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ZDF

Zeit vs. ZDF - Journalismus aus der Anstalt

Der Streit um eine ZDF-Satire aus der „Anstalt“ zeigt: Journalistische Unabhängigkeit wird in Deutschland sehr eigenwillig definiert. Parteimitgliedschaften sind in Ordnung, Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Journalistische Unabhängigkeit? Wenn es um Medien in Zentralasien oder Afrika geht, wissen sie in Deutschland immer ganz genau, was sich gehört und was nicht. Staatsnähe ist ein Übel. Parteinähe geht auch nicht: Weil sich im kurdischen Irak politische Gruppierungen in den Medien festsetzen, vergeben die Reporter ohne Grenzen den Stempel „nicht unabhängig“.

Seitdem sich die ZDF-Sendung „Die Anstalt“ auf dem Höhepunkt der Empörung über die Ukraine-Berichterstattung mit dem deutschen Qualitätsjournalismus beschäftigte, diskutiert man nun auch hier darüber, was geht und was nicht geht.

In dem Beitrag zeigen die Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner auf einer Schautafel, welche Verbindungen zwischen hochrangigen Printredakteuren von Zeit, Frankfurter Allgemeine, Welt, Bild und Süddeutscher Zeitung zu NATO-Lobbyorganisationen bestehen sollen. Einige der Journalisten seien dort Mitglieder oder gar Beiräte. Die transatlantischen Institutionen würden auf alle Fragen nur eine Antwort kennen – „mehr Rüstung“.

Hier könne man „Propaganda durchexerzieren“


Besonders heikel: Zeit-Politikredakteur Jochen Bittner soll an einer Rede von Bundespräsident Gauck zur Münchner Sicherheitskonferenz mitgeschrieben und diese Rede anschließend im eigenen Blatt gelobt haben. Außerdem berate SZ-Auslandschef Stefan Kornelius in seiner Funktion als Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik die Bundesregierung.

In einem Radiointerview sagte Uthoff später, die Vernetzung von Medieneliten und prowestlichen Lobbyorganisationen sei „peinlich“. An diesem Beispiel könne man „Propaganda durchexerzieren“.

Bittner und Zeit-Herausgeber Josef Joffe wehrten sich gegen die Vorwürfe juristisch. Sie erwirkten beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Unterlassungserklärung. Bittner erklärte, Ziel der Diskussionsgruppe von Stiftung Wissenschaft und Politik sowie German Marshall Fund sei es nicht gewesen, „die Rede von Bundespräsident Gauck in München vorzubereiten“. Die falschen Tatsachenbehauptungen seien geeignet, seinen „Ruf als Journalist zu schädigen“.

Das ZDF legte dagegen Widerspruch ein. Der Sender entfernte den Beitrag aus der Mediathek. Auf Youtube (ab Minute 36) ist die Satire aber noch zu sehen.

Dass Journalisten bei einem anderen Medium eine Depublikation erwirken – und sich damit de facto an Zensur beteiligen – ist ein unerhörter Vorgang. Der juristische Feldzug der Zeit wird aber erst recht für Verbreitung und negative Schlagzeilen sorgen. Ein klassischer Barbara-Streisand-Effekt.  

Dabei sind einige der Thesen, die der ZDF-Beitrag aufwirft, nicht unproblematisch. Der Sketch bezieht sich auf die Netzwerkstudie „Meinungsmacht“ des Leipziger Kommunikationswissenschaftlers Uwe Krüger. SZ-Ressortleiter Stefan Kornelius hält die Studie für „einseitig und politisch verzerrt“, da der Forscher zum Beleg seiner Elitenthese gegen ihn gerade mal 23 Texte aus acht Jahren journalistischer Arbeit gefunden habe. Zudem habe er in seiner Analyse unterschlagen, dass Kornelius nicht nur Mitglied der Atlantik-Brücke und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist, sondern auch des Deutsch-Russischen Forums.

Bundesbehörden beraten ja, für Klimaschutz kämpfen nein


Das ist auch ein Hauptargument, das Kornelius als Beweis seiner journalistischen Unabhängigkeit gegen seine Kritiker hervorbringt. Und es scheint zu überzeugen: Der „Zapp“-Journalist Daniel Bröckerhoff – der Mitgliedschaften bei dem Netzwerk Recherche oder der Digitalen Gesellschaft für sich selbst ablehnt – bezeichnete den SZ-Mann daraufhin im Video-Interview als „im Grunde ausgewogen“.

Ist das also erlaubt? Dürfen Journalisten in einer parteiischen Organisation Mitglied sein, sofern sie auch im „gegnerischen“ Lager vertreten sind?

Stefan Kornelius zieht die Grenze da, „wo eine Mitgliedschaft in die Nähe zum Aktivismus gerät oder wo eine offensive politische Aussage mit verbunden ist“.

Konkret heißt das für ihn: Die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“, für ihn ein zahmer „Altherrenverein“, geht in Ordnung.  Tatsächlich ist die DGAP keine auf Rüstung getrimmte Propagandamaschinerie, sondern ein unabhängiger, überparteilicher und gemeinnütziger Verein – ein Think Tank, auf deren Expertise auch Cicero Online regelmäßig zugreift.

Auch seine Beiratstätigkeit für die verteidigungspolitische „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ hält Kornelius für vereinbar mit der Unabhängigkeit. „Das empfinde ich als ein Stück gesellschaftlicher Verpflichtung, der ich als Staatsbürger und Steuerzahler nachkomme.“ Die Bundesregierung in Person von Ministern oder das Bundeskanzleramt würde er nicht beraten, betont er.

Anders sieht es bei zivilgesellschaftlichen Organisationen aus: Kornelius würde sich nicht im Namen des BUND oder Greenpeace für den Umweltschutz einsetzen. Oder die Vereinigung von Medienfrauen „Pro Quote“: „ehrbare Ziele“, sagt Kornelius, aber eben auch da: „Aktivismus“.

Mit seiner Haltung zu NGOs weiß der SZ-Auslandschef die Mehrheit der deutschen Journalisten hinter sich.

Das wurde bereits an der hitzigen Debatte um den Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald deutlich. Der Blogger und Journalist, der als einer der größten Enthüller in die Geschichte eingehen wird, wurde in deutschen Medien teils heftig kritisiert. In einer Rede vor einem Hackerkongress habe er „eine Grenze überschritten, als er ‚wir‘ sagte statt ‚ihr‘“, schrieb Zeit Online. „Er hat sich mit den anwesenden Hackern gemein gemacht, mit den Aktivisten und Bürgerrechtlern.“

Dabei hält sich Greenwald, der sich als Aktivist und Initiator einer „Pro-Privacy-Allianz“ versteht, in seinen Berichten strikt an die journalistischen Handwerksregeln. Das heißt: Fakten prüfen, beide Seiten hören. Wer sich daran nicht hält – ob er irgendwo Mitglied ist oder nicht – ist kein Journalist, zumindest kein guter.

Trotzdem: Sich mit etwas oder jemandem gemein machen – das ist im deutschen Journalismus (noch) eine Todsünde. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier ärgerte sich jüngst im Branchenmagazin journalist darüber, dass „der berühmte, endlos zitierte und meist überinterpretierte Satz von Hanns Joachim Friedrichs (ein hoch angesehener Fernsehjournalist in der Bonner Republik und bis kurz vor seinem Tod in den 1990ern Tagesthemen-Moderator), ein Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten“ in Deutschland „als Gesetz missverstanden“ werde.

Der abhängigste Sender der Republik


Der Deutsche Journalistenverband hat das Gesetz dieser Tage nochmals untermauert: Medienvertreter dürften „keine aktive Rolle in Organisationen ausüben, über die sie berichten“, erklärte der Bundesvorsitzende Michael Konken. Der Journalist müsse Distanz wahren und sich als Vorstand einer Lobby-Organisation in der Berichterstattung zurückhalten. Um seinem Regelwerk Nachdruck zu verleihen, verwies der Verband noch kurz auf das Folterinstrument der journalistischen Selbstregulierung: den Pressekodex, dessen Nichteinhalten der Deutsche Presserat beispielsweise mit öffentlichen Rügen bestrafen kann.

So weit, so klar. Doch was danach folgte, mag so gar nicht in das Prinzip passen. Journalisten genössen als Staatsbürger die gleichen Rechte und Pflichten „wie alle anderen Menschen auch“, hieß es da. „Das schließe auch die Mitgliedschaft in politischen Parteien mit ein.“

Wir fassen zusammen: In der klinischen Welt des DJV dürfen Journalisten, die sich stark in Flüchtlingsorganisationen, Verbraucherschutzinitiativen oder Umweltverbänden engagieren, nicht über Migrationspolitik, Konsum oder den Klimawandel berichten. Aber sie dürfen Mitglieder jener politischen Parteien sein, aus denen sich die Regierung, ja das ganze Staatswesen rekrutiert.

„Anstalt“-Kabarettist Claus von Wagner wies in seinem Sketch übrigens auch darauf hin, dass in den USA viel strengere Ethikrichtlinien gelten. Bei der New York Times wäre eine solche Verquickung von Macht- und Medieneliten nicht erlaubt.

Was er nicht sagte: In vielen US-Zeitungen sind auch Parteimitgliedschaften verboten. In Wagners Sender haben fast alle einflussreichen Redakteure und Senderleiter ein Parteibuch. Das ZDF darf jetzt auch ganz legal als der abhängigste Sender der Republik bezeichnet werden. Denn im März hat das Bundesverfassungsgericht den Einfluss der Politik auf die Sendergremien gerügt – und den ZDF-„Staatsvertrag“ für verfassungswidrig erklärt.

Die Autorin ist selbst Mitglied im DJV und hat den Appell der Journalistinnen-Initiative „Pro Quote“ mitgezeichnet.

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Ralf Grünewald | Mo., 16. Januar 2017 - 14:44

sehr geehrter Herr Grau, ich finde es ausgesprochen erfrischend zu lesen, dass es auch in Ihrer
Berufsgruppe noch Menschen gibt die Ihren gesunden Menschenverstand nicht schon komplett hinter Interessen oder Ideologien vergraben haben. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, Mainstreammedien
sind Wirtschaftsunternehmen wie alle anderen auch und natürlich geht es dabei in erster Linie um Geld, Macht und Einfluss. Glaubt denn wirklich jemand dass die Interessen der Großaktionäre und Eigentümer keinen Einfluss
auf die Berichterstattung haben? Ich persönlich lese beispielsweise die Zeit, den Focus oder die Welt eher zur Belustigung. Authentische Informationen erwarte ich mir hiervon eher nicht. Vielleicht sollten wir uns zumindest in dieser Hinsicht mal ein Beispiel an den USA nehmen, denn dort sind solche Verquickungen streng verboten.
Leider mussten wir am Beispiel der US-Wahl lernen dass selbst ein solches Verbot absolut nicht zu besserem Journalismus führt.