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Armin Weigel/picture alliance

Ex-Senator gegen Gysi - Wechselnde Mehrheiten statt Rot-Rot-Grün

Rot-Rot-Grün? Nein, danke! Der Linken-Politiker Harald Wolf widerspricht in einem exklusiven Gastbeitrag für Cicero Online seinem Parteifreund Gregor Gysi. Der Ex-Wirtschaftssenator von Berlin warnt vor einem Bündnis mit SPD und Grünen im Bund und will Rot-Grün nur tolerieren.

Autoreninfo

Harald Wolf ist ein Politiker der Linkspartei. Er ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und war von 2002 bis 2011 in der rot-roten Landesregierung in Berlin Wirtschaftssenator.

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Die Union erreicht in den Umfragen über 40 Prozent, die FDP über 5 Prozent, während SPD und Grüne zusammen knapp unter 40 Prozent liegen: Da braucht es keine höheren mathematischen Kenntnisse für die Schlussfolgerung , dass eine Ablösung von Schwarz-Gelb überhaupt nur denkbar ist, wenn die Stimmen von SPD, Grünen und Linken zusammen in die Waagschale geworfen werden.

Stattdessen schließen Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin in trotziger Realitätsverweigerung nach wie vor die Nutzung einer rot-rot-grünen Mehrheit aus. Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, stellte gegenüber dpa fest, dass eine Mehrheit links der Mitte nicht umgesetzt werde, liege allein an Rot-Grün. Und: „Grüne und SPD müssen die Frage beantworten, wie sie ein linkes Wahlprogramm ohne die Linke umsetzen wollen. Das ist schlichtweg unmöglich.“

So weit, so gut und richtig.

Aber folgt aus der Feststellung notwendigerweise Rixingers Forderung, SPD und Grüne sollen den Widerstand gegen eine rot-rot-grüne Koalition aufgeben, weil nur so nach der Bundestagwahl ein Politikwechsel zu erreichen sei? Das ist eine Forderung, die implizit einem Koalitionsangebot gleichkommt.

Koalition bedeutet die Einigung auf ein gemeinsames Regierungsprogramm und den permanenten Einigungszwang mit SPD und Grünen. Es bedeutet den Ausschluss abweichenden Stimmverhaltens in der Koalition – und Koalitionsdisziplin. 

Aber sind denn die denkbaren Gemeinsamkeiten mit der SPD auf Bundesebene so groß, dass sie in ein gemeinsames Regierungsprogramm  münden könnten, das die Linke guten Gewissens vertreten könnte? Oder liegt Peer Steinbrück mit seiner Aussage, dass die Linke aus sozialdemokratischer Sicht „außen-, europa- und bündnispolitisch nicht verlässlich“ ist, nicht näher an der Wirklichkeit, wonach die unterschiedlichen Positionen von Sozialdemokraten und Grünen auf der einen Seite und die der Linken auf der anderen Seite sich nicht in ein gemeinsames Regierungsprogramm pressen lassen? Es sei, denn eine Seite gibt ihre Positionen auf…

Worin sollen die Kompromisslinien in diesen grundsätzlichen Fragen bestehen? In Sachen Euro haben SPD und Grüne nicht zuletzt durch ihr Abstimmungsverhalten immer wieder bewiesen, dass sie CDU und FDP in diesen Fragen näher stehen als der Linken und den neoliberalen Kurs der Troika grundsätzlich unterstützen. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind die Positionen von SPD und Grünen bellizistischer als die von Schwarz-Gelb. Worin soll hier ein tragfähiger Kompromiss bestehen? Kampfeinsätze nur mit UNO-Mandat? Mit dieser Position wäre die Bundesrepublik Bürgerkriegspartei im Libyen-Konflikt geworden.

Nach wie vor sind SPD und Grüne nur zu Korrekturen an Hartz IV bereit und nicht zu einer grundlegenden Revision. Und noch immer wird die Rente mit 67 verteidigt – bei der SPD halbherzig und bei den Grünen mit voller Überzeugung: „Hartz IV, aber mit Mindestlohn“. Kann das für die Linke eine ausreichende Grundlage für Regierungshandeln sein?

