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(Cicero)

Achim Kaufmann - Piano Paradox

Achim Kaufmann ist einer der aufregendsten Jazzpianisten - trotzdem gibt es kaum Aufnahmen von ihm.

Das Klavier ist im modernen Jazz in den Hintergrund getreten. Klar, da sind die Helden von einst, Chick Corea oder Herbie Hancock oder der unerschöpfliche Keith Jarrett; es gibt die Riege der smarten, jungen Hipster, die mit ihrer nicht immer sehr originellen, eklektischen Musik regelmäßig Kammermusiksäle füllen; Brad Mehldau mit Namen, Jason Moran oder Vijay Iyer.

Geht man dagegen an jene Orte, an denen neue Wege beschritten werden, wo kompromisslos nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht wird, ob in Berlin oder Brooklyn, dann fällt doch auf, dass – wie schon zu Zeiten Louis Armstrongs oder Charlie Parkers – die wichtigen Impulse von Bläsern ausgehen, von Klarinettisten wie Rudi Mahall oder von Trompetern wie Thomas Heberer.

Einer aber fällt da aus dem Rahmen, ein Pianist, der sich dem Mainstream strikt verweigert und stetig an einer eigenständigen musikalischen Handschrift arbeitet: Achim Kaufmann. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er, wenn man ihn in seiner Wohnung im Berliner Wedding zwischen riesigen Zimmerpflanzen nach seinen Helden, nach pianistischen Vorbildern fragt, fast abwehrend reagiert: „Natürlich Bud Powell, Monk oder Herbie Nichols, aber eigentlich alle. Alle, die gut sind.“ Was aber ist gut? „Das kann auch afrikanische Musik sein oder Bob Dylan. Wenn es vielschichtig ist, wenn man immer wieder Neues in ihr entdecken kann. Klang, Rhythmus. Das kann man natürlich auch durch Komposition erreichen. Aber mein Mittel ist eben die Improvisation.“

Wobei, wenn man die Ohren aufspannt, auch der Einfluss klassischer Musik in Kaufmanns Spiel erkennbar ist: Haydn, Schönberg, Messiaen. Mit Anfang zwanzig habe ihn, als er in Dortmund Zivildienst leistete, sein dortiger Lehrer Frank Wunsch auch an vorbarocke Klavierliteratur herangeführt. Von Haus aus hätte er ohnehin die besten Voraussetzungen gehabt, Vater wie Mutter seien klassische Pianisten, aber als Kind habe es mit dem Unterricht nie so recht geklappt. Erst als er mit 15 Jahren den Jazz für sich entdeckte, begann er ernsthaft, sich mit dem Klavier auseinanderzusetzen.

Jetzt steht ein Flügel der Firma Ibach in seiner Wohnung, ein schönes Stück aus den zwanziger Jahren, mit warmem Klang, „ziemlich heruntergespielt allerdings, ich müsste ihn mal aufarbeiten lassen. Oder eben doch ein modernes Instrument kaufen.“

Kaufmann spricht ruhig und zurückhaltend. Er gehört zu jenen, die erst einmal hören, was die anderen so machen, anstatt sofort selbst in die Tasten zu hauen. Ein Beobachter, der den Dingen geduldig beim Wachsen zusieht. So ist, obwohl er in diesem Jahr 50 wurde, sein Oeuvre doch recht überschaubar. Einige hochgelobte Trio- und Quartetteinspielungen, eine Soloplatte, und gerade ist eine neue CD erschienen, „Geäder“ (gligg records), die vierte Einspielung mit zwei langjährigen Weggefährten, dem Saxofonisten Frank Gratkowski und dem Bassisten Wilbert de Joode.

Vollständig frei improvisiert, wie diese Aufnahme ist, hat man über weite Strecken doch den Eindruck, dass das alles geplant und durchdacht sein muss, so organisch wirkt die Musik, so selbstverständlich entwickelt sich das eine aus dem anderen, so eng verzahnt ist das Zusammenspiel.

Achim Kaufmann lebt ein Paradox: Er ist Perfektionist und setzt sich doch mit jedem Konzert wieder dem Neuen aus, der stetigen Überraschung. Man brauche viel Erfahrung, um frei spielen zu können, sagt er. So habe es zum Beispiel lange gedauert, bis er begriffen habe, dass man zuweilen auch offensiv gegen das Spiel der Mitmusiker anspielen müsse, damit insgesamt etwas Gutes entstehe.

Diese Erfahrungen hat Kaufmann vor allem in Amsterdam gesammelt, wo er 13 Jahre lang lebte, bevor er 2009 nach Berlin ging. Weil es größer ist, wie er sagt, weil es hier größere Wohnungen gebe, die man sich auch als Jazzpianist leisten könne, und natürlich, weil die Szene hier so lebendig sei, weil so viele Freunde in Berlin lebten. Dabei stützt er sein Kinn auf die Pianistenhand, den langen weißen Daumen fast bis zum Ohr gespreizt. Im Hintergrund steht die riesige Schallplattensammlung im Regal, bemalte Holztafeln hängen an den Wänden, und von draußen scheint die Weddinger Sonne hinein. Ein Fotograf kommt und bittet den Pianisten, seine Nase doch bitte etwas weiter nach rechts zu wenden. „Nur die Nase“, sagt Kaufmann, „das dürfte schwer werden.“ Später setzt er sich an den Ibach und spielt für die Besucher ein paar Takte. Erst klingt es nach Fingerübungen, die chromatische Tonleiter rauf und runter. Dann aber nehmen Kaufmanns Finger eine seltsame Abzweigung, ein paar Töne prallen zusammen, und es klingt so, als seien sie selbst erstaunt, einander hier zu treffen. Da aber sind die Hände schon weitergewandert. Für lange Abschiede bleibt keine Zeit. Und auch wir müssen wieder gehen.

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