- Der Klang des Weltraums
Wie klingt es, wenn Planeten sich begegnen? In der Sphärenmusik sind Mathematik und Kunst auf das Schönste verschwistert
Ist da draußen Irgendetwas? Seit der Mensch den nächtlichen Sternenhimmel ehrfürchtig betrachtet und den Lauf der Planeten verfolgt, wird seine Fantasie durch diese Frage angefacht. Im Altertum sprachen die Menschen von geisterhaften Klängen, die entstünden, wenn Planeten einander begegnen. Die Musik, welche die Planeten erzeugten, sei ätherisch und – in ganz wörtlichem Sinn – nicht von dieser Welt.
Als ich klein war, gab es nur eines, das mich so stark in den Bann ziehen konnte wie die Musik: der Nachthimmel. Im Alter von acht Jahren kaufte ich mir mein erstes Teleskop und betrachtete stundenlang den Mond und die Sterne. Und ich stellte mir vor, wie es wohl gewesen sein mag, als die Menschheit erkannte, wie winzig sie im Angesicht des großen Ganzen ist.
In meiner Jugend stellte mir Yehudi Menuhin, der damals an seinem Projekt „The Music of Man“ arbeitete, den amerikanischen Astronomen Carl Sagan vor. Sagan amüsierte sich über den eifrigen und neugierigen Jungen, der ihn mit tausend Fragen gnadenlos löcherte. Meistens antwortete er mit Gegenfragen. Dadurch öffnete er mir die Augen für die unendlichen Weiten des Universums und erklärte mir eine Theorie, die meine beiden Leidenschaften vereinte: die Sphärenmusik.
Die Vorstellung der Sphärenmusik fasziniert mich seither, ebenso wie die Philosophen, Mathematiker und Musiker, die die Idee einer musica universalis im Laufe der Jahrhunderte untersucht, infrage gestellt und entwickelt haben. Diesen Gedanken vertraten nicht irgendwelche Wahrsager, sondern brillante Wissenschaftler und Mathematiker. Wahrscheinlich war es Pythagoras, der als Erster der Theorie nachging. Die Harmonie des Universums glaubte er mathematisch erklären zu können, nachdem er zufällig entdeckt hatte, dass die Höhe eines Tons von der Länge der Saite und deren Schwingungen abhängt. Dieser Gedanke pflanzte sich fort bis zu herausragenden deutschen Denkern wie Johannes Kepler. Sie waren überzeugt, dass diese Musik oder besser gesagt, diese „Engelsklänge“ – für uns Sterbliche nicht hörbar – messbar sind und dass die Musik dementsprechend eine mathematische Grundlage hat, eine Art astronomische Harmonie. Doch kann man ein so magisches, unerklärliches Phänomen wie die Musik rein durch Formeln erklären?
Die Vorstellung einer Musik, die aus der Bewegung einander passierender Planeten entsteht, ist für einen Musiker wie mich, der ein Saiteninstrument spielt – also ein Instrument, bei dem durch die Reibung der Bogenhaare mit den Saiten Vibrationen und damit Töne erzeugt werden – besonders naheliegend. Man nimmt eine Menge peripherer Klänge wahr, und das ist meiner Meinung nach eine interessante Analogie, denn an diese peripheren Klänge glaubte Pythagoras auch.
Wenn wir an den Weltraum oder die Planeten denken, hören wir dann einen bestimmten Klang, in Dur oder Moll, oder ist da endlose Stille? Goethe selbst spricht in seinem Prolog zum „Faust“ von der tönenden Sonne, die „nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang“ erklingt. Auch viele Komponisten haben sich mit der Möglichkeit eines solchen Phänomens beschäftigt. Noch heute bemühen sich Wissenschaftler, die Zahlensymbolik in Bachs Werken zu ergründen, vom klaren B-A-C-H-Motiv bis hin zu versteckteren Elementen, die sich um die Zahl Drei als musikalische Darstellung der Dreieinigkeit drehen.
Wir wissen, dass Haydn, bevor er sein Oratorium „Die Schöpfung“ vollendete, sich mit dem britischen Astronomen Wilhelm Herschel traf und beide gemeinsam den Himmel durch ein Teleskop betrachteten. Josef Strauss’ Walzer-Sphärenklänge brachten dann eine romantische Sicht des Himmels ins Spiel. Die kugelförmige Gestalt einer Sphäre lässt sich aber auch mit dem Einsatz des Stilmittels der Wiederholung in vielen Werken der Moderne oder des Minimalismus in Beziehung setzen. Der amerikanische Komponist Philip Glass, der mit dem Stück „Echorus“ eine sphärische Hommage an Yehudi Menuhin komponierte, beschäftigt sich schon seit langem mit Rätseln wie dem, ob Musik an der Schwelle eines Schwarzen Lochs wohl höher oder tiefer klingt.
So gibt es eine große Anzahl Komponisten aus verschiedenen Jahrhunderten, die vielleicht nicht alle aus der gleichen „Galaxie“ stammen, sich aber seit dem 17. Jahrhundert bis heute große Gedanken zu einer überirdischen Musik gemacht haben. Dabei muss ich feststellen, wie viel und gleichzeitig wie wenig sich im Laufe von 400 Jahren die Musik verändert hat.
Und? Ist da draußen irgendetwas? Ich fände es schön.
Daniel Hope ist Violinist von Weltrang. Sein Memoirenband „Familienstücke“ war ein Bestseller. Zuletzt erschienen sein Buch „Toi, toi, toi! – Pannen und Katastrophen in der Musik“ (Rowohlt) und die CD „Spheres“ (Deutsche Grammophon). Er lebt in Wien
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