- Die gestohlene Revolution
Die Jugend Ägyptens hat das Mubarak-Regime aus dem Amt gejagt. Bekommen hat sie einen autoritären, islamistischen Präsidenten. Protokoll einer persönlichen Enttäuschung
Ich war von Anfang an dabei: Wir haben die Revolution angefangen. Ich gehörte zur „Bewegung des 6. April“ und habe Graffiti-Schablonen gemacht. Mit diesen wurde in der ganzen Stadt gesprüht, um für die Revolution zu mobilisieren. Die Islamisten wollten am Anfang gar nicht mitmachen. Wir mussten sie überreden, und jetzt haben sie uns die Revolution geklaut.
Es gibt heute viele, die sagen, die Revolution sei ein Fehler gewesen. Mit Mubarak seien wir besser dran gewesen als jetzt mit den Muslimbrüdern. Das ist Quatsch. Das Regime Mubarak war korrupt und hat das Volk ausgeplündert. Korruption gibt es immer noch, und auch die Muslimbrüder sind Geschäftsleute, die auf ihre eigenen Interessen schauen. Doch die Regierung Mubarak hatte einfach ausgedient.
[gallery:Ägypten: Ein Land im Umbruch]
Es war uns immer klar, dass eine harte Zeit auf uns zukommt. Es ist eben nicht so einfach, Revolution zu machen und ein Regime zu stürzen, das sich 30 Jahre lang eingefressen hat. Dass es aber so hart werden würde, habe ich nicht gedacht. Was wir jetzt erleben, ist schlimmer als meine schlimmsten Horrorvorstellungen.
Die Muslimbrüder haben, seit sie an der Macht sind, nichts unternommen, um das Land nach vorne zu bringen. Kein einziges Gesetz haben sie erlassen, das der Bevölkerung dient. Alles zielt nur darauf ab, ihre Macht zu festigen.
Sie tun so, als ginge es um das islamische Projekt, aber sie sind doch extrem weit vom Islam entfernt. Was wir neulich gesehen haben, als die Schlägerbanden der Muslimbrüder die Demonstranten angegriffen haben, war ganz und gar unislamisch. Sie haben Frauen geschlagen, mit der Faust haben sie einer Frau ins Gesicht geschlagen, und andere Frauen wurden sexuell belästigt. Das widerspricht jeglicher Vorstellung vom Islam. Sie benutzen die Religion nur, um ihre Macht zu festigen.
Leider tun das auch radikale Salafisten-Gruppen. Die machen mir richtig Angst. Mit ihren extremen Ansichten und ihren Verbindungen zu Al Qaida und anderen bewaffneten Gruppen sind sie eine echte Gefahr.
Was mich am meisten an den Muslimbrüdern aufregt, ist, dass sie uns ihre ganz und gar altmodische Politik andrehen wollen. Hier gibt es einen Generationenkonflikt. Die alte, autoritäre Generation trifft auf eine neue, sehr mobile, flexible und weltoffene Generation. Uns kann man mit diesen Hierarchien und diesen eingeschränkten Rechten nicht kommen. Da braucht man sich doch nur mal den Verfassungsentwurf anzuschauen, den sie vorgelegt haben: Das Wort Frau kommt darin nicht vor. Sie sprechen vom weiblichen Geschlecht. Das zeigt doch deren Geisteshaltung: Sie denken nur ans Schlafzimmer.
Es gab einen Moment in den Tagen auf dem Tahrir-Platz und danach, als die Männer gesehen haben, dass auch wir Revolution machen können. In diesen Tagen habe ich gehofft, dass sich grundlegend etwas ändern könnte. Hat es aber nicht.
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Für mich ganz persönlich hat sich durch die Revolution hingegen viel verändert. Ich habe mich früher immer eingeengt gefühlt. Ich hatte Träume, habe mich aber nicht mal getraut, sie fertig zu träumen, weil ich sicher war, dass sie nie in Erfüllung gehen. Seit der Revolution weiß ich, dass alles möglich ist. Anders als die meisten anderen Menschen in Ägypten stehe ich auch finanziell besser da. Ich bin Absolventin der Kunstschule und gehörte zu den Jahrgangsbesten. Damit hatte ich einen Anspruch auf eine Anstellung im Kulturministerium. Da ich aber keine Beziehungen hatte, habe ich unter der alten Regierung diese Stelle nicht bekommen. Kurz nach dem Sturz Mubaraks wurde ich angestellt. Na ja, die Stelle ist nicht toll, und das Ministerium braucht dringend eine Revolution. Vielleicht sollte man es abschaffen. Andererseits gibt mir diese Stelle Spielraum.
