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Sopranistin Anna Prohaska - Mit scharfem Skalpell

Anna Prohaska, die nun bei den Salzburger Festspielen singen wird, schöpft Schönheit aus der Verwirrung 

Autoreninfo

Eva Gesine Baur ist Kulturhistorikerin. In diesen Tagen ist ihre Biografie „Chopin oder die Sehnsucht“ (C.H.Beck-Verlag) erschienen.

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Man muss bezaubern, wenn man etwas Wesentliches bekommen will: Das hat Franz Kafka gesagt, der die Sprache so lange beschwor, bis sie ihm ihr Innerstes preisgab. Jeder professionelle Magier weiß, dass Bezaubern ein mühsames Geschäft ist.

Anna Prohaska weiß das auch, hat aber früh entdeckt, mit welchem Instrument es ihr gelingt. „Ich glaube, ich habe gesungen, bevor ich gesprochen habe“, sagt sie. Das lag in den Genen und in der Luft. Sie ist Tochter einer Opernsängerin und eines Opernregisseurs, Enkelin des Dirigenten Fritz Prohaska, Urenkelin des Komponisten Karl Prohaska und verbrachte fünf Wiener Kinderjahre in jenem Haus nahe dem Schönbrunner Schlosspark, in dem Johann Strauss „Die Fledermaus“ schrieb, Brahms gastierte, später Berg oder Webern.

„Enchanted Forest“ ist das neue Album


„Sirène“ hieß die erste Einspielung von Anna Prohaska vor zwei Jahren. Ihr sind die homerischen Kolleginnen durchaus vertraut, deren Gesang so unwiderstehlich war, dass Odysseus sich an den Schiffsmast fesseln ließ, um ihnen nicht zu verfallen. „Enchanted Forest“ ist das neue Album der 30-jährigen Sopranistin betitelt, mit Arien von Vivaldi, Cavalli, Monteverdi. „Dass enchant oder französisch enchanter wörtlich besingen heißt, ist wunderbar.“ Es ist jedoch kein Wunder, es ist Knochenarbeit, die den vokalen Zauber dann wirksam macht.

Komponist hört auf Star


Als Teenager führte ihr Lehrer Eberhard Kloke sie bei Hauskonzerten den Kennern vor. In hellstem Licht, aus nächster Nähe wurde sie begutachtet. „Die haben mir in den Hals geblickt“, sagt sie und erschaudert lächelnd. Wer bezaubern will, darf eben nicht zimperlich sein, muss alle Mittel anwenden, erst recht, wenn es darum geht, die stärkste Macht zu bezwingen: den Tod.

Als Innana, babylonische Urgöttin der Liebe und Fruchtbarkeit, trat Anna Prohaska im vergangenen Jahr bei der Uraufführung von Jörg Widmanns Oper „Babylon“ in München auf. Sie musste ihren Geliebten Tammu aus der Unterwelt befreien. Der Komponist hörte auf das, was sein Star ihm sagte: „Ich kann nicht nur diese Koloraturen hoch droben im ewigen Eis. Ich kann auch ein ganz tiefes Lamento, kann pfeifen und jodeln.“ Widmann brachte das ein, wurde allerdings erst fünf Tage vor der Uraufführung mit der Szene fertig.

Und der Gang, die endlos lange Treppe aus dem Totenreich hinauf ins Lebenslicht, den Innana-Anna mit dieser Arie beenden musste, war eine Zitterpartie, die sie nur einmal proben konnte. „Ich hatte Angst. Ich wurde an meine äußersten Grenzen geführt. Und das war gut so“, erklärt sie. Nur dann gelangt sie an das Wesentliche. Das Publikum will sie in solchen Momenten nicht allzu genau sehen. Deshalb lässt sie ihre Kontaktlinsen zu Hause.

Die eigenen Krisen zerlegt sie mit scharfem Skalpell. Als ihr bei einem Konzertabend eine Kadenz nicht gelang wie gewollt, habe sie sich hinter der Bühne „zermartert“, gesteht sie. Am liebsten wäre sie nicht mehr hinausgegangen. Da sitzt sie, Glasperlenschmuck um die schmalen Handgelenke, Stiefeletten mit ziegelroten Aufschlägen an den Füßen, faltenlose Heiterkeit in dem blassen Gesicht mit der Kinderstirn, und berichtet gut gelaunt von ihrem Krisenmanagement: „Ich habe mich an den katholischen Katechismus meiner Mutter erinnert. Daran, dass die Verzweiflung nur die andere Seite der Eitelkeit ist. Und dass ich es der Musik und dem Publikum schulde, sie zu überwinden.“

Drehort: Nervenheilanstalt


Anna Prohaska klappert, wo immer es sie hintreibt, Museen, Kirchen und Klöster ab, bricht im Dom von San Gimignano vor den mittelalterlichen Fresken in Tränen aus, aber für den Film zu „Enchanted Forest“ drehte Regisseur Andreas Morell eine Szene mit ihr zu Monteverdis Klängen in einer Berliner Nervenheilanstalt und zu Vivaldi an einer Bahnstation am Berliner Alexanderplatz. Wie Anna es wünschte.

Vielleicht sei sie das Produkt einer Kollision, meint sie. Vater aus Wiener Großbürgerfamilie, der mit Kultur aufgepäppelt wurde, Mutter aus nordenglisch-irischer Arbeiterfamilie, die ihre Karriere in Clubs begann und für John Lennon genauso schwärmte wie für Händel. Ein Zusammenstoß, der heute Funken schlägt: Anna Prohaska findet Pergolesis „Stabat Mater“ „einfach geil“ und jeden, der Kirchenmusik unerotisch nennt, „völlig falsch indoktriniert“. Dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt pflichtet sie leidenschaftlich bei, wenn er ihr erklärt, sie müsse Bachs Koloraturen singen wie Frank Sinatra, „textdeutlich, aber lässig hingeschmissen“.

Leidenschaft fürs Abseitige


Die Gothic-Aufmachung der Teenagerzeit, als sie mit Freunden auf Friedhöfen picknickte, hat sie längst abgelegt. Die Leidenschaft fürs Nächtliche, Abseitige, Jenseitige nicht. Ihr nächstes Programm wird darum kreisen, mit Franz Schuberts Liedern vom Totengräber im Zentrum. In einem besingt der sein Heimweh nach dem Tod und jubelt den Toten am Ende beseligt zu: Ich komme. Sie singt es vor, mit leuchtenden Augen.

Gut, dass Anna Prohaska oft mit Dirigenten zu tun hat, die ihre Emphase teilen. Bei den Salzburger Festspielen wird sie nun in der Peterskirche die Sopransoli in Mozarts großer c-Moll-Messe singen unter Gustavo Dudamel, kaum älter als sie. „Der kann richtig abgehen bei einem einzigen Takt.“ Und er wird gewiss abgehen, wenn Annas Stimme mit dem Incarnatus erklingt. „Man kann auch ohne jede Spiritualität perfekt singen. Aber ich glaube, dann wird es sehr übersichtlich.“ Die Basis der Bezauberung ist nun einmal die Verwirrung.

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