- Modell, aber mutlos
Die Umfragewerte der SPD schwanken. Sie sind noch immer zu sehr von der Reputation Merkels abhängig. Auf dem Weg zu einer eigenen Position schliddern die Sozialdemokraten noch immer in verschiedene Richtungen. Die Dienstagskolumne
Die Umfragen schwanken auffällig – zwischen 26 und 30 Prozent. Also zwischen: kaum erholt seit dem demoralisierenden Wahldebakel vor zwei Jahren mit 23 Prozent und „leidlich stabilisiert“, zumal wenn man bedenkt, dass zahlenmäßig überaus starke Grüne und eine immerhin fest etablierte Linkspartei um die Oppositionsrolle konkurrieren. Man weiß keineswegs schon genau, ob die SPD sich wirklich soweit erholt hat, um ihr ernsthaft Chancen auf eine Rückkehr an die Macht zutrauen zu können.[gallery:Die politische Karriere von Peer Steinbrück]
Noch hat sich das nicht entkoppelt: Nur wenn die Reputation Merkels sinkt, steigen für die SPD die Werte, und umgekehrt. Dabei ist es in aller Regel so, dass die Christdemokraten der SPD hinterherhinken, vom Kernenergieausstieg bis zum Mindestlohn, von der Absage an die „Herdprämie“ für Mütter bis zur Wiederauflage des Programms gegen Rechtsextremisten, das eine völlig überforderte Familienministerin beerdigen wollte. Im Moment aber sieht es so aus, als erlebte die Kanzlerin ein Comeback: Feiern lässt sie sich als Krisenretterin, die mit kühlem Pragmatismus in der Euro- und Europa-Debatte alle unsittlichen Anträge der europäischen Lotterbuben-Nachbarn abwettert und die deutsche Stabilitätskultur in marmorne europäische Tafeln meißelt. Ich halte das für pure Schönfärberei. Aber das ist eine Geschichte für sich. Die SPD liefert das Modell, aber eines ohne rechten Mut.
Wenn die Abwarte- und Hinhaltepolitik der Kanzlerin mit den zahlreichen gescheiterten „Rettungsschirm“-Anläufen dazu führen sollte, dass der Euro scheitert, dann kann die SPD jedenfalls nicht für sich in Anspruch nehmen, zu den frühzeitigen Warnern gehört zu haben. Auch das sozialdemokratische Führungstrio, Steinmeier, Gabriel und Steinbrück, hat nicht entschieden genug klar gemacht, dass die Zeitfrage bei der Suche nach einer Lösung der Euro-Krise einen Unterschied ums Ganze ausmachen könnte.
Vielleicht schliddern die Sozialdemokraten ein bisschen schneller in Richtung Politischer Union als Angela Merkel mit den Christdemokraten, aber – auch sie schliddern. Sie haben es nicht gewagt, gegen die vermuteten Vorbehalte auch ihrer eigenen Anhängerschaft zu begründen, weshalb sich die Alternative absehbar darauf zuspitzt, dass die Europäer einen gewaltigen Schritt in Richtung Integration, Verzahnung oder politischer Union wagen müssen – oder dass das Projekt Europa zerfällt. Sich dem Eindruck zu widersetzen, dass die Deutschen Europas „Zahlmeister“ seien, ist gewiss nicht leicht. Angela Merkel hat bekanntlich beides versucht, sie hat Anti-Euro-Ressentiments bedient und die Gemeinschaftswährung nach sehr deutschen Kriterien zu sanieren versucht. Das neue „Narrativ“ Europas jedoch, das Peer Steinbrück verschiedentlich anmahnte, haben weder die Kanzlerin noch die Sozialdemokraten für Europa geliefert.
