- „Ich mache Liebe durch die Kamera“
Er hat die buschigsten Augenbrauen der deutschen Filmriege: Fatih Akin. Nun hat der deutsch-türkische Filmemacher eine Langzeitdokumentation gedreht – über den Bau einer Mülldeponie im Dorf seiner türkischen Großeltern. Im Interview erklärt er, warum die Türkei nicht seine Heimat ist. Außerdem sprach er über verlorene Helden, Liebe, Tod und Teufel
Herr Akin, was guckt ein Filmemacher,
bevor er ins Bett geht?
Ziemlich viel Schrott. Aber
dazwischen beschäftige ich mich gerade wieder intensiv mit Clint
Eastwoods Werk, wegen seiner Stuhlrede, die er im US-Wahlkampf für
Mitt Romney gehalten hat.
Haben Sie denn Eastwoods Arbeit bisher als reaktionär
empfunden?
Im Gegenteil. Ich habe sie immer als sehr
liberal gesehen. Genau deshalb sehe ich mir seine Filme nun noch
einmal an, um herauszufinden, ob man sie auch reaktionär verstehen
kann.
Und, bestätigt sich dieses Bild?
Einen Film
wie Gran Torino, den ich immer mit einem Augenzwinkern auf
Eastwoods Dirty-Harry-Image gesehen habe, kann man durchaus als
reaktionär begreifen. Provokant, christlich-erlösend, die Lösung
aber auch immer in der Konfrontation, der Gewalt suchend.
Unforgiven zum Beispiel, ein Western, den ich immer für
großartig hielt, gipfelt in diesem unglaublichen Blutbad, wo
Eastwood am Schluss alle abknallt. Die Geschichte des Films mag
dieses Ende legitimieren, letztendlich ist es aber ein Plädoyer für
gewalttätige Vergeltung. Durch diese Stuhlrede hat sich mein Bild
von Clint Eastwood als großer, liberaler Filmemacher vollkommen
verschoben.
Hat er damit seinen Heldenstatus für Sie
eingebüßt?
Zumindest zeige ich mich ernüchtert. Ich
habe mich eigentlich auf das Alter gefreut, gerade wegen der Reife,
der Größe Eastwoods. Ich dachte, man macht weniger Dummheiten, wird
weise. Aber nun denke ich mir: Alter schützt vor Dummheit
nicht.
Ebenso wie Eastwood werden auch Sie als unprätentiös
beschrieben. Ihre Filme sind schlicht, changieren zwischen Realität
und Künstlichkeit. Sind Sie ein verkappter Neorealist?
Auf jeden Fall bin ich vom Neorealismus inspiriert. Filme wie de
Sicas Fahrraddiebe, La Dolce Vita von Fellini
oder Rom, offene Stadt von Rossellini waren
Aha-Erlebnisse, Wendepunkte in meiner Wahrnehmung. Eine neue Idee
davon, wie man Filme auch machen kann. Der Neorealismus schöpft
seine Kraft aus der Einfachheit, was ich sehr inspirierend finde –
gerade auch bei Eastwood. Ich bemühe mich um Realismus, aber ich
würde meine Filme nicht als neorealistisch bezeichnen. Gegen
die Wand kommt dieser Idee vielleicht am nächsten, doch gehe
ich hier sehr offensiv mit Musik um, was der Neorealismus nicht
getan hat.
Wie würden Sie Ihre Filme selbst beschreiben, wenn Sie
müssten?
Ich versuche, Cineasten und
Vor-dem-Zaun-Publikum gleichermaßen zu bedienen. Eine Schnittmenge
schaffen zwischen Autorenfilm und dem großen Kino, das sind die
besten Filme.
Ihr neuester Film geht in eine völlig andere Richtung.
Müll im Garten Eden ist eine Langzeitdokumentation, die
Dreharbeiten dazu zogen sich über fünf Jahre hin. Wann wussten Sie,
dass Sie fertig sind?
Gar nicht. Ich bin froh, dass
ich diesen Film überhaupt zu Ende gebracht habe. Viele haben schon
gar nicht mehr daran geglaubt... Dieser Film war für mich ein
Lehrstück über Geduld, weil ich kein geduldiger Mensch bin. Und
fünf Jahre sind eine lange Zeit. Müll im Garten Eden war
nicht von Anfang an als Langzeitdoku konzipiert. Das hat sich durch
den Bau der Mülldeponie im Heimatort meiner Großeltern eher so
ergeben. Zwischendurch musste ich die Arbeit unterbrechen, ich
drehte andere Filme. Aber dass er dann eben doch fertig wurde und
zwar nicht schlampig, sondern, wie ich finde, gewissenhaft,
konsequent und mit einer erzählerischen Strenge – darauf bin ich
sehr stolz.