Wenn die von Bernd Riexinger signalisierte grundsätzliche Bereitschaft zu einer rot-rot-grünen Koalition ernst gemeint ist und nicht nur eine wahltaktische rhetorische Figur, die auf der Hoffnung beruht, dass es dank der SPD nicht zu solchen Koalitionsgesprächen kommt, führt sie unvermeidlich in ein Dilemma: Denn wenn es stimmt, dass bei aller sich mehr links gebenden Rhetorik der SPD die Positionen der SPD und der Linken in grundsätzlichen Fragen nach wie vor so different sind, könnte eine Einigung in Koalitionsverhandlungen nur um den Preis der Aufgabe wesentlicher Positionen der Linken oder einem Scheitern des Regierungswechsels enden. Beides kann eigentlich nicht gewollt sein.

Und alle Erfahrung – sowohl der Grünen in den 80er Jahren als auch der PDS resp. Linken danach  – zeigen: Wenn bei der SPD einmal das Tabu gegenüber einer Regierungszusammenarbeit gefallen ist, dann ist der Druck auf die Linke, sich mit Rot-Grün in Koalitionsverhandlungen zu einigen und die Chance eines Regierungswechsels nicht durch angeblich „unrealistische Forderungen“ zu verspielen, immens. Und dieser Druck wird dann nicht nur seitens der sogenannten öffentlichen Meinung erzeugt, sondern wird auch und gerade von Gewerkschaften, Verbänden und Initiativen kommen, die sich von einer neuen Regierung Verbesserungen – und seien sie auch noch so geringfügig – erhoffen.  

Der Ausweg könnte in der Duldung einer rot-grünen Minderheitsregierung liegen. Zwar hat Gregor Gysi eine solche Variante in seinem ZDF-Sommerinterview ausgeschlossen: „Tolerieren ist langweilig.“ Entweder man sei in der Regierung oder in der Opposition. „Ich will es richtig“, sagte er – das klingt radikal, ist es aber nicht.

Denn diese Position des „Alles oder Nichts“ (so übrigens der Titel von Joschka Fischers Sponti-Zeitung im Frankfurt der 70er Jahre) macht den Konflikt unauflösbar: Entweder orientiert sich die Linke an „roten Haltelinien“ und riskiert damit ein Scheitern des Regierungswechsels – und der damit verbundenen partiellen Verbesserungen – oder einigt sich mit Rot-Grün zu Lasten der eigenen Position.

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Die Duldung einer Minderheitsregierung dagegen würde zunächst bedeuten, dass man bei der Kanzlerwahl gegen Merkel und für den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten stimmt – übrigens unabhängig von der Person des Kandidaten. Er ist der Kandidat der SPD und nicht der gemeinsame Kandidat von SPD und Linken. Die Stützung einer sozialdemokratischen Regierung von einem anderen Kandidaten abhängig zu machen, würde suggerieren, dass die grundlegenden strategischen Differenzen mit Gabriel oder Kraft geringer wären als mit Steinbrück. Dem ist aber nicht so.

Die Bereitschaft zur Duldung der Minderheitsregierung erfolgt allein aus einem einzigen Grund: Die Linke teilt die Intentionen der großen Mehrheit der rot-grünen WählerInnen nach einer Abwahl von Schwarz-Gelb und nach Reformen wie der Einführung z.B. eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, einer gerechteren Steuerpolitik, einer solidarischen Bürgerversicherung usw. Die Linke erklärt deshalb ihre Bereitschaft, jeder Reform ihre Unterstützung zu geben, die die Lage der ArbeitnehmerInnen, der Erwerbslosen, der RentnerInnen etc. verbessert, so wie sie andererseits gegen Sozialabbau, Privatisierungen, Rüstungsexporte oder eine Fortsetzung der Troika-Politik im Interesse der Banken stimmen wird.

Sprich: Wir schlagen eine Politik der wechselnden Mehrheiten im Parlament vor. Und das ist alles andere als „langweilig“, wie Gregor Gysi in seinem ZDF-Sommerinterview meinte. Denn eine Politik der wechselnde Mehrheiten heißt zum einen, dass die Linke ihre politische Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gegenüber Rot-Grün wahren kann, dass sie z.B. keinem Kompromiss- und Einigungszwang in punkto Eurorettung oder Auslandseinsätzen der Bundeswehr unterliegt. Will die SPD diese Politik fortsetzen, muss sie sich die Mehrheiten dafür bei Union und FDP suchen. Wechselnde Mehrheiten bedeuten gleichzeitig einen Zugewinn an Demokratie, weil politische Entscheidungen wieder aus den Hinterzimmern der Koalitionsausschüsse  und Kungelrunden ins Parlament verlagert werden und unterschiedliche politische Konzepte wieder deutlich werden und öffentlich ausgetragen werden.

