- „Nächste Woche tritt Rösler ab”
Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Thorsten Faas über die günstige Ausgangsposition der Kanzlerin, die Bedeutung der Niedersachsen-Wahl für den Bund und die Zukunft der FDP
Herr Professor Faas, hat Angela Merkel die
Bundestagswahl schon gewonnen?
Eine solche Schlussfolgerung wäre sicherlich verfrüht. Von den
letzten Bundestagswahlen wissen wir, dass immer mehr Menschen ihre
Entscheidung erst relativ spät treffen. Frau Merkels
Ausgangsposition ist günstig, ja – aber es kann durchaus noch
spannend werden.
Günter
Hofmann
klagt, die Parteien würden einander immer
ähnlicher, eigentlich könne jeder mit jedem koalieren. Teilen Sie
diesen Befund?
Wie heißt es immer so schön: Alle demokratischen Parteien müssen
untereinander koalitionsfähig sein. Aber der Beweis dafür steht
noch aus: Lagerübergreifende Koalitionen sind bislang immer
gescheitert. Auf Länderebene hatten wir ein Jamaika-Experiment; das
hat nicht funktioniert. Und wir hatten ein schwarz-grünes
Experiment; das hat auch nicht lange gehalten. Natürlich kann man
das immer auf die jeweiligen Umstände schieben. Aber das ändert
nichts an der Tatsache, dass es bislang noch kein stabiles
schwarz-grünes Bündnis gegeben hat. Und es deutet derzeit auch
nichts darauf hin, dass es in diesem Jahr Entwicklungen in diese
Richtung gibt – weder in Niedersachsen noch im Bund. Ich erwarte
eher, dass wir im Vorfeld der Bundestagswahl einen klassischen
Lagerwahlkampf inklusive entsprechender Koalitionsaussagen erleben
werden. Gerade die Sozialdemokraten haben erkannt, dass sie ihre
Anhänger so am ehesten mobilisieren können.
Ist Peer Steinbrück dafür der richtige
Kandidat?
Ja und nein. Wenn man an die Diskussionen der vergangenen Wochen
rund um Peer Steinbrück denkt, so dürften gerade auch viele
Anhänger des linken Steinbrücks dadurch irritiert sein. Auch ein
Wahlkampffokus auf dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ ist dadurch
alles andere als leichter geworden. Aber zugleich ist Peer
Steinbrück auch ein Politikertyp, der eine klare Sprache spricht,
der Themen besetzen kann. Er kann polarisieren und wird die
Konfrontation mit der Kanzlerin nicht scheuen. Das passt sehr gut
zu einem Lagerwahlkampf.
Am kommenden Sonntag wird in Niedersachsen ein neuer
Landtag gewählt. Wie schätzen sie die Signalwirkung für den Bund
ein?
Ausnahmsweise ziemlich groß. In der Regel ist es völlig verfehlt,
wenn Landtagswahlen zu „Testwahlen“ für den Bund hochstilisiert
werden. Aber in dieser speziellen Situation gibt es erstaunlich
viele Parallelen zwischen den Wahlen: In beiden Fällen kandidiert
ein äußerst beliebter und angesehener Amtsinhaber; in beiden
Fällen gibt es einen stark schwächelnden Koalitionspartner, dessen
Existenz auf der Kippe steht. Die Parteien werden daher genau
beobachten, was in Niedersachsen passiert und daraus ihre Schlüsse
für die Bundestagswahl ziehen. Einen wichtigen Unterschied gibt es
aber: Während der Einzug der Linkspartei in den niedersächsischen
Landtag fraglich erscheint, dürfte sie den Einzug in den Bundestag
schaffen. Das macht es für die derzeitige Bundesregierung nicht
einfacher: Denn gegen drei Parteien – SPD, Grüne und Linke – eine
Mehrheit zu erzielen, wird diesmal noch viel schwieriger als
2009.
Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister
und FDP-Parteichef Philipp Rösler haben Unionsanhänger
aufgefordert, mit der Zweitstimme FDP zu wählen. Dadurch soll der
Fortbestand der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen
gewährleistet werden.
Sicher wird der eine oder andere Unionswähler mit diesem
Hintergedanken sein Kreuz bei der FDP machen. Aber aus der
Vergangenheit wissen wir, dass solche Leihstimmenkampagnen ziemlich
problematisch sind. Denken Sie an die Wahl 2005. Damals haben viele
Wähler aus dem sogenannten bürgerlichen Lager FDP gewählt statt
CDU/CSU – mit der Konsequenz, dass es für Schwarz-Gelb nicht
reichte und eine geschwächte Union in die Große Koalition gehen
musste. Außerdem wissen wir, dass viele Wähler die Unterschiede
zwischen Erst- und Zweitstimme nicht berücksichtigen. Das macht
eine Leihstimmenkampagne auch schwierig. Schließlich: Bei
Leihstimmenkampagnen frage ich mich immer, wie die Wähler der
„Verleiher“-Partei sich koordinieren sollen – wie soll das konkret
funktionieren? Die werden sich ja kaum alle an einem geheimen Ort
treffen und dann die Verleiher bestimmen.
Seite 2: „Auf der Zielgeraden zur Wahlurne tut sich ziemlich viel”
Wie wird es für die FDP nach der Niedersachsen-Wahl
weitergehen?
Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird es personelle und
wahrscheinlich auch ein paar inhaltliche Veränderungen geben. Die
personelle Frage, die aktuell im Raum steht, lautet natürlich: Wird
es für Philipp Rösler noch eine Chance geben, oder ist sein Ende
als Parteivorsitzender längst beschlossene Sache? Seine Rede zum
Dreikönigstreffen vor zwei Wochen war keine kämpferische
Aufbruchsrede, sondern eine sachliche, nüchterne Rede, für den
Anlass kaum angemessen. Sie hatte Züge einer Abschiedsrede. Vor
diesem Hintergrund darf man wohl davon ausgehen, dass er nächste
Woche abtritt – und zwar unabhängig vom Wahlausgang. Sollten dann
Rainer Brüderle und Christian Lindner an Bedeutung in der Partei
gewinnen, wird das mittelfristig auch inhaltliche Änderungen mit
sich bringen: Die FDP würde sicher offener für einen eher
sozialliberalen oder einen Ampel-Kurs.
Welche Rolle werden die Wechselwähler bei der
Niedersachsen-Wahl spielen?
Die Schwankungen bei Landtagswahlen haben ein Ausmaß erreicht, das
es früher so nicht gab. Das gilt vor allem für die Länder-, aber
durchaus auch für die Bundesebene: Denken Sie an Schröders
Aufholjagd im Jahr 2005 oder an den Absturz der SPD vier Jahre
später. Auf der Zielgeraden zur Wahlurne tut sich inzwischen
ziemlich viel. Die Frage ist: Woran liegt das? An den
Wechselwählern – also Wählern ohne feste Parteibindung – oder an
der Mobilisierung von Wählern, die zunächst noch zögern, ob sie
überhaupt zur Wahl gehen sollen? Ich denke, dass bei
Landtagswahlen Mobilisierungserfolge wichtiger sind als das
Überzeugen von strategischen Wechselwählern. Niedersachsen wird von
derjenigen Partei gewonnen, der es besser gelingt, ihre
Anhängerschaft zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung lag vor fünf
Jahren bei 57 Prozent – da ist noch viel Luft nach oben. Die Sache
hat freilich einen Haken: Mobilisierung braucht Zuspitzung. Die
beiden Spitzenkandidaten Stephan Weil und David McAllister
verfolgen aber einen eher pragmatischen, nüchternen Politikstil.
Der ist für Zuspitzung kaum geeignet.
Ein anderes wiederkehrendes Problem sind die
Nichtwähler.
Wir müssen uns insgesamt stärker mit der Frage der Wahlbeteiligung
beschäftigen. Über die Nichtwähler wissen wir fast nichts. Aber
natürlich kann man erkennen, dass Parteien das Phänomen der
Nichtwahl in ihrem strategischen Kalkül berücksichtigen – mit der
Folge, dass sie sich um bestimmte Wählergruppen nicht kümmern.
Sie haben die Einführung einer Wahlpflicht ins Spiel
gebracht.
In manchen Ländern gibt es die Wahlpflicht schon seit Langem. Die
machen damit sehr gute Erfahrungen. Aber natürlich macht es einen
Unterschied, ob eine Wahlpflicht längst besteht oder ob sie erst
eingeführt werden muss. Trotzdem sollten wir uns mit dem Thema
beschäftigen. Welche Konsequenzen hätte die Einführung der
Wahlpflicht – nicht nur für die Bürger, sondern auch für die
Parteien? Die müssten sich nämlich um Gruppen kümmern, die sie
bisher ignorieren. Das ist eine Überlegung wert.
Herr Professor Faas, ich danke Ihnen für ein Gespräch.
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich „Methoden der empirischen Politikforschung“ an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.
Das Gespräch führte Christophe Braun.
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