Ulrike Moser und Jörg Thadeusz
Ulrike Moser und Jörg Thadeusz / Julia Marguier

Jörg Thadeusz im Gespräch mit Ulrike Moser - Cicero Podcast Literaturen Spezial: „Wieviel Sex ist in dem Buch von Herrn Schachinger?"“

Nach drei Jahren Pause ist jetzt endlich wieder Buchmessenzeit in Leipzig. Literaturfrühling! Ulrike Moser und Jörg Thadeusz haben sich in der Vielzahl der Neuerscheinungen umgesehen, eine kleine Auswahl getroffen - und sprechen über das Erwachsenwerden, über die Hölle, die Schule bedeuten kann, über kulturelle Aneignung. Und über Elefanten.

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Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Jörg Thadeusz ist Journalist, Radio- und Fernsehmoderator und schreibt Bücher. 

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Wo soll man nur anfangen bei all den Neuerscheinungen? Vielleicht bei einem Thema, das jeden betrifft? Was heißt es, erwachsen zu werden? Wie unterscheidet sich diese schwierige Zeit mit ihrer Langeweile, ihren Ängsten, ihren Hoffnungen, ihren Zweifeln, ihrem Suchen und ihrem Entdecken der eigenen Sexualität von Generation zu Generation? Wie wird sie geprägt von der Zeit, in der wir aufwachsen? Und könnte es nicht auch ganz anders sein?

Da ist zum Beispiel die junge Journalistin Marlene Knobloch, die ein außergewöhnlich kluges und dazu sprachlich elegant geschriebenes Buch über ihre Generation geschrieben hat. „Serious shit“ heißt es, und es geht um den Moment, als mit dem Einmarsch Putins in die Ukraine alle Gewissheiten zerschmettert wurden, man lebe in einer uninteressanten Zeit und man könne so einfach das Leben der Eltern fortsetzen. Eine Bilanz, so gar nicht wehleidig. Stattdessen reflektiert Knobloch, welche Erschütterung der Krieg bei jungen Menschen ausgelöst hat, die immer glaubten, Regisseure der eigenen Biografie zu sein, die mit dem Versprechen auf Wohlstand aufgewachsen sind, sich auf Twitter moralisch ereiferten und dabei übersahen, was in der Welt passierte. Marlene Knobloch sucht nach Wegen aus der Blase. Nach Orten des Gesprächs, über die Milieugrenzen hinweg. Oder wie Jörg Thadeusz es umschreibt: „Wenn die zu den jungen Leuten sagt, Freunde, interessiert euch bitte mal für die anderen, interessiert euch für die Politik und erwartet nicht, dass euch das so mundgerecht in einer veganen Bowl rübergereicht wird, damit ihr es auch genießbar findet, sondern entweder ihr interessiert euch dafür oder nicht ...“

Buchauswahl Leipziger Buchmesse
Buchauswahl Literaturen Spezial zur Leipziger Buchmesse / Julia Marguier


Oder nehmen wir Tonio Schachinger, einen jungen Autor aus Österreich und sein Buch „Echtzeitalter“. Nicht nur, weil Österreich Gastland der Buchmesse ist, sondern weil Schachinger den Schüler-, den Bildungs- und Entwicklungsroman ganz neu erzählt. Und uns Einblick gewährt in ein Wiener Elitegymnasium, eine Schule, die ist „wie Österreich, akademisch mittelmäßig, ambitionslos und trotzdem eingebildet“. Dafür denkbar elitär. Und so können sich auch die Schüler nichts anderes vorstellen, als den von den Eltern festgelegten Lebensweg zu gehen, und der bedeutet, Jura, Medizin oder BWL zu studieren. Und wie Schachinger das beschreibt, ist das alles auch ein böser Spaß. „Das Schöne an diesem Buch“, sagt Ulrike Moser, „ist, dass es in Wien spielt. Und das merkt man an der Sprache, an dieser schönen Boshaftigkeit, mit der viele Wiener sich selbst betrachten.“ Oder wie Schachinger schreibt: „Das Besondere an Wien sind die Wahnsinnigen mit bürgerlicher Fassade, die weitgehend funktionieren, aber nie von hier wegziehen könnten, weil ihr menschenfeindliches Verhalten in keiner anderen Stadt so wenig Konsequenzen hätte.“

Und dann ist da noch Dennis Gastmann. Er beschreibt in „Dalee“ die Geschichte eines Jungen, der mit seiner Familie und ihrem Arbeitselefanten nach der Unabhängigkeit Indiens mit einem schrottreifen Schiff auf die Andamanen reist, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ist das kulturelle Aneignung? Wenn ja, dann von ihrer schönsten Seite. Denn Gastmann lässt uns teilhaben an einer ungewöhnlichen Geschichte. Diesen Elefanten, mit dem der Junge befreundet ist, gab es wirklich. Und von ihm ist ein Foto geblieben, wie er scheinbar schwerelos im klaren Wasser der Andamanensee zu schweben scheint.

Das ist nicht nur poetisch, sondern zeigt auch, dass man nicht immer dorthin schauen sollte, wo am lautesten um Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Sondern dass es, wenn man einen Schritt zurücktritt, ganz ungewöhnliche Entdeckungen zu machen gibt.

Marlene Knobloch: Serious shit. Die Welt ist gefährlich und warum wir das erst jetzt merken. dtv, München 2023, 112 Seiten, 12 €

Tonio Schachinger: Echtzeitalter. Rowohlt, Hamburg 2023, 368 Seiten, 24 €

Dennis Gastmann: Dalee. Rowohlt, Hamburg 2023, 416 Seiten, 24 €
 

Das Gespräch wurde am 26. April 2023 aufgezeichnet. 
 

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