Zu fragen wäre, ob man überhaupt ein solches „Narrativ“ braucht und was das genau meint. Es fehlen nicht einfach große Worte wie jenes berühmte, ob es Europa gebe oder nicht, das sei eine Frage von Frieden oder Krieg, es fehlen auch nicht einfach „Begründungen“ der Politik. Ich müsste lügen, wollte ich – als Journalist – behaupten zu wissen, welches Europa für die nächsten Jahrzehnte die Sozialdemokraten vor Augen haben. Zugegeben: Ich weiß das auch von den Grünen nicht wirklich, von der Linkspartei – die in Sachen Europa oft eher opportunistisch einherkommt – schon gar nicht. Darin steckt aber kein Trost. Führungsstark wirkte die SPD erst dann, wenn sie den Anspruch anmeldete, für Mitte/Links in der Republik insgesamt zu sprechen und sich dabei weniger von dem leiten zu lassen, was ihre Anhängerschaft gerade noch akzeptiert, als davon, was Europa braucht – und was ein europäisches Deutschland auszeichnet. Das erhält man auch von der Kanzlerin nicht.
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Ähnlich undeutlich, ja unscharf übrigens erschien das Bild der SPD auch in der Finanzmarkt-Krise, die ja am Anfang der Euro-Krise stand. Auch da gingen sie mit der Transaktionssteuer für die Finanzmärkte der CDU voran. Man kann dennoch schwerlich behaupten, die Sozialdemokraten hätten sich besonders dabei hervorgetan, wie man auf dem Rücken des Tigers reiten kann – will sagen, wie man die Finanzmärkte, die zweifellos auch mit ihrer tatkräftigen Hilfe dereguliert wurden, wieder einigermaßen bändigen könne. Sigmar Gabriel allerdings muss man zugute halten, dass er mit seiner ehrlichen Selbstkritik an dieser Politik einen Anfang gemacht hat, er ging weiter als Peer Steinbrück, und ohnehin viel weiter als die Kanzlerin, die sich nie der Mühe einer peniblen, ehrlichen, selbstkritischen Bilanz des konservativen, blinden Marktvertrauens unterzog.[gallery:Die politische Karriere von Peer Steinbrück]
Einem Irrtum jedenfalls würden, wie ich meine, die Sozialdemokraten, links oder rechts, erliegen, wenn sie mit einem Konflikt um die Höhe der Einkommenssteuer – also eine „Reichensteuer“ von 49 oder 51 Prozent – symbolisch klarmachen wollten, dass sie für eine gerechte Verteilung der Krisenlasten sind. Gemessen werden sie vor allem daran, welche Alternativen sie generell auf die großen Krisen-Herausforderungen zu bieten haben. Neben Klima und Energie handelt es sich nun mal um die ungezügelten Finanzmärkte, und um die Zukunft Europas. Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas, um nur dieses Stichwort zu nennen, hat ähnlich wie der Sozialwissenschaftler Ulrich Beck jüngst laut nachgedacht über „die Verfassung Europas“. Beide sind dabei zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Man müsse nicht von den „Vereinigten Staaten“ Europas sprechen, wohl aber von Bürgern, die sich sowohl ihrer Nation als auch gleichermaßen diesem Europa zugehörig fühlen, sozusagen als zeitgemäß-moderne Vorwegnahme, als Fixpunkt und Eckpfeiler einer kosmopolitischen Ordnung. Utopie? Im Blick auf die Welt von heute könnte man es auch Realitätssinn nennen.
Um eine Re-Ideologisierung weg vom pragmatischen Kurs geht es keinesfalls. Weit entschiedener aber als derzeit müsste eine „europäische“ Opposition den nationalen Anklängen, dem oft sehr deutschen Grundrauschen widersprechen. An Gerechtigkeitskriterien muss sie sich orientieren – im internationalen Umgang untereinander und in der eigenen Gesellschaft. Und schließlich: Wenn Gabriel sein Wort von dem „Hoffnungsüberschuss“ inhaltlich auffüllen will, dann vor allem und sehr grundsätzlich damit, für die Politik auf den unterschiedlichen Krisenfeldern – Klima, Finanzen, Europa – überhaupt wieder ein Stück Steuerungsfähigkeit zurückzuerobern. Angela Merkel in einer Großen Koalition unterzuhaken, oder sich von ihr unterhaken zu lassen, ist nicht Ziel genug.
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