- Peter Löscher hinterlässt eine Kultur der Angst
Der Weggang von Peter Löscher hat Siemens erschüttert: Das deutsche, 166-jährige Traditionsunternehmen steht vor neuen Herausforderungen – nicht nur beim Personal. Was ist bei dem Konzern los?
Am Mittwoch ist der entscheidende Tag: Da kommt der Aufsichtsrat der Siemens AG zu seiner regulären Sitzung zusammen, um über den Geschäftsverlauf im vergangenen Quartal zu beraten. Doch die Sitzung wird alles andere als regulär werden. So viel ist klar: Peter Löscher wird danach kein Siemens-Chef mehr sein. Als sicher gilt auch, dass sein Nachfolger Joe Kaeser heißt. Offen ist aber, ob Gerhard Cromme weiter die Fäden zieht und Aufsichtsratsvorsitzender bleibt.
Wo steht das Unternehmen heute?
Ein neuer Chef wird die Probleme des Unternehmens nicht von heute auf morgen lösen.
Siemens ist in mehr als 190 Ländern aktiv, in einigen davon schon weit mehr als 100 Jahre lang. Oft wird das Unternehmen als riesiger Tanker beschrieben, der sich nur schwer steuern lässt. Weltweit arbeiten rund 370.000 Menschen für das Unternehmen, dessen vielfältige Produktpalette von der elektronischen Steuerung über den Computertomografen und den Hochgeschwindigkeitszug bis zum Kraftwerk reicht. Die Geschäfte sind in vier Bereiche aufgeteilt: Energie, Gesundheit, Industrie sowie Infrastruktur und Städte. 78,3 Milliarden Euro setzte das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr um, unterm Strich stand ein Gewinn von 4,6 Milliarden Euro.
Kostspielige Probleme gibt es fast überall. Zum Beispiel im Energiebereich: Hier schloss Siemens gleich vier Aufträge ab für die Anbindung von Windparks auf hoher See und unterschätzte dabei die technischen und regulatorischen Risiken gründlich. Zum Beispiel im Bereich Infrastruktur und Städte: Hier kann Siemens für die verspätete Lieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn immer noch keinen Termin nennen. Zum Beispiel Industrie: Dieser Bereich leidet am stärksten unter der schwachen Konjunktur in Europa und auch unter dem nachlassenden Wachstum in Ländern wie China. Das ist auch der Grund, warum das Unternehmen in der vergangenen Woche warnte, dass die versprochene Rendite von zwölf Prozent im kommenden Jahr nicht zu erzielen sei. Am besten steht noch die Gesundheitssparte da. Alles zusammengenommen ist Siemens jedoch weit davon entfernt, ein Sanierungsfall zu sein. Dennoch scheinen Konkurrenten wie General Electric mit der schwachen Konjunktur besser fertig zu werden. Immerhin konnte Siemens am Montag einen Erfolg verbuchen: Saudi-Arabien hat einen Auftrag zum Bau der U-Bahn für seine Hauptstadt Riad an drei internationale Firmenkonsortien vergeben – mit einem Volumen von insgesamt 22,5 Milliarden Dollar (rund 17 Milliarden Euro). Auch Siemens ist dabei.
Warum muss Löscher gehen?
Der Österreicher Peter Löscher war in Deutschland so gut wie unbekannt, als Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ihn im Sommer 2007 – mitten in der Siemens-Korruptionsaffäre – vom US-Pharmakonzern Merck nach München holte. Er war der erste Vorstandschef in der fast 166-jährigen Geschichte des Unternehmens, der von außen kam. Löscher räumte auf, viele Manager und Vorstände mussten gehen. Er musste auf niemanden Rücksicht nehmen, er kannte ja niemanden. Der ganze Konzern wurde umgebaut. Siemens macht nur noch saubere Geschäfte, gab Löscher vor. Dass dies gelang, ist sein Verdienst. Doch seit die Schmiergeldaffäre das Unternehmen nicht mehr lähmt, wird Löscher vorgeworfen, dass ihm eine klare Strategie fehlt. Siemens sollte ein grüner Infrastrukturanbieter werden, hieß eines seiner Ziele. Doch in der Windkraft gibt es Probleme, in die Solarenergie ist Siemens erst teuer ein- und dann wieder teuer ausgestiegen. Sogar in die Atomenergie wollte Löscher zwischenzeitlich wieder stärker investieren.
