- „Wir brauchen digitale Selbstverteidigung“
Die Snowden-Enthüllungen, die NSA-Affäre und die Macht von Google und Facebook – Ohnmacht der Internetnutzer macht sich breit. Internetexperte Markus Beckedahl fordert Maßnahmen zur digitalen Selbstverteidigung
Cicero Online: Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger fordert einen Boykott gegen das Internet. Er bezeichnet Facebook als „asozial“ und plädiert dafür, E-Mails durch Postkarten zu ersetzen. Freut es Sie, dass die Kapitulation vor dem Internet offenbar schon im bildungsbürgerlichen Milieu angekommen ist?
Markus Beckedahl: Ich bin mir immer noch nicht sicher, was seine Intention war. Ich kenne sein Werk zu ungenau, aber ich habe zwei Lesarten: Die eine wäre eine versteckte Ironie, mit der er überspitzt mitgeteilt hat, dass wir ein Problem haben, das wir lösen müssen. Bei den meisten angekommen ist jedoch, dass ein älterer Mensch Angst vor den neuen digitalen Technologien hat und als eine Art Maschinenstürmer auftritt.
Aber er vertritt auch einige Punkte, denen ich zustimmen würde. Bei anderen Punkten bezweifle ich, ob er sie selbst kapiert hat. Zum Beispiel der Vorschlag, Postkarten zu nutzen, anstatt E-Mails zu schreiben. Oder der Hinweis, dass Onlinebanking böse ist. Denn selbst wenn ich zum Bankschalter gehe, werden meine Transaktionsdaten über die USA geschickt.
Ist Enzensbergers Aufruf nicht auch ein Spiegel eines breiten gesellschaftlichen Unbehagens in Bezug auf die unsichtbaren digitalen Mächte?
Ja, aber es war vor allem auch ein Aufschrei des intellektuellen Bürgertums, den ich für sehr sinnvoll halte. Denn der NSA-Skandal, der gezeigt hat, dass unser komplettes Leben überwacht wird, kann eigentlich gar nicht genug kritisiert werden. Es müsste eigentlich noch viel mehr Empörung geben. Daher bin ich froh über jeden, der dazu beiträgt und womöglich auch andere damit erreicht. Die Gefahr des Aufrufs besteht aber darin, dass wir noch ängstlichere Netzpolitikdebatten in Deutschland bekommen.
Enzensbergers Forderungen ähneln denen des Künstlers Hans Christian Dany, der in seinem Buch „Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft” vorschlägt, jegliche Online-Kommunikation zu unterbinden, da Proteste gegen eine kybernetische Überwachungsgesellschaft wirkungslos seien. Ist ein Rückzug ins Analoge nicht doch die letzte Konsequenz?
Das Internet hat mein Leben unbeschreiblich verbessert. Allein die Möglichkeit, unabhängig von Ort und Zeit mit Menschen zu kommunizieren, sich über unendlich viele Quellen informieren zu können, wann und wo immer ich will, möchte ich nicht mehr missen. Andererseits gebe ich Dany auch Recht. Im Jetzt-Zustand wäre die einzige Möglichkeit, sich dem Internet ganz zu entziehen. Das ist aber nicht die Lösung.
Was wäre denn eine Lösung?
Ich bin dafür, dass wir nicht aufgeben und die Snowden-Enthüllungen als Tritt in den Hintern betrachten und anfangen, das Netz so zu gestalten, dass wir zukünftig offener, dezentraler und verschlüsselt kommunizieren können.
Der neue Bundestagsausschuss „Digitale Agenda“ hat angekündigt, IT-Sicherheit und deutsche IT-Unternehmen zu fördern. Ist das nicht eine Chance, das Netz anders zu gestalten?
Natürlich ist es sinnvoll, digitale Souveränität und IT-Sicherheit zu fördern. Aber die Frage ist, was gefördert werden soll. Ich bin der Ansicht, dass vertrauenswürdige IT-Sicherheitsinfrastrukturen selbstverständlich Open Source sein müssten. Denn so lässt sich hinter die Software blicken und überprüfen, ob das Ganze so vertrauenswürdig ist wie vom Hersteller behauptet. Außerdem sind wir gespannt, ob bald auch Werkzeuge zur digitalen Selbstverteidigung gefördert werden.
Man kann sich heutzutage zwar schützen, indem man Mails mit „PGP“ (Anm. d. Red.: „Pretty Good Privacy“ bezeichnet eine spezielle Verschlüsselungsmethode) verschlüsselt, aber es ist immer noch zu kompliziert. Man könnte mit relativ wenig Mitteln Open-Source-Projekte so fördern, dass sie massenkompatibel werden. Wir benötigen eigentlich eine Kampagne, die vergleichbar ist mit der AIDS-Aufklärungskampagne. Statt „Gib Aids keine Chance, nutze Kondome!“ müsste es heißen: „Gib Überwachung keine Chance, nutze Verschlüsselungs- und Anonymisierungswerkzeuge!“
Edward Snowden hat in seiner jüngst gehaltenen Video-Rede auf dem Technologie-Festival „SXSW“ gefordert, dass die Reaktionen auf die NSA-Affäre weniger von der Politik als von der Technologiegemeinde kommen sollten. Stimmen Sie ihm zu?