Hier wird kein kulturell vibrierendes Istanbul gefeiert,
wie in Ihrem letzten Dokumentarfilm Crossing the Bridge.
Es wird getrauert, denn den „Garten Eden“ Ihrer Großeltern gibt es
nicht mehr. Ein nostalgisches Bekenntnis?
Ich würde es
nicht Nostalgie nennen. Die Welt, in der ich mich bewege,
beinhaltet Cafés, viele Menschen, Verkehr, Architektur, Frauen,
Frauen, die im Sommer wenig Kleidung tragen... Das trifft auf
diesen Film alles nicht zu. Er beschreibt eine ganz andere
Welt.
Er beschreibt die Welt Ihrer Großeltern, das Leben
abseits der Metropole, die Türkei als paradiesisches Eden, als
Sehnsuchtsort und nicht zuletzt die Heimat als einen Ort, den es zu
schützen gilt.
Die Türkei ist nicht meine Heimat. Sie
ist kein Sehnsuchtsort – nicht für mich. Auch nicht das Dorf meiner
Großeltern.
Seite 2: „Die Liebe hat eine konstruktive Kraft, kann aber umschlagen in etwas Negatives“
Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat hat für
mich pragmatische Gründe. Sie dient der Beantwortung von Fragen,
wie: Wo ernähre ich mich und meine Familie? Wo und wie wachsen
meine Kinder auf? Wo verdiene ich mein Geld? Wo habe ich die
Freiheiten, das zu tun, was ich tun möchte? Heimat hat sehr viel
mit Freiheit zu tun. Sie wird nicht dadurch bedingt, wo man geboren
wird.
Dennoch ist die Türkei für Sie „heiliger
Boden“.
Das stimmt. Praktischer wäre allerdings ein
neutraler Boden.
Warum dann also dieser Film? Warum diese Romantisierung,
die Stilisierung der Türkei zum Paradies?
Es gibt hier
keine Romantizismen, eine emotionale Verbindung aber schon. Ich
liebe die Türkei. Warum auch immer. Ich fühle mich mit ihr
verbunden und für sie verantwortlich. Nun habe ich das Schicksal,
prominent zu sein. Diese Prominenz verleiht mir eine gewisse Macht,
weil die Menschen einen anders wahrnehmen. Und wenn ich diese Macht
nun benutzen kann, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, dann nehme
ich diese Nebenwirkung der Prominenz gerne wahr.
Es ist ein leises Plädoyer für Zivilcourage, kein
flammender Aufruf zur Revolution. Haben Sie dennoch die Hoffnung,
mit diesem Film etwas zu verändern?
Ich glaube zwar
nicht, dass ein einziger Film etwas ändern kann. Aber ich glaube,
dass Filme Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins werden können.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Sie arbeiten derzeit an Ihrem letzten Teil einer
Trilogie über Liebe, Tod und Teufel. Wie schlüsseln Sie dieses
geometrische Gleichnis auf?
Es ist ein Versuch, eine
physikalische Gleichung zu schaffen, um den Menschen zu
erklären.
[gallery:Chaplin – Das Erbe eines Namens]
Wie ist der Mensch?
Er besteht und entsteht
aus Liebe, aus dem Göttlichen, der Kraft des Lebens. Die Liebe ist
ein Attribut für alle positiven Elemente des Menschen, für
Empathie, Vergebung, Neugier, Konstruktivität. Im Gegensatz dazu
steht der Teufel mit Neid, Gier und Destruktivität.
Liebe kann auch destruktiv sein.
Sehr
richtig. Dafür gibt es schließlich das verbindende Element zwischen
Liebe und Teufel: den Tod. Nicht als abschließendes, sondern als
transzendentes Element des Übergangs. Die Liebe hat eine
konstruktive Kraft, kann aber umschlagen in etwas Negatives. Alles
was gut ist, kann durch Transzendenz schlecht werden. Und alles was
schlecht ist, kann gut werden.
Das Göttliche, der Teufel, die Transzendenz – klingt
nach einer bekannten Dreieinigkeit. Wird mit diesem Gleichnis für
Sie das Filmemachen zu einer Art (Ersatz)Religion?
Religion ist in meinen Filmen eher negativ behaftet. Spiritualität
dagegen positiv. Ich versuche, meine spirituellen Gedanken nicht
unbedingt in meine Filme einfließen zu lassen. Zumindest nicht
vordergründig.
Ihre Protagonisten sind vornehmlich Außenseiter,
Grenzgänger, Randfiguren...
...Ich empfinde meine Figuren gar nicht so sehr als Randfiguren. Es
sind Figuren aus dem Zentrum meines Lebens. Dann müsste ich ja
selbst eine Randfigur sein. Gut, vielleicht bin ich das.
