Lars Feld / dpa
Der Ökonom Lars Feld / dpa

Interview mit Lars Feld, dem Berater von Christian Lindner - „Ohne substanzielle Kompromisse steht die Ampel vor dem Aus“

Der Ökonom und Lindner-Berater Lars Feld über die Tragweite der vom Bundesfinanzminister geforderten Wirtschaftswende, über die negativen Reaktionen darauf bei SPD und Grünen – und über seine Ablehnung einer Aussetzung der Schuldenbremse.

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des dort ansässigen Walter-Eucken-Instituts. Von 2011 bis 2021 war er Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und von März 2020 bis Februar 2021 dessen Vorsitzender. Feld ist Chefberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Herr Prof. Feld, Bundesfinanzminister Christian Lindner hat vor wenigen Tagen Aufsehen erregt mit einem Grundsatzpapier für eine deutsche „Wirtschaftswende“. Daraufhin wurde ihm vielfach vorgeworfen, dass es sich vor allem um eine PR-Aktion gehandelt habe. Sie selbst sind ja Lindners wirtschaftspolitischer Berater. Also: Wie ernst ist es dem Finanzminister mit seinem Forderungskatalog?

Lars Feld: Es ist ihm sehr ernst. Das Lindner-Papier ist nicht einfach wieder so ein Papier, das auf den nächsten Wahlkampf abzielt. Gelingt es nicht, zu Kompromissen mit SPD und Grünen zu kommen, die substanzielle Teile der gemachten Vorschläge umsetzen, steht die Ampel-Regierung vor dem Aus.

Was hat denn dann den konkreten Ausschlag für die Forderung nach einer Wirtschaftswende gegeben? Dass Deutschland als Industriestandort Probleme hat, ist ja nicht erst seit voriger Woche offensichtlich.

Das ist richtig. Aber die Probleme sind von Monat zu Monat drängender geworden. Vor allem dem deutschen Mittelstand droht nun ein erheblicher Verlust seiner Substanz. Dies lässt sich nicht mit industriepolitischen Subventionen hier und da oder mit wiederholten Forderungen nach Umgehungen der Schuldenbremse aufhalten. Die deutsche Wirtschaft braucht dringender denn je eine angebotspolitische Wende.

Bundeskanzler Scholz vertritt die Linie, dass die Ziele und Vorhaben der Ampelregierung im Koalitionsvertrag stehen – und der sei nun einmal zwischen SPD, Grünen und FDP gemeinsam ausverhandelt worden. Das ist ja durchaus zutreffend.

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Geschäftsgrundlage für diesen Koalitionsvertrag entfallen. Es hätte eines neu ausgehandelten Koalitionsvertrags bedurft. Das hat der Kanzler versäumt, weil er die Probleme in der deutschen Wirtschaft lange nicht wahrhaben wollte. Nun gilt es umzusteuern, bevor irreparable Schäden auftreten.

Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken hatte nach Bekanntwerden des Lindner-Papiers beteuert, von den darin formulierten Forderungen sei praktisch nicht eine einzige in der Ampel-Koalition umsetzbar. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel wiederum lobte das Wirtschaftswende-Manifest, weil die Wirtschaft von bürokratischer Überregulierung entfesselt werden müsse. Gibt es in den Reihen von Grünen und Sozialdemokraten womöglich mehr ideelle Unterstützung für die Lindner-Forderungen, als es den offiziellen Verlautbarungen nach den Anschein hat?

Bei den Grünen ist deutlich mehr Sympathie insbesondere für die arbeitsmarkt-, renten- und sozialpolitischen Vorschläge des Lindner-Papiers feststellbar. Hinzu kommt eine gewisse Bereitschaft für Zugeständnisse in der Klimapolitik. Die SPD versucht hingegen, die FDP mit Kleinigkeiten abzuspeisen. Frau Esken ist eben in Verantwortung, Sigmar Gabriel ist es leider nicht mehr.

Bei der Entbürokratisierung geht es Lindner vor allem um das Lieferkettengesetz und das Tariftreuegesetz. Das Lieferkettengesetz wollen ja sogar Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck wieder weghaben oder mindestens temporär aussetzen. Wie kann es sein, dass solche Gesetzesvorhaben überhaupt das Licht der Welt erblicken, wenn alle Beteiligten sich kurze Zeit später wieder davon distanzieren? Ist das dann nicht Ausdruck einer Politik des opportunistischen virtue signalling?

Das ist eine sehr gute Frage. Als das Lieferkettengesetz zur Entscheidung anstand, habe ich, zunächst noch als Vorsitzender des Sachverständigenrates für Wirtschaft, in einigen Interviews, Beiträgen und Vorträgen davor gewarnt. Die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel hatte offenbar den Eindruck, man könne ein solches bürokratisches Monstrum der deutschen Wirtschaft problemlos zumuten und hat das deutsche Lieferkettengesetz im Juni 2021 beschlossen. Nun wird deutlich, dass dies eine Fehleinschätzung war. Insgesamt ist die seit dem Jahr 2013 betriebene Re-Regulierung des Arbeitsmarktes an einem Punkt angekommen, an dem diese zur Abwanderung von Unternehmen ins Ausland führt. Es ist Zeit für eine Umkehr.

Ein ganz wesentlicher Punkt im Wirtschaftswende-Katalog scheint mir zu sein, dass nationale Klimaziele durch europäische Klimaziele ersetzt werden sollen. Zitat: „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen.“ Ganz grundsätzlich gefragt: Hat Deutschland sich in den letzten Jahren generell übernommen, indem es dem Rest der Welt zeigen wollte, wie vorbildhaft wir sind? Nämlich nicht nur beim Klima, sondern auch auf den Gebieten Flüchtlinge/Migration oder Atomausstieg?

Absolut. Es ist an der Zeit, beim Klimaschutz von überzogenem Ordnungsrecht, überhöhten Subventionen und industriepolitischer Investitionslenkung wegzukommen und endlich der CO2-Bepreisung ihre Rolle als das wichtigste Instrument des Klimaschutzes zukommen zu lassen. Vorbild ist man nur, wenn eine Politik andere dazu bewegt, diese nachzuahmen. Dies ist nicht erkennbar. Den Atomausstieg halte ich für unumkehrbar. Die Flüchtlingsmigration bleibt ein schwieriges Thema im Spannungsfeld von humanitären Verpflichtungen und Akzeptanz der Bevölkerung.

Das auch mit den Stimmen der FDP beschlossene Bürgergeld erweist sich nicht nur als schwere finanzielle Belastung für den Bundeshaushalt, sondern es stellt auch das Leistungsprinzip ein Stückweit außer Kraft. Sehen Sie hier Bedarf nach weiteren Korrekturen, oder sollte das Bürgergeld Ihrer Ansicht nach komplett rückabgewickelt werden?

Meines Erachtens wäre eine Rückkehr zum Prinzip des Forderns und Förderns, wie es im alten Arbeitslosengeld II bestand, sinnvoll. Zudem muss sich die Bundesregierung mit der Frage auseinandersetzen, welche alternativen Möglichkeiten es gibt, Geflüchteten aus der Ukraine unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, ohne sie zuerst ins Bürgergeld aufzunehmen.

Die Einhaltung der Schuldenbremse ist gewissermaßen das ordnungspolitische Tafelsilber der FDP. Allerdings plädieren viele Ökonomen zumindest für eine Aufweichung der Schuldenbremse, um öffentliche Investitionen zu ermöglichen. Und selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält neue Schulden in Form von Sondervermögen für notwendig, um etwa die deutsche Infrastruktur zu modernisieren. Warum sind Sie so vehement gegen eine zusätzliche Schuldenaufnahme?

Höhere Staatsschulden belasten schon in der kürzeren Frist aufgrund der damit verbundenen höheren Zinszahlungen. Dadurch wird der Spielraum für andere Ausgaben des Staates geringer. Kumulieren Sie weiter, engt sich der Spielraum immer weiter ein, bis hin zu Schuldenkrisen. Davon ist Deutschland weit entfernt. Aber schon in unserem Nachbarland Frankreich ist die Sorge der Finanzmärkte deutlich angestiegen, dass die Konsolidierung des Staatshaushalts nicht gelingen könnte. Die Folge sind deutlich höhere Zinsen, nicht nur im Vergleich zu Deutschland, sondern auch zu Portugal oder Spanien. Ich möchte Bund, Ländern und Gemeinden eine solche Entwicklung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, ersparen. Für die erforderlichen Investitionen des Staates ist genügend Geld im System. Die vom BDI gewünschte umfangreiche Subventionierung ist hingegen nicht finanzierbar – mit oder ohne Schuldenbremse.

DGB-Chefin Yasmin Fahimi hat das Wirtschaftswende-Papier als ein „Manifest zur Umverteilung von unten nach oben“ bezeichnet. Was entgegnen Sie ihr?

Ich würde den Gewerkschaften empfehlen, ihre Verteilungsinteressen für eine Weile in den Hintergrund zu stellen und sich wieder stärker bei der Erarbeitung des Wohlstands zu engagieren.

Ist Lindners Aufruf zu einer „Wirtschaftswende“ eine Art Agenda-2010-Moment eines Gerhard Schröder, den sich Olaf Scholz als dessen Nachfolger im Kanzleramt selbst nicht zutraut?

Das sollen später einmal die Historiker entscheiden.

War es ein Fehler der FDP, sich überhaupt auf eine Koalition mit SPD und Grünen einzulassen? Ich werde jedenfalls den Eindruck nicht los, dass die Liberalen ihre heutigen Bündnispartner dahingehend falsch eingeschätzt haben, als es sich eben doch um zwei sehr dezidiert linke Parteien handelt. Besonders bei der SPD würde es doch heute kaum noch jemand wagen, sich als „Genosse der Bosse“ zu bezeichnen...

Es sollte nicht vergessen werden, dass im Herbst 2021 keine Alternative zu dieser Regierung bestand. Die CDU/CSU glich nach der Wahlniederlage einem Hühnerhaufen und war nicht regierungsfähig. Insofern hat die FDP das Notwendige getan und sich an einer Regierung beteiligt, obwohl klar war, dass die Differenzen unter den Partnern damals wie heute groß sind. Nach Neuwahlen wird sich die Union im Hinblick auf ihre potentiellen Koalitionspartner übrigens in einer ähnlichen Lage wiederfinden.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns über eine konstruktive Debatte. Bitte achten Sie auf eine sachliche Diskussion. Die Redaktion behält sich vor, Kommentare mit unsachlichen Inhalten zu löschen. Kommentare, die Links zu externen Webseiten enthalten, veröffentlichen wir grundsätzlich nicht. Um die Freischaltung kümmert sich die Onlineredaktion von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr. Wir bitten um Geduld, sollte die Freischaltung etwas dauern. Am Wochenende werden Forumsbeiträge nur eingeschränkt veröffentlicht. Nach zwei Tagen wird die Debatte geschlossen. Wir danken für Ihr Verständnis.

Volker Naumann | Mi., 6. November 2024 - 18:59

"Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Taten sehn!"

Sagte der Dichterfürst.

MfG

Stefan Jarzombek | Mi., 6. November 2024 - 19:17

Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Krisen gibt es immer,es ist lediglich eine Frage wie damit umgegangen wird.
Wenn jeder etwas anderes will wie der andere Koalitionspartner, dann kann es nur darauf hinauslaufen, daß das Verhältnis untereinander zerrüttet.
Dann ist es besser zu gehen und das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
So wie in den Vereinigten Staaten von Amerika mit Donald Trump, braucht es meines Erachtens auch in Deutschland einen echten Neustart.
Der komplette Nonsens von wegen gendern und ähnliches muß Rückgängig gemacht werden und den Bürgern eine stabile Wirtschaft gewährleistet.
Stärke statt wokeness,denn wokeness ist ein aggressives, rein performatives Vorgehen und nützt keinem Bürger der sein Land mit seiner Arbeitskraft und Innovation auf Vordermann bringen möchte.
Es hindert lediglich nur am Fortschritt.
Es wird wieder Zeit für Normalität.

Lisa Werle | Mi., 6. November 2024 - 19:27

Da wir uns das, was Herr Feld zum Schluss sagt – bezogen auf Union-Koalitionen mit den linken Gegnern, von Partnern kann keine Rede mehr sein – überhaupt nicht leisten können als Land, erwarte ich von einem ansonsten so klugen Mann den dringenden Hinweis zum Abbau der albernen Brandmauer. Wir brauchen eine konservativ-liberale Koalition, damit wir überleben. Was ich von Esken halte, kann ich nicht schreiben. Softere Beschreibungen fallen mir zu dieser Person aber nicht mehr ein. Inzwischen zahlen die noch arbeitenden Bürger mit der Erhöhung ihrer Krankenkassen-Beiträge den Wählerkauf der SPD. Denn nichts anderes ist das sog. Bürgergeld. Völlig inakzeptabel. Mit Arbeit und Leistung hat die Esken-SPD nichts mehr am Hut. Und wenn Herr Scholz auf dem Koalitionsvertrag herumhüpfen möchte: dort steht, dass die Regierung das Geld bereitstellt für die Krankenversicherung der Bürgergeld-Empfänger und nicht die Steuerzahler damit belastet.
Zur Kernenergie: wird nach wie vor dringend benötigt.

Ihr Kommentar zu diesem Artikel

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.