- Rote Frontfrau
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sind jetzt auch privat ein Paar. Zuvor hatte der Ex-Parteichef der Linken die politische Karriere der Edelkommunisten intensiv begleitet. Unter seinem politischen Einfluss wandelte sich Wagenknecht von einer DDR-Apologetin in der PDS zur führenden Fundamentalistin der Linkspartei.
Die Befragung gleicht einem Verhör. Sahra Wagenknecht steht auf der Bühne der ehemaligen SED-Parteihochschule in Berlin, Gregor Gysi am Saalmikrofon. Er kämpft für das politische Überleben einer reformfähigen PDS. Sie verteidigt trotzig den Stalinismus und fragt provozierend, wie viel Demokratie sich der Sozialismus leisten könne. Der Schlacht in den Medien folgt der Schlagabtausch auf dem Parteitag. Gysi fragt, Wagenknecht antwortet. Er will nur dann im Parteivorstand bleiben, wenn die Sprecherin der Kommunistischen Plattform dort nicht länger sitzt. Dass sie den Prager Frühling eine „Konterrevolution“ genannt hat, empört ihn. Am Ende wird er gewählt, sie fällt durch.
Fast 17 Jahre ist das her. Mittlerweile ist Sahra Wagenknecht in der Mitte der PDS-Nachfolgepartei angekommen. Das neue Grundsatzprogramm trägt ihre Handschrift. Sie ist stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende und könnte bald an der Seite von Gysi auch Kovorsitzende der Bundestagsfraktion werden.
Die junge Ikone der DDR-Verklärer wurde zur Frontfrau des Fundiflügels der Linken: klug, redegewandt, talkshowtauglich und in der Abgrenzung gegenüber den etablierten Parteien messerscharf. „Wir gegen alle“ ist ihr Motto, die SPD nennt sie „neoliberal“ und „nicht koalitionsfähig“. Ihre Anhänger feiern sie dafür als „eine Frau, die die Köpfe und Herzen der Menschen erreicht“.
Sahra Wagenknecht hat eine erstaunliche politische Karriere hinter sich gebracht. Aber wenn die 41-Jährige gefragt wird, was sich seit jenen Tagen im Januar 1995 in ihrer Partei verändert hat, spricht sie ausweichend von der „politischen Positionierung“, die heute eine andere sei. Nicht nur die Linke habe sich eindeutig bewegt und sei inzwischen eine Partei mit „klarem antikapitalistischen Profil“. Auch sie selbst habe sich verändert. „Ich vertrete bestimmte Positionen nicht mehr.“ Sie habe die DDR damals „deutlich positiver gesehen als heute“, sagt sie und wünscht, „dass man meinen Entwicklungsprozess wahrnimmt und respektiert“.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Sahra Wagenknecht auch ideologisch in den Westen ausgewandert ist.
Wagenknecht ist immer noch ein Star. Ihre Haare steckt sie wie einst Rosa Luxemburg nach oben, am Rednerpult steht sie stocksteif wie ehedem. Nach der Fusion von PDS und WASG stand sie in der Mitte der Partei. Aber eine Hausmacht gab es für sie nur im Westen. Dort stieß sie auf eine sich radikalisierende Partei. Während die alten SED-Eliten in der PDS im Osten um ihre Rolle in der gesamtdeutschen Gesellschaft rangen, hatten sich in der WASG nach der Agendadebatte vor allem frustrierte Sozialdemokraten und Altkommunisten zusammengetan. 1998 bewarb sich Wagenknecht in Dortmund-Süd um ein Direktmandat für den Bundestag, aber erst 2004 gelang ihr von dort der Sprung ins Europaparlament. 2009 zog sie über die nordrhein-westfälische Landesliste für die Linke in den Bundestag ein. In Oskar Lafontaine fand sie dabei einen einflussreichen Förderer.
Sogar ideologisch ist Wagenknecht in den Westen ausgewandert. In ihrem neuesten Buch beruft sie sich statt auf Walter Ulbricht und dessen Neue Ökonomische Politik nun auf Ludwig Erhard und den Ordoliberalismus. Sie will die Marktwirtschaft vom Kapitalismus befreien, die Banken vergesellschaften und den deutschen Millionären die Hälfte ihres Vermögens abknöpfen, damit der Staat seine Schulden zurückzahlen kann. Die Erbschaftssteuer soll bei „wirtschaftlich schädlicher Vermögenskonzentration“ sogar 100 Prozent betragen.
Radikal ist schick in der Linken. Obwohl die Umfragewerte der Partei dramatisch fallen und sich mit den Piraten erfolgreich eine neue Protestpartei formiert hat, empfiehlt Wagenknecht ihren Genossen „Kurs halten“. Mit westdeutschem Rückenwind treibt sie nun auch im Osten einen Keil zwischen die Reformer und die Basis. Sie polarisiert und denunziert und geißelt politische Kompromisse als Verrat. Sie ist stolz darauf, dass es im neuen Programm von „Haltelinien“ nur so wimmelt, Bedingungen also, die Koalitionen mit der SPD faktisch unmöglich machen. „Bei Themen wie Krieg oder Auslandseinsätzen, Privatisierung oder Mindestlohn dürfen wir keine Kompromisse machen“, sagt sie. Genossen, die im Osten rot-rote Bündnisse schmiedeten und in der Realpolitik mühsam Kompromisse suchen, stellt sie pauschal unter Neoliberalismusverdacht. Nicht ohne Verachtung in der Stimme spricht sie unter dem Beifall ihrer Mitstreiter dabei von der „Partei der Stöckchenspringer“. Fast scheint es, als habe Wagenknecht Gefallen daran gefunden, die Demütigungen von einst zurückzuzahlen.
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