Es lässt sich nun aber nicht leugnen, dass Sie ein
Faible für Outcasts haben.
Wenn ich in Hollywood
arbeiten würde, dann kämen meine Helden wahrscheinlich aus dem
asiatischen Raum, aus Korea vielleicht. Es wären Orientalen, jemand
aus dem Iran oder ein Mexikaner, der in L.A. lebt. Aus Sicht
Hollywoods: Außenseiter. Wenn man aber genau hinsieht, wird jedes
Deli von Orientalen betrieben, jede Putzfrau kommt aus Mexiko. Die
Hauptfiguren der Hollywoodmaschinerie zeigen meistens weiße
Angelsachsen – so sieht die Wirklichkeit aber nun einmal nicht aus.
Das hat was mit gelenkter Wahrnehmung zu tun.
Selbst wenn man es nicht über die ethnische oder
kulturelle Herkunft herleitet, sind Ihre Figuren immerhin soziale
Außenseiter, die beispielsweise immer wieder in Konflikt mit dem
Gesetz geraten. Warum?
Wir haben doch alle Coppolas
Outsiders gesehen. Konfliktfiguren sind immer
interessanter. Wir identifizieren uns automatisch eher mit dem
Schwächeren, dem Opfer, als mit den Sonnenkindern dieser Erde.
Meistens dann, wenn man sich seiner eigenen Schwächen
bewusst ist. Gestehen Sie sich Schwächen zu?
Wenn ich
sie jetzt benennen würde, dann würde ich meinen Feinden einen
Angriffspunkt bieten – und das will ich nicht. Ich versuche,
übermenschlich zu sein, ohne Schwächen, wie Nietzsche.
Seite 3: „Ich schlafe nicht mit meinen Schauspielerinnen“
Und, klappt das mit dem Übermensch?
Es wäre
einfacher, wenn man allein ist. Dann gäbe es viel weniger, wovor
man sich fürchten muss. Außer vielleicht vor der Einsamkeit.
Mit der Sie sich aber durchaus identifizieren können.
Zumindest sprachen Sie einmal von der „übergroßen Identifikation“
mit Jungs wie James Dean, Marlon Brando, Mickey Rourke, Klaus
Kinski oder Kurt Cobain. Was hat es mit diesem archaischen Bild des
einsamen Wolfes auf sich?
Es ist vielleicht weniger
eine Identifikation als eine Faszination, ein dunkler Magnetismus.
Das selbstzerstörerische Element eines Kurt Cobain fasziniert mich.
Doch selbst wenn ich so einen Drang hätte, ich könnte ihm nicht
nachgehen, weil ich eine Familie habe. Ich bin kein einsamer Wolf,
das ist Wim Wenders: Die Flucht des Mannes in die Einsamkeit. Meine
Figuren sind es auch nicht.
Obwohl der Protagonist aus Gegen die Wand sehr
steppenwölfische Züge trägt.
Aber er verliebt sich.
Auch wenn diese Liebe scheitert.
Warum scheitert sie eigentlich?
Der Film
beschreibt nicht die ewige Liebe. Er erzählt davon, dass sie
endlich ist. Ich war jahrelang in dieselbe Frau verliebt,
irgendwann aber nicht mehr. Das hörte einfach auf. Zum Glück. Sonst
hätte ich meine Frau nie kennengelernt.
Dann ist Liebe also endlich?
Sie kann
endlich sein.
[gallery:Zwischen Weltruhm und Propaganda: Die Filmstudios Babelsberg]
Kann sie auch unendlich sein?
Bestimmt. Sie
ist nie nur so oder nur so. Dafür ist das Leben zu
vielschichtig.
Sie haben Hollywood erwähnt. Würden Sie gerne einmal in
Hollywood arbeiten?
Ja, sogar sehr gerne. Ich würde
gerne mit drei Frauen arbeiten: Kirsten Dunst, Diane Kruger und
Angelina Jolie.
Warum gerade mit diesen drei begehrten
Frauen?
Frauen sind interessanter als Männer. Sie sind
komplexer, ästhetischer. Und außerdem ist das, was ich nicht kenne,
immer interessanter, als das, was ich kenne. Einen Film zu machen,
hat auch damit zu tun, seine Neugier zu befriedigen. Ich schlafe
nicht mit meinen Schauspielerinnen. Aber ich arbeite gerne mit
Frauen zusammen, bei denen man vielleicht davon träumt.
Verstehe ich Sie richtig? Sie filmen die Frauen, weil
Sie nicht mit ihnen schlafen können?
Es ist viel
schöner! Es ist der Wunsch, mit diesen Frauen Liebe zu machen. Das
kann ich nicht physisch, aber durch die Kamera. Und das ist sehr
befriedigend.
Herr Akin, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
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