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Alte Bands beherrschen die Charts - Die ewigen Zombies

Rock’n‘Roll ist nicht tot, er riecht nur etwas streng: Von Led Zeppelin bis zu Neil Young beherrschen lauter Altvordere die Charts – aber der musikalische Manierismus hat seine Berechtigung

Autoreninfo

Willander, Arne

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Ein Blick in die Charts im Dezember 2012: Led Zeppelin stehen ganz oben, dahinter die Rolling Stones, die vorher ganz oben standen, dann Joe Cocker und Rod Stewart. Im Buchhandel liegen Autobiografien von demselben Rod Stewart, von Neil Young und Pete Townshend – und ein dickleibiger Band mit sämtlichen Briefen, Telegrammen, Zetteln und Notizen von John Lennon, gekauft, ersteigert, geschnorrt und gesammelt von einem Authentizitätsfanatiker mit viel Zeit. Eben veröffentlicht wurden alle Vinyl-Schallplatten von The Who und den Beatles als originalgetreue Repliken, das Gesamtwerk von Johnny Cash im Schuber, die Platte „The Gift“ von The Jam aus dem Jahr 1982 in einer Luxus-Edition. Und im März erscheint ein neues Album von Jimi Hendrix, aufgenommen 1968.

Krise? Welche Krise? Die Plattenindustrie meldet erstmals seit der Jahrtausendwende leichte Gewinne, der Anteil von Schallplatten am Gesamtumsatz steigt, fast jedes Album wird in einer teuren Vinyl-Ausgabe aufgelegt. Während die Jugend die Tracks von Casting-Figuren aus Wolken herunterlädt, kaufen die Juvenilen von 1965 teure Plattenspieler und Lautsprecherboxen und hören neue Scheiben von Leonard Cohen, Neil Young und Donald Fagen. Und weil mit Konzerten heute mehr Geld verdient wird als mit CDs, befinden sich die Altvorderen auf einer Never Ending Tour: Bob Dylan natürlich, Bruce Springsteen, Donovan, Cliff Richard, die Beach Boys, Crosby, Stills & Nash, Leonard Cohen, Meat Loaf, The Cure. Und die Rolling Stones im 51. Jahr ihres Bestehens. Der Rock ’n’ Roll, hätte Frank Zappa gesagt, ist nicht tot – er riecht nur ein bisschen komisch.

Das Lamento über die ewige Wiederkehr der Gleichen ist wohlfeil – denn wir laufen ja in einem Gemenge aus Sentimentalität, Neugier und Torschlusspanik immer wieder hin, wenn Neil Diamond singt oder Kris Kristofferson. Der Songschreiber Randy Newman, selbst 68 Jahre alt, konstatiert in seinem Song „I’m Dead (But I Don’t Know It)“: „Each record that I make is like a record that I made – just not as good.“ Bei Konzerten witzelt er, dass all die Bands noch unterwegs sind – und alle haben ihre Abschiedstourneen längst hinter sich: R. E. O. Speedwagon, Journey, Mötley Crüe, Chicago, die Scorpions. Nach den sechziger und siebziger Jahren wurden die Achtziger historisch-kritisch aufgearbeitet und zum „Kult“ reduziert, jetzt erscheinen die Neunziger als Fünf-CD-Box-Sets mit Bildband, Textbüchlein, Geleitwort und Aufnahmen aus der Werkstatt.

Der englische Autor Simon Reynolds untersucht das Phänomen der nicht weichenden Vergangenheit in seinem Buch „Retromania“ und formuliert einige steile Thesen. In einer Überlegung setzt er die Popkultur parallel zum Finanzwesen: virtuelle Werte, windige Geschäfte, Handel mit immer neu verpackten Derivaten, steigende und fallende Kurse, Verlust des Überblicks – und irgendwann der Zusammenbruch des fragilen Systems. Doch der kühne Vergleich hinkt: Für die Popkultur hatte die letzte Stunde schon geschlagen, als CD-Brenner, MP3-Geräte und Tauschbörsen gegen Ende der neunziger Jahre das eben noch florierende Geschäft zunichtemachten. Im Jahr 2000 verkaufte die Gruppe N’Snyc in den USA zehn Millionen CDs. Seitdem erreichte kaum ein Album zwei Millionen Exemplare, bis die Sängerin Adele es im vergangenen Jahr auf mehr als fünf Millionen Einheiten brachte; Taylor Swift steht derzeit bei mehr als vier Millionen. Darunter sind freilich Downloads und Streams; aber es wird Geld verdient.

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Der beispiellose Aufstieg der Retro-Kunstfigur Lady Gaga zeigt, dass auch das Prinzip des Eklektizismus funktioniert. Die Sex-Künstlerin Rihanna hat mittlerweile mehr Nummer-eins-Singles in den USA zu verzeichnen als Madonna und Whitney Houston, obwohl junge Menschen gar nicht wissen, was früher eine Single war. Zwar sind die Zeiten vorbei, da ein Songschreiber wie Jackson Browne sieben Millionen Stück von einem Album absetzen konnte, doch der globale Erfolg der schottischen Rumpel-Folk-Band Mumford & Sons belegt, dass es neue Retro-Phänomene gibt, die sich der Analyse entziehen: Die gläubigen Musiker spielen herzzerreißend naive Weisen auf Waschbrett, Schlagzeug, Banjo und Flöte – in Stadien.

Nach dem Triumph und Tod von Amy Winehouse wurden eine, zwei, viele Amys entdeckt – Retro-Soul war das Gebot der Stunde. Mit verhalltem Gesang und einer Bläser-Sektion im Stil der sechziger Jahre reproduzieren tüchtige Adepten den Sound der Supremes, der Ronettes, der Shirelles und Shangri-Las. Amy Winehouse war so gut und so verblüffend, weil sie die Songs auf den alten Platten kannte und internalisiert hatte – den Retro-Stil musste sie gegen ihre Plattenfirma durchsetzen. Heute singen die Mädchen bei „Deutschland sucht den Superstar“ den amerikanischen Soul der Sechziger.

In der Kunst gibt es diese Rückbesinnung seit je – dort heißt sie Manierismus. Wir rekurrieren auf die alten Helden, weil wir das Authentische begehren, das gelebte Leben, die gemeinsame Geschichte, die Narben auf der Seele. Wir weinen bittere Zähren, wenn Donna Summer stirbt. Wir trauern um Robin Gibb. Wir legen alte Abba-Platten auf. Und in der Erinnerung wird das Konzert von R.E.M. immer besser. Die Rockmusik ist eine Nostalgie- und Verklärungsmaschine, die uns zugleich eine ewige Gegenwart vorgaukelt und brutal daran gemahnt, dass die Einschläge näher kommen.

Es spricht viel dafür, dass die Zukunft der Popmusik in der Gleichzeitigkeit liegen wird, im „Anything goes!“ Also dort, wo sie schon immer lag. Auch die nimmermüden Alten gehorchen nicht der billigen Etikettierung als „Vintage Rock“: Der ehemalige Schnulzensänger und Mädchenschwarm Scott Walker ist heute der konsequenteste Avantgardist, der enigmatische Hörspiele für ein seltsames Instrumentarium wie Schweinehälften und Krummsäbel komponiert. Auch dieser Sonderling plant, nach vier Jahrzehnten wieder auf Tournee zu gehen. Soll er nur! Wir rufen dann aber nach „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“.

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