- Gabriel kam, sah und siegte
Sigmar Gabriel ist erneut zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden. Kaum einer kann das neue Selbstbewusstsein der Partei besser zeigen: Bescheidenheit war gestern. Der Parteitag demonstriert Einigkeit, doch noch immer hat die SPD ein großes Problem
„Lasst das sein, das müsst ihr nicht“, rief Sigmar Gabriel den etwa 500 jubelten Delegierten zu. Minutenlang anhaltende Ovationen nötigten Gabriel nach dessen Rede zu diesem Ausruf sozialdemokratischer Bescheidenheit. Gabriel hatte bereits wieder Platz genommen, als kein geringerer als Parteigenosse und Kanzlerkandidatenkonkurrent Frank-Walter Steinmeier seinen Parteivorsitzenden wild gestikulierend aufforderte, wieder auf die Bühne zu gehen, um sich den nicht enden wollenden Applaus abzuholen.
Eine Szene, symbolisch für die Einigkeit, innerhalb der SPD. Eine Einigkeit, die selbst die Troika-Konkurrenz (bestehend aus Steinbrück., Steinmeier und Gabriel) nach außen trägt. Bereits Steinmeier, der mit seiner europapolitischen Rede das parteiinterne Rednerduell zwischen den großen Drei eröffnete, machte deutlich, das vor allem ein Signal von diesem Parteitag ausgehen soll: Geschlossenheit.
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Es war dann auch keine Überraschung mehr, dass Gabriel im Anschluss an die Rede mit 91,5 Prozent der Stimmen erneut das Mandat zum Parteivorsitzenden erhielt. Nur Hannelore Kraft, die mit 97,2 Prozent zur stellvertretenden Parteivorsitzenden wiedergewählt wurde, wusste noch mehr Parteigenossen hinter sich. Gabriel triumphierte, weil er der SPD die Stimme verlieh, die sie in diesen Tagen brauchte.
In schlichter Vorsitzenden-Montur, mit roter Krawatte, schwarzem Sakko, weißem Hemd, trat er vor das Rednerpult, vor eine Wand aus Purpurrot, in dessen Mitte ein riesiges SPD-Logo thronte. Bescheidenheit war gestern. Das alles überragende SPD-Logo drückte es aus, das neue Selbstbewusstsein der SPD. Dieses neue Selbstverständnis wusste Gabriel dann auch maßgetreu zu bedienen und entsprechend zu verbalisieren.
Sigmar Gabriel, er, der viel kritisