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Bundestag - Michelle Müntefering macht ihre eigene Karriere

Dieses Jahr will Michelle Müntefering Karriere machen, indem sie in den Bundestag einzieht. Chancen: gut

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Ott, Friederike

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Vorn steht ein alter Mann und spricht über den Tod. Er redet von Hospizen, von Sterbebegleitung, das sind Themen, die viele Menschen lieber meiden. Aber das Kulturzentrum von Herne ist voll. Der Mann ist Franz Müntefering, ein Name, der zieht.

In der ersten Zuschauerreihe sitzt eine junge Frau. Sie macht sich Notizen und unterhält sich leise mit dem Oberbürgermeister von Herne. Die Frau ist Michelle Müntefering. Ihr Name zieht, weil es der ihres Mannes ist.

Am Ende des Abends wird sie sagen, dass sie nicht zusammen mit ihrem Mann hier sei. Die Veranstalter vom Lukas-Hospiz Herne hätten sie getrennt von ihm eingeladen. Sie möchte ihren eigenen Erfolg. Dieses Jahr will sie Karriere machen, indem sie in den Bundestag einzieht. Als SPD-Kandidatin für den Wahlkreis Bochum/Herne II hat sie gute Chancen. Schon die Kandidatur hat sie sich gegen zwei Mitbewerber erkämpft. Ein Dreh von Leuten, die sie verhindern wollten, war: Das ist ja nur die Frau vom Franz. Wie stark sie als Frau Müntefering wahrgenommen wird und wie stark als die Frau vom Müntefering, das ist die Frage. Vielleicht geht beides. Aber die Balance ist nicht einfach zu halten, denn man wird leicht zum Anhängsel gemacht.

Michelle Müntefering, 32, tritt offen und forsch auf, aber nicht unbedarft. Die Politik ist ihr dritter Beruf, sie hat erst Kinderpflegerin gelernt, dann das Abitur gemacht und eine Journalistenausbildung absolviert. 2008 wurde sie Mitarbeiterin des Bundestags.

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Wie anstrengend es ist, als eigenständige Politikerin an der Seite einer Berühmtheit wahrgenommen zu werden und den Namen zu nutzen, ohne sich zu schaden, das konnte man zuletzt an Doris Schröder-Köpf sehen, der Ehefrau von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. In Niedersachsen hat sie nun den Sprung in die Politik geschafft. Nervt es Michelle Müntefering, wenn sie nach Schröder-Köpf gefragt wird? „Nein“, sagt sie. „Sie ist ja eine kluge Frau.“

Bevor sie 2009 Franz Müntefering heiratete, hieß sie Michelle Schumann. Als ihre Beziehung zu dem Politiker publik und sie zur Geschichte wurde, weil sie 40 Jahre jünger als ihr Ehemann ist, strich der Boulevard erst mal ihren Nachnamen. Sie wurde zur „schönen Michelle“.

Dabei hatte sie unter dem Namen Schumann einiges erreicht. Mit 22 war sie Vize-Chefin der Herner SPD, zwei Jahre später zog sie in den Stadtrat ein und in den SPD-Landesvorstand dazu. Es ist gut vorstellbar, dass sie heute auch ohne ihren Mann Bundestagskandidatin wäre. Aber weil sie mit dem ehemaligen SPD-Chef verheiratet ist, bieten sich ihr mehr Möglichkeiten als einer Lokalpolitikerin.

Nächste Seite: Sie lebt in einem Konflikt

Damit lebt sie in einem Konflikt. Einerseits ist das öffentliche Interesse an ihr eine Chance, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ihren Wahlkreis, ihre Politik. Andererseits fragt kaum jemand ernsthaft nach dem, was sie eigentlich will. Nach den Inhalten, die ihr wichtig sind, dem Verbraucherschutz oder den Bürgerrechten.

Bekommt sie Anfragen von Zeitungen oder Talkshows, wägt sie ab: Geht es um mich als Politikerin? Oder sollen die Zuschauer nur sagen: Aha, so sieht also die Frau vom Münte aus.

Natürlich ist ihre Ehe auch ein Kapital, und das setzt sie ein, wenn es passt. Sie erzählt dann Anekdoten über „den Franz“, wie sie zu sagen pflegt. Dass sie, zum Beispiel, ungern fliegt, erklärt sie damit, dass der Franz einmal fast abgestürzt wäre.

Als sie einen Termin beim Deutschen Steinkohleverband hat, um mit dem Vorstand über die Zukunft der Branche zu reden, sagt sie zur Begrüßung: „Glück auf!“ Das klingt nach Münte. Aber der Ausdruck gehört eigentlich mehr zu ihr. Sie ist im Revier mit der Steinkohle aufgewachsen, und nicht er. Nur wenige Meter vom Gelände des Steinkohleverbands entfernt steht ihr Elternhaus. Ihre Großväter waren im Bergbau. Der eine über, der andere unter Tage. Insofern steht ihr auch die Kleine-Leute-Perspektive, in der sie Politik formuliert, mit Wörtern wie Maloche oder Bohei. Den Wahlkreis haben seit 1961 Sozialdemokraten gewonnen. Die SPD ist hier Familie, und da schadet es nichts, dass sie bei Grünkohl und Mettwurst ganz nebenbei eine Anekdote vom Franz fallen lässt.

Anders beim nächsten Termin. Heinz-Westphal-Haus, Sitz des Tanzvereins „Pottporus“, der Breakdance-Kurse für Jugendliche anbietet. Glück auf? Nein. „Hi, ich bin die Michelle.“ Im Flur bleibt sie vor einem Foto stehen, auf dem Peter Maffay mit ein paar Mitgliedern von „Pottporus“ zu sehen ist. Den habe sie mal nach Herne geholt für eine Veranstaltung des Kinder- und Jugendparlaments. Eine Franz-Anekdote hilft ihr hier nicht weiter.

Ist es eher Segen oder Fluch, den berühmten Mann zu haben? Sie wirkt jetzt vorsichtig angesichts der Frage, und man bekommt das Gefühl, dass sie ihre Lockerheit erst wieder neu aufrufen muss. „Ich sach dazu nur, das Glas ist halb voll.“

Am Ende des Abends im Kulturzentrum Herne steigt Franz Müntefering vom Podium herab, wenig später ist er verschwunden. Er überlässt ihr das Feld. Sie bleibt und hält Smalltalk. Das ist jetzt ihre Gelegenheit in ihrem Wahlkampf um ihren künftigen Bundestagswahlkreis. Dann geht sie zur Garderobe. „Erst kommt der Gatte, jetzt kommt die Gattin“, sagt die Frau, die die Mäntel bewacht. 

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