- Schlammschlacht-Defizit der Deutschen
Negativkampagnen sind in den USA der Renner. Die deutschen Parteien aber beherrschen die Kunst der politischen Schlammschlacht nicht. Sie gehen entweder zu anständig vor oder greifen komplett daneben
Mud-Slinging nennen sie es in den Vereinigten Staaten oder, wenn man einen zivilisierteren Umgangston pflegt, auch negative campaigning. Die Strategie der Negativkampagne beziehungsweise der Schlammschlacht gehört seit Jahren zum Repertoire amerikanischer Wahlkämpfer. Kein Auftritt, kein Spot des einen Kandidaten läuft ohne Angriff des anderen ab. Direkt, gewaltig, schamlos. Die Schlammschlacht ist so in der politischen Kultur der USA so akzeptiert wie erfolgreich.
Und hierzulande?
Selbstverständlich versuchen sich die Parteien in Deutschland daran – auch vor den Bundestagswahlen in diesem Jahr.
Nur stellen sie sich dabei viel schlechter an als die Amerikaner. Zum einen, weil sie vorsichtig vorgehen, zum anderen, weil sie einfach falsch ansetzen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein zwei Jahre altes Internet-Video der CSU, das einen „Blick hinter die Fassade der Grünen“ verspricht, aber vielmehr die Unzulänglichkeiten der bayerischen Partei offenbart: in Bezug auf Wählerstimmungen und den Umgang mit dem Internet.
Eigentlich funktioniert es doch
Die Grünen befinden sich unter anderem im Zuge ihres Engagements gegen Stuttgart 21 gerade im Umfragehoch, da trällert die CSU los: „Ein Männlein steht im Walde, ganz grün und dumm. Es hat vor lauter Protest eine Steinschleuder um. Grün sein und dagegen sein, mit Pflaster-, Schotter-, Ziegelstein...“ Das könnte die Leute aufregen. Dumm nur, dass die CSU die Kommentarfunktion bei youtube vorsichtshalber deaktiviert hatte. So war das Video vor allem eins: allerbeste Eigenwerbung für die Grünen.
Peinlicher und geschmackloser stellte sich jetzt nur noch FDP-Politiker Lars Lindemann an, als er auf seiner Facebook-Seite ein Werbebild einer Nazi-Kampagne neu auflegte, um die Forderung der Grünen nach einem vegetarischen Tag in deutschen Kantinen zu diskreditieren.
Wo bleibt der Anstand, die politische Fairness?
Dabei zeigen Studien, dass gute Negativ-Kampagnen durchaus funktionieren. „Wenn es in der eigenen Werbung glaubhaft gelingt, die Position des anderen als falsch oder fern der Realität darzustellen, kommt dies beim Wähler tendenziell positiv an“, sagt Juliana Fernandes, die über politische Kommunikation an der Universität von Miami forscht. In Deutschland hingegen scheint die Moral wenigstens indirekt immer mit zu werben. All zu deutlich als Wahlkampf zu verstehende Sprüche und Schmähungen gehören sich nicht. Wo bleibt denn da der Anstand, die politische Fairness?
Merkel macht Urlaub - und profitiert
So sieht es aus: Während die Kanzlerin im Urlaub durch Südtirol wandert, geht der SPD-Kandidat Peer Steinbrück von Mikrofon zu Mikrofon, tingelt von Talkshow zu Talkshow, um die Defizite von Angelas Merkels Politik anzuklagen. Und dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass die Kanzlerin trotz – oder gerade wegen ihrer Abwesenheit – dabei nur gewinnt. Und zwar nicht nur, weil Steinbrück manch queren Verweis von ihrer Sozialisation im Osten zur Leidenschaft für Europa herstellt.
Sein Vorgehen zeigt auch, dass es wenig hilft, sich den stärksten Part des Gegners für seine eigenen Angriffe auszusuchen. Das ist im Sport nicht anders als in der Politik. Seit Jahren erzielt die Kanzlerin unglaublich gute Beliebtheitswerte. Soll sich das nun ändern, weil die SPD sie auf ihren Plakaten mit blödem Gesicht zeigt, unter dem steht:„Privatsphäre: Neuland für Merkel? Was wirklich hängen bleibt, ist das Bild der Kanzlerin. Nicht die Stärke der SPD.
Irgendwie mag man es ja beinahe romantisch finden, dass es keiner Partei richtig gelingt, sich über die Fehler der anderen in Szene zu setzen. Andererseits würde eine gelungene Negativ-Kampagne, eine zumindest kleine Schlammschlacht zwischen den Parteien wirklich mal helfen. Gegen die Langeweile im Wahlkampf.
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