Das Journal - Joachim Fest und Er

Der Mythos von Albert Speer als «Lichtgestalt» im Nationalsozialismus hat viel zu lange überlebt

Der Verleger Wolf Jobst Siedler als «Heb­amme», der begnadete Geschichtserzähler Joachim Fest als «vernehmender Redakteur»: dieses Duo hat für lange Zeit das Bild eines Mannes der Zeitgeschichte modelliert. Ein deutscher Bürger, Nazi zwar, aber so nobel wie naiv, ein Verführter, gewiss ein Opportunist, den Lockungen der Macht erlegen, von Hitler fasziniert – aber schließlich ein Bußfertiger, «fast eine Lichtgestalt in einem schreckensvollen Verbrechen». Die Rede ist vom «Architekten des Führers», dem «Engel, der aus der Hölle kam», wie ihn Siedler einst charakterisierte: Albert Speer. In Wahrheit kam er nicht nur aus der «Hölle», als was auch immer, er hat sie mitgestaltet, er gehörte zu ihrem Personal.

Medienwirksam konnte der Eindruck, Speer habe von den NS-Verbrechen nicht gewusst (geschweige denn sie mitgeplant und vorbereitet), erst in den vergangenen Wochen demontiert werden. Obwohl in der Forschung schon seit längerem bekannt, hat einem größeren Publikum erst Heinrich Breloers Buch «Speer und Er» –  mehr noch als sein gleichnamiger vierteiliger Dokumentarfilm – verdeutlicht: Speer hat die Vernichtung der Juden in Europa nicht nur gebilligt. Er hat sie mit der ganzen Kraft seiner Ämter auch mit ins Werk gesetzt.

Weder in den von Joachim Fest redigierten «Erinnerungen» Speers, noch in dessen «Span­dauer Tagebüchern», noch in Fests Speer-Biografie finden sich diese Eindeutigkeiten. Es konnte sie nicht geben, weil der «schwer durchschaubare Mann» sie verweigerte. Speer war, wie einer der Hauptankläger der Nürnberger Prozesse bereits früh feststellte, der «geborene Selbstgestalter». Als solcher übernahm er eine allgemeine Verantwortung, betonte auch seine prinzipielle Schuld­bereitschaft – ohne aber je über das Ausmaß seiner persönlichen Schuld zu sprechen oder sich gar zu ihr zu bekennen.


«Ein aufregendes Spiel der Nationen»

Wie geschickt er diese «Unfähigkeit» kultivierte, kann nun in Joachim Fests Gedächtnisprotokollen nachgelesen werden, veröffentlicht unter dem Titel «Die unbeantwortbaren Fragen». Die Notizen entstanden seit den sechziger Jahren nach Gesprächen mit Speer. Zwar sieht Fest die «Treuherzigkeitskulissen», die Speer um seine Täterschaft herum errichtete, und stellt im Lichte neuer Forschungen ernüchtert fest, der Mann habe ihm und Siedler «eine Nase gedreht»; und doch bleibt ihm Speers Leben ein Rätsel. Vor allem deshalb, weil er sich als eigentlich moralisch integrer, kunstsinni­ger Mann mit bildungsbürgerlichem Hin­ter­grund mit der Barbarei eingelassen hatte.

Aber war dieses Leben wirklich so rätselhaft, wie Fest ein ums andere Mal versichert? Verkörpert sich in Albert Speer nicht vielmehr aufs Eindrücklichste das Versagen des deutschen Bürgertums? Es ging eben doch zusammen, was Fest für so enigmatisch wie beunruhigend hält: Eine «kultivierte Erscheinung» und skrupellose Täterschaft. Dies gilt insbesondere für jene «Kriegs­ju­gend­ge­ne­ration» der nach 1900 Geborenen, zu der eben auch Speer, Jahrgang 1905, gehörte.

Diese Generation erlebte den Ersten Weltkrieg, nach einem Wort Sebastian Haffners, als «großes, aufregend-begeistertes Spiel der Nationen»; eine Atmosphäre, in der die men­tale «Grundvision des Nazis­mus» gedieh und im Kampf gegen die Weimarer Repub­lik reifte; eine Vision der «Simplizität» und «Aktionslust», der «Intoleranz und Grausam­keit gegen den innenpolitischen Gegner».

In diesem Umfeld entstand die eigent­liche «Generation des Nazismus», durchaus mit bürgerlichem Hintergrund, versehen mit Diplomen und Doktortiteln, Anfang der dreißiger Jahre bedroht durch Arbeitslosigkeit und umso eifriger die beruflichen Aufstiegschancen nutzend, die durch die «Macht­ergreifung» geboten wurden.

Vielleicht liegt das Erstaunliche gar nicht so sehr im bürgerlichen Hintergrund des Albert Speer. Das eigentlich Erstaunliche ist die Obsession, mit der sein «vernehmender Redakteur» um die bürgerliche Her­kunft Speers kreist. Man darf nicht die Zeit vergessen, in der Fest sich mit Speer zu beschäftigen begann: Ende der sechziger Jahre, in einer Epoche, in der die Achtundsechziger ansetzten, die Erinnerung an den Nationalsozialismus zum zentralen politischen Projekt zu erheben. Es ist Fests Überzeugung, dass dabei auch vieles wieder lebendig wurde, was Hitler zum Erfolg verhalf: von der Intoleranz der Handelnden bis zu ihrem verblendet-romantizistischen Utopismus. Nicht zuletzt gegen dieses Bedrohungsszenario bringt Fest das westlich orientierte, kühl-skeptische Bürgertum in Stellung.

Wenn selbst ein Mann wie Speer, so Fest, «mit seinem sozialen und familiären Hintergrund einer derart bösartigen Herrschaft so besinnungslos verfallen konnte», dann gibt es womöglich keinerlei «Sicherung gegen solchen Verlust aller Maßstäbe». Es sind melancholische, geschichtsfatalisti­sche Mementos wie dies, hinter denen das gar nicht rätselhafte Bild Speers zu verschwimmen droht: das Bild eines dezidiert antisemi­tischen, nicht bloß «verstrickten», sondern mittuenden Nationalsozialisten.

 

Joachim Fest
Die unbeantwortbaren Fragen. Gespräche mit Albert Speer
Rowohlt, Reinbek 2005. 270 S., 19,90 €

Heinrich Breloer
Speer und Er. Hitlers Architekt und Rüstungsminister
In Zusammenarbeit mit Barbara Hoffmeister.
Propyläen, Berlin 2005. 415 S., 24,95 €

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