Er hat Recht. Gerade bei der Entwicklung von neuen Kommunikationstechnologien muss die Verschlüsselung von Anfang an mitgedacht werden. Man denke nur an den Rohrkrepierer De-Mail, wo keine vernünftige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingebaut wurde. Gleichzeitig muss unsere Kommunikation dezentraler werden, damit weniger Einfallstore für kriminelle Geheimdienste entstehen. Bei monopolisierten Infrastrukturen muss man nur eine Datenbank anzapfen, wie es vermutlich über das Prism-Programm geschieht.
Ein oft zurückgespiegeltes Argument im Zusammenhang von Netzsicherheit ist, dass man selbst schuld sei, wenn man zu viel von sich preisgibt. Ein Argument, das sich schwer entkräften lässt…
Es wird ja gerade von Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung herangezogen. Der Unterschied ist aber: Wenn ich Daten von mir preisgebe, ist das eine Entscheidung, die ich selbst treffe – wobei man sich da auch immer fragen muss, ob es den Internetnutzern bewusst ist. Meistens ist das ja nicht der Fall. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist die Preisgabe hingegen verpflichtend. Ansonsten habe ich immer die Möglichkeit, auf Facebook und Google zu verzichten, und damit weniger Datenspuren zu hinterlassen. Das bedeutet aber auch einen größeren Verlust von Komfort, Geschwindigkeit und Kommunikationsmöglichkeiten.
Herr Beckedahl, Sie kritisiern auch, dass in Deutschland wie auch in Europa nach und nach die Netzneutralität – also das Prinzip der Gleichberechtigung von Daten im Internet – abgeschafft wird.
Es gibt seit einigen Jahren Technologien zum Netzwerkmanagement, die es Providern ermöglichen, „Verkehrsmanagement“ zu betreiben. Sie können entscheiden, dass bestimmte Dinge langsamer und andere schneller durchgehen oder auch gar nicht. Dieselben Technologien, die in China eingesetzt werden, um etwa den Dalai Lama herauszufischen, werden hierzulande von der Telekom benutzt, um Skype herauszufischen.
Der Unterschied zwischen Deutschland und China liegt in der Regel in einer Konfigurationsdatei. Diese kann sehr schnell ausgetauscht werden, etwa von Skype in Richtung Dalai Lama. Diese Technologien versetzen Kommunikationsanbieter in eine stärkere Machtrolle, da sie auf einmal entscheiden können, was auf den Endgeräten passiert. Eine solche Infrastruktur ist unkontrollierbar und sollte verboten werden. Früher war das Internet radikal dezentral organisiert. Das war es, was das Internet groß werden ließ: Man benötigte keine Lizenz. Eine kreative Idee und ein Server reichten aus, und dazwischen war nichts.
An welchen Stellen greifen deutsche Anbieter bereits ein?
Es genügt ein Blick auf die UMTS-Verträge bei T-Mobile oder Vodafone. Dort wird Peer-to-Peer-Kommunikation oder Instant Messaging verboten. Da ergibt sich bereits ein Problem: Was ist denn eine Peer-to-Peer-Verbindung? Eine Computer-zu-Computer-Verbindung. Damit wird eigentlich die Internetnutzung verboten.
Das ist eine Verletzung des „Ende-zu-Ende“-Prinzips.
Ja, ein weiteres Beispiel ist die Kooperation von T-Mobile mit dem Musikstreamingdienst Spotify. T-Mobile-Kunden können soviel Musik hören, wie sie wollen, unabhängig vom Datenvolumen ihres Telekomvertrags. So werden alle anderen Dienste benachteiligt. Das sollte verboten werden, denn es ist auch eine Wettbewerbsfrage.
Ein Verbot ist die Sache der Politik.
Ja, es ließe sich ganz einfach gesetzlich regeln. Aber die Telekommunikationsbranche hat sehr starke Lobbys, die viel einflussreicher sind als ehrenamtliche Aktivisten, die für Netzneutralität argumentieren.
Welche Gefahren stecken in der Monopolisierung Googles oder Facebook?
Google hat eine Marktdurchdringung von 93 Prozent im Suchmaschinenmarkt. Wir haben ja in den 90er-Jahren alle gehofft, dass das Internet zu mehr Dezentralität, Gleichberechtigung und Offenheit führt. Doch dann kamen die monopolisierenden Dienste. Wir haben zu spät bemerkt, dass das Netzwerkprinzip zu einer Monopolbildung führt.
Vor allem die Öffentlichkeit hat sich in diesem Zusammenhang stark verändert.
Wir haben es ja vor allem in den sozialen Medien mit privatisierten Öffentlichkeiten zutun. Es ist zwar immer noch eine Öffentlichkeit, aber sie ist eher vergleichbar mit einem Einkaufszentrum. Dort gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und nicht das Grundgesetz. Es sollte uns immer mehr bewusst werden, dass wir auf Facebook und Co. eigentlich keine Rechte haben.
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