei ein rechtsstaatliches und faires Verfahren
unmöglich. Vier Richter votierten dagegen, sie konnten aber nichts
ausrichten, weil für eine Fortsetzung sechs Stimmen nötig gewesen
wären.
Doch setzt man voraus, dass die NPD in „aktiv kämpferischer Haltung“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht, bleibt das Verbot möglich. Das Personal im Zweiten Senat hat gewechselt, insbesondere Winfried Hassemer ist nicht mehr dabei. Als gelernter Strafrechtler war er besonders strikt in puncto Verfahrenshindernis und Ansprüchen an ein faires Verfahren. Die Auffassung der drei Verweigerer war auch nur Teil einer Prozessentscheidung und keines Sachurteils. Damit bindet sie formal niemanden. Die Richtermehrheit hielt es damals im Gegenteil sogar für nötig, die NPD im Sinne der Gefahrenabwehr auch vor und während des Verbotsverfahrens zu bespitzeln. Es gibt juristisch kaum Gewissheiten. Ein Verbotsurteil braucht immer noch sechs Stimmen.
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