„Grün“ bedeutet bei Siemens vor allem energieeffiziente Produkte – doch von Osram, Hersteller energieeffizienter Beleuchtung, trennte Siemens sich. Ein anderes Löscher-Ziel, ein Unternehmen mit 100 Milliarden Euro Umsatz zu werden, stieß auf ebenso viel Unverständnis, und es rückt in immer weitere Ferne. Größe allein ist kein Wert an sich. Keine Zukunftsperspektive, das ist vor allem auch das, was die Arbeitnehmervertreter Löscher vorwerfen. Durch den kurzsichtigen Kauf und Verkauf von Geschäften sei eine Kultur der Angst entstanden. Weder bei den Arbeitnehmern noch im Management scheint Löscher Rückhalt zu haben. „Es ist ihm nicht gelungen, ein Netzwerk aufzubauen“, konstatiert ein Insider.
Muss nun auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme gehen?
Löscher hat am Montag vehement Berichten widersprochen, dass er nur dann gehen werde, wenn auch Cromme gehen müsse. Im Interesse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter werde er es nicht zu einer Kampfabstimmung kommen lassen, ließ er mitteilen. Doch davon abgesehen wackelt auch Crommes Stuhl gewaltig. In den vergangenen Monaten musste er sich vorwerfen lassen, dass er den zeitweise so glücklos agierenden Vorstand zu wenig kontrolliert habe. Cromme war einst einer der mächtigsten Manager Deutschlands. Er stand an der Spitze des Stahlkonzerns Thyssen-Krupp und leitete die Corporate-Governance-Komission der Bundesregierung für gute Unternehmensführung. Doch im Frühjahr musste er nach Milliardenverlusten, Kartellverfahren und Personalquerelen als Aufsichtsratsvorsitzender bei Thyssen-Krupp gehen. Chefkontrolleur bei Siemens ist die wichtigste Rolle, die er jetzt noch hat, um sie wird er kämpfen. Hinzu kommt, dass sich kein Nachfolger anbietet. Für einen potenziellen Kandidaten wie den früheren Deutsche-Bank- Chef Josef Ackermann gibt es bei den Arbeitnehmervertretern keine Zustimmung. Überhaupt sitzt kein Ingenieur im Gremium.
Ist Kaeser der richtige Mann nach Löscher?
Auch Joe Kaeser, der mit großer Wahrscheinlichkeit Löschers Nachfolger wird, ist kein Ingenieur, sondern ein Mann der Zahlen. Seit vielen Jahren ist er Finanzchef, verantwortete allerdings auch einige Zeit die Strategie des gesamten Unternehmens. Am Kapitalmarkt ist er hoch angesehen, aber auch für die Arbeitnehmerseite ist er kein rotes Tuch, denn Kaeser ist ein echtes Siemens-Gewächs. Der Betriebswirt startete seine berufliche Karriere 1980 bei Siemens und hat nie für ein anderes Unternehmen gearbeitet. Er kennt Siemens in- und auswendig und hat Löscher mit seinem Detailwissen immer in den Schatten gestellt. Ganz anders als Löscher kann er dabei nicht nur auf ein Netzwerk im Unternehmen zurückgreifen, er kommt auch bei den Menschen besser an.
Während Kaeser unterhaltsam plaudern und auch ironisch auf sich selbst blicken kann, agiert Löscher meist steif und zeigt wenig Humor. Den „Omar Sharif vom Wittelsbacherplatz“ haben sie den als Josef Käser im Juni 1957 in Arnbruck in Niederbayern geborenen Manager intern früher einmal genannt. Auch wegen seines eindrucksvollen Schnurrbarts, den er sich Ende vergangenen Jahres abrasierte. Joe Kaeser nannte er sich selbst, als er für einige Jahre für Siemens in den USA war. Auch als „Schattenmann“ wurde er oft tituliert, denn er selbst hielt sich wohl schon immer für den besseren Siemens-Chef. Dennoch hat er es nicht an Loyalität gegenüber Löscher fehlen lassen. Mehr noch, er hat sich auch hinter die – heute umstrittenen – Ziele Löschers gestellt. So auch hinter die so heftig kritisierte neuerliche Gewinnwarnung, die Siemens vergangenen Donnerstag herausgab.
Wenn Joe Kaeser der 15. Unternehmenschef wird, wird er gewiss nicht alles anders machen. Als Erstes müsste er wohl daran arbeiten, Mitarbeiter und Manager wieder geschlossen hinter sich zu bringen. Der Kapitalmarkt hat ihm schon Vorschuss gegeben.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.