Natürlich habe ich Angst vor der Zukunft. Neulich wurde eine Freundin von mir – sie ist Tänzerin und macht modernen Tanz – auf der Straße angegriffen. Mehrere verschleierte Frauen umringten sie und wollten ihr die Haare anzünden, weil sie kein Kopftuch trug. Zum Glück kamen ihr Leute zu Hilfe. Ich bin überzeugt, die Muslimbrüder werden ein Gesetz erlassen, das das Kopftuch zur Pflicht macht. Jetzt sagen sie zwar, dass sie es nicht vorhaben, aber sie haben schon viele Versprechen gebrochen, und es ist klar: Sie haben ein Ideal, wie die Gesellschaft aussehen soll, und sie werden dies zur Not mit Gewalt durchsetzen. Wir haben ihre Schlägerbanden erlebt.
Nein, ich war nicht dabei, als sie neulich auf die Demonstranten vor dem Präsidentenpalast losgingen. Meine Mutter und ich haben da einen Konflikt. Manchmal lässt sie mich zu Demonstrationen gehen, aber manchmal auch nicht. Wir streiten. Sie ist krank, und die Aufregung schadet ihr. Wenn ich sie nicht überzeugen kann, gehe ich nicht. Dabei denkt sie auch, es sei höchste Zeit, dass die Ägypter sich erheben und sich gegen die Herrschaft der Islamisten auflehnen. Absurd, oder?
Inzwischen gehöre ich nicht mehr zur „Bewegung des 6. April“. Als die Mitglieder der Bewegung sich vergangenen Sommer entschieden haben, Mohammed Mursi im Wahlkampf zu unterstützen, habe ich mich von ihnen getrennt. Natürlich war das eine schwierige Situation. Da stand Mursi gegen Ahmed Schafik zur Wahl, und wir wollten natürlich verhindern, dass das alte Regime wieder an die Macht kommt. Aber ich hielt schon damals Mursi für sehr gefährlich, und inzwischen haben sich ja auch die anderen aus der Bewegung von ihm distanziert.
Ab wann es schiefgelaufen ist mit unserer Revolution? Ich glaube, das Grundproblem war, dass wir uns zu Wahlen drängen ließen, bevor die Menschen und die politische Landschaft reif waren. Wir hätten als Allererstes eine neue Verfassung schreiben sollen, damit die Grundlagen klar sind. Es wurden viele Chancen vertan. Trotzdem bin ich optimistisch: Unsere Generation wird sich eine neue Diktatur nicht gefallen lassen.
Wir sind immer noch in einer Übergangsphase, und das Besondere an dieser Phase ist, dass sich alle outen müssen. Das Militär galt ja, als es nach dem Sturz Mubaraks die Macht übernahm, vielen als freundlicher Partner, der die Geschäfte der Regierung im Sinne der Revolution verwalten werde. Fehlanzeige. Die Muslimbrüder kannten wir bisher auch nicht so recht. Sie waren immer eine Geheimorganisation, und man wusste nicht, was sie eigentlich wollen. Jetzt ist die Maske gefallen oder zumindest verrutscht, und wir erkennen, um was für einen machthungrigen, autoritären Verein es sich handelt.
Vor einem Jahr steckten wir auch schon in einer großen Krise. Die Militärregierung hatte gezeigt, wes Geistes Kind sie ist, und es gab große Befürchtungen, dass die Generäle die Macht nicht wieder hergeben würden. Wir setzten alle auf einen gewählten Präsidenten und haben gesagt: Egal, wer es wird, es wird besser. Jetzt haben wir den gewählten Präsidenten, und er ist mindestens genauso schlimm wie die Militärregierung.
Wovon ich träume? Ich würde gerne in einem Land leben, in dem die Menschen respektiert werden. Ich hatte nicht vor, dafür auszuwandern.
Aufgezeichnet von Julia Gerlach.
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