- Für jedes Kind ein Instrument!
Die schönen Künste kommen in unserer Gesellschaft zu kurz - nicht nur im abgespeckten Bildungssystem, sondern auch im Alltag. Violinist Daniel Hope plädiert dafür, die soziale Kraft der Kreativität zu nutzen
Neulich sprach ich bei dem Branchenforum Classical Next. Über 800 internationale Fachbesucher waren nach Wien gekommen, Konzerthausmanager, Musiker, Künstleragenten, Vertreter von Labels und Vertrieben sowie Journalisten aus 40 Ländern. Zufällig fiel dieses Datum exakt auf den 100. Jahrestag der skandalösen Pariser Première von Igor Strawinskis „Le Sacre du Printemps“. Es gibt nicht viele Werke, die in den vergangenen 100 Jahren einen solchen Aufruhr ausgelöst haben.
Die Musikwelt hat sich seitdem radikal verändert. Wenn wir den Kassandrarufen glauben würden, wären wir klassischen Musiker schon am Ende. Schreckensbilder tauchen auf von Künstlern, die wie Mozart von Gläubigern verfolgt werden oder wie Schubert den Winter in ungeheizten Dachkammern verbringen und mit klammen Fingern ihr verstimmtes Fortepiano bedienen. Und was ist aus den Sponsoren-Millionen geworden, mit denen „Lehman Brothers“ und die anderen Pleite-Banken Musik und Theater unterstützen wollten? Darf man noch hoffen, dass die Schecks ausgehändigt werden? Wird es auch überhaupt Leute geben, die das Geld für eine Konzertkarte, eine CD, zumindest einen Download erübrigen?
Wer Musik liebt oder wer sie nur verkauft, beschäftigt sich mit solchen Fragen nicht erst seit der Finanzkrise. Die Musik hatte immer schon heilende Kräfte, und sei es nur, dass sie die Nerven beruhigt – so wie anno 1873, als Johann Strauss gleich nach dem großen Börsenkrach in Wien in seiner „Fledermaus“ schrieb: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Man sollte aber nicht vergessen, dass Krisen den Anstoß zu neuen Überlegungen geben, dass sie, wie es Max Frisch formuliert hat, in einen „produktiven Zustand“ übergehen können, sofern man ihnen „den Beigeschmack der Katastrophe nimmt“. Das Problem ist nur: Vor allem die jungen Menschen haben immer seltener Gelegenheit, klassische Musik zu entdecken. Der Ursachenkatalog wurde oft genug aufgezählt: Hausmusik ist zur Ausnahme geworden, der Musikunterricht in den Schulen unzureichend; klassische, angeblich antiquierte Konzerte schrecken ab; die Oper ist häufig elitär; die Eintrittspreise sind gesalzen, manche Zeitungskritiken abgehoben; gewisse Radioprogramme verbreiten nur belangloses Gedudel.
Es gibt aber keine Krise der klassischen Musik. Sie ist vital wie eh und je. Die Krise liegt in der Geringschätzung, die der Musik entgegengebracht wird. Was kann man dagegen tun? In Deutschland gibt es Künstler und Institutionen, die unermüdlich kämpfen, um die Musik an die Jugend zu bringen: Von Lars Vogts „Rhapsody in School“ bis zum „Netzwerk Junge Ohren“, von „Live Music Now“ bis zu „Jedem Kind ein Instrument“. Diese großartigen Organisationen machen Deutschland zum Vorreiter. Aber sie brauchen unsere Unterstützung, von Künstlerseite wie auch von der Musikbranche. Ich bin ein großer Befürworter der musischen Erziehung. Der Zweck der Kunsterziehung ist es aber nicht, Künstler zu produzieren. Ihr Zweck ist es, unserer Jugend eine humanistische Ausbildung zu ermöglichen, damit sie ein erfülltes und produktives Leben in einer freien Gesellschaft verwirklichen kann.
Wenn wir uns in einem globalen Markt wirtschaftlich behaupten wollen, brauchen wir Kreativität, Einfallsreichtum und Innovation. Aber echte Innovation kommt nicht nur durch Technologie, sie kommt durch Kunst. Kunst ist ein unverzichtbares Hilfsmittel, die Welt zu verstehen und zu definieren. Das Erwachsenwerden beginnt in der Phantasie eines Kindes. Aber in den vergangenen 20 Jahren blieb die Phantasie zugunsten des Marktes auf der Strecke. Und ein Markt macht nur eins – er legt Preise fest. Die Rolle von Kultur muss jedoch über das Wirtschaftliche hinausgehen. Ihr Fokus sollte der Wert sein und nicht der Preis.
Es gibt nur eine einzige soziale Kraft, die stark genug ist, um der Vermarktung von kulturellen Werten gegenzusteuern: unser Bildungssystem. Doch im Jahr 2013 werden die Kinder in unseren Schulen meistens ausgebildet ohne Musik, ohne bildende Kunst, Tanz oder literarische Künste. Die Ausbildung fördert in erster Linie die analytische Seite des Gehirns, während die andere Hälfte, die ganzheitliche, intuitive und ästhetische, unterentwickelt bleibt.
Musik lohnt sich – und das meine ich nicht materiell, auch wenn ich von der Musik lebe. Musik lohnt sich, weil sie jeden, der sie mit wachen Sinnen in sich aufnimmt, bereichert und mit Sphären vertraut macht, die ohne Musik verschlossen blieben. Lasst uns gemeinsam kämpfen, die Musik zu stärken, damit ihre Strahlkraft noch mehr Menschen erreicht und bereichert.
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