- Schlichte Worte für das Unfassbare
Der Künstler Rithy Panh dokumentiert den Terror der Roten Khmer, unter dem er selbst litt
Das Buch ist nie aufdringlich, larmoyant oder schaurig. Die Ko-Autoren Panh und Bataille finden schlichte Worte, um das Unfassbare zu beschreiben. Bedrückt erfährt man von den letzten Stunden des Vaters oder dem Appell der Mutter, die zum Abschied ihrem am Fuß erkrankten Sohn zuruft: „Du musst gehen im Leben, Rithy. Was auch passiert, du musst gehen.“ Ergreifend ist die Szene, in der eine Soldatin ihn beim Singen eines verbotenen Kinderlieds erwischt. Sie ist davon so gerührt, dass sie ihn nicht bestraft. Der junge Rithy verliert weder Lebensmut noch Fantasie: Trotz Todesangst erzählt er gerne Geschichten, zeigt sich erfinderisch, um zu überleben. Nach der Lektüre versteht man Claude Lanzmann besser: „Ich habe Rithy Panh bisher für seine Arbeit bewundert“, sagte der Regisseur von „Shoah“ nach der Veröffentlichung des Buches in Frankreich, „nun hat sich diese Bewunderung in eine tiefe Freundschaft verwandelt.“
Wenn „Auslöschung“ durchaus mit Erinnerungen an den Holocaust, mit Primo Levis „Ist das ein Mensch?“ etwa, verglichen werden kann, liegt es daran, dass das Buch über das Persönliche hinaus einen Einblick in das Terrorsystem der Roten Khmer gewährt. Die dämonische Kraft der Ideologie wird durch das Gespräch mit Duch deutlich – dem klugen Henker, der gewissenhaft mordete und vor der Kamera lacht oder französische Gedichte deklamiert. „Duch bringt einen zum Zweifeln darüber, was menschlich ist“, erinnert sich Panh und bedauert, dass Duch heute noch eine Art Faszination ausübt, sogar auf Intellektuelle. „Menschen, die von ihren Ideen besessen sind und Geschichte schreiben wollen, findet man überall und immer wieder“, fügt der Schriftsteller hinzu.
Dennoch müsse die Erinnerungsarbeit vorangetrieben werden. Der Filmemacher, der in Phnom Penh ein audiovisuelles Dokumentationszentrum mit gründete, freut sich über neue Entwicklungen in seiner Heimat: „Der Massenmord wird nun in Schulen thematisiert. Die junge Generation fragt nach.“ Auch das 2006 eingesetzte Rote-Khmer-Tribunal, das Duch zur lebenslangen Strafe verurteilt hat, leiste wichtige Arbeit, damit die Opfer „einen Status bekommen“: „Erinnerung ist keine kollektive Pflicht, keine Aufforderung zur Versöhnung, sondern eine tägliche Aufgabe.“
Panh weiß: „Die Wahrheit gehört nur den Toten.“ Die Form spiele eine untergeordnete Rolle, nicht aber die ethische Frage, wenn er die Logik eines Massenmords zu verstehen versucht. „Die Mechanik, die sich im Kopf der Mörder abspielt“, beschäftigt Rithy Panh. An die „Banalität des Bösen“ glaubt er nicht: „Dass jeder böse sein kann, ist keine interessante Erkenntnis. Bedeutender ist die Tatsache, dass einige sich trotzdem für das Gute entscheiden.“
Rithy Panh muss oft an seine Eltern denken und an Bophana – eine junge Frau, die in S21 aufgrund ihrer Liebe zu einem vermeintlichen Verräter gefoltert wurde. Ihre Geschichte erzählt er in einem seiner Filme. Er zählt sie zu „meinen Lichtgestalten“. Die Erinnerung an sie hält die Vergangenheit gegenwärtig und macht sie erträglich.
Rithy Panh: Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg
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