Zwar hört man von sozialdemokratischer und grüner Seite immer wieder, sich in eine solche unsichere Mehrheitskonstellation zu begeben, sei „unverantwortlich“ und „abenteuerlich“. Aber wie sagte Siegmar Gabriel anlässlich der Minderheitsregierung in NRW: „Minderheitenregierungen, die inhaltlich gut arbeiten, sind allemal besser als Regierungen, die zwar eine rechnerische Mehrheit haben, aber nichts miteinander anzufangen wissen.“

Es bleibt allerdings ein nicht unwesentliches Problem bei der Umsetzung einer solchen Politik. Wechselnde Mehrheiten sind bei Abstimmungen über Einzelfragen und Gesetze denkbar und möglich, aber nicht bei der Schlussabstimmung über den Haushalt. Der Haushalt ist das in Zahlen gegossene Regierungsprogramm und mit der Zustimmung und Ablehnung des Haushaltes steht und fällt eine Regierung. Sicher ist es in der parlamentarischen Beratung in den Ausschüssen möglich, einzelne Teile des Haushaltes abzulehnen und auch möglicherweise Verbesserungen in Einzelfragen zu erreichen.

Am Ende aber muss es zum Schwur kommen: Wird der Haushalt beschlossen oder wird er abgelehnt und die rot-grüne Regierung gestürzt? Hier kann es keine allgemeingültige Antwort geben, sie kann allerdings keine puristische, rein „gesinnungsethische“ sein. Denn wenn immer klar ist, dass man auf keinen Fall einen rot-grünen Haushalt passieren lassen kann, dann braucht man keinen Gedanken an Duldungen von Minderheitsregierungen oder gar an eine Bildung von Koalitionen zu verschwenden.

Die Frage, ob man eine rot-grüne Minderheitsregierung weiter stützt oder durch eine Ablehnung des Haushaltes stürzt, ist eine taktische Frage, die jeweils anhand der konkreten Situation entschieden werden muss. Ein wesentliches Kriterium muss sein: Wird eine solche Regierung mit ihrem Gesamthaushalt in der Masse der Wählerschaft von Rot-Grün und der Linken nach wie vor als eine Verbesserung gegenüber Schwarz-Gelb angesehen? Oder gibt es eine wachsende Opposition und Bewegung gegen die Regierung, deren Anliegen wir teilen und auf die sich die Linke bei dann folgenden Neuwahlen stützen kann?

Mit einer solchen Politik könnte die Linke sowohl an den Erwartungen und Hoffnungen von großen Teilen der rot-grünen Wählerschaft anknüpfen, dass „ihre“ Parteien eine soziale, ökologische und bürgernahe Politik betreiben. Gleichzeitig könnte sie SPD und Grüne immer wieder mit diesen Erwartungen und Wünschen ihrer Wählerschaft konfrontieren, die ja auch durchaus partiell in deren Wahlprogramme Eingang gefunden haben. Die Linke würde nicht als Hindernis oder „Problem“ beim Regierungswechsel und dem Kampf für eine sozialere und ökologischere Politik erscheinen, sondern als ihr Garant und entschiedenster und konsequentester Vertreter eines wirklichen Politikwechsels.

Dass das alles in der Wirklichkeit schwieriger ist, als es sich schreibt, und auch hier der Teufel im Detail steckt, weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber eine solche Politik bietet neben den Risiken vor allem Chancen, die die Linke nicht verspielen sollte.

Harald Wolf ist ein Politiker der Linkspartei. Er ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und war von 2002 bis 2011 in der rot-roten Landesregierung in Berlin Wirtschaftssenator. Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 führte Wolf die Linkspartei gegen Klaus Wowereit (SPD) und Renate Künast (Grüne) in den Wahlkampf

 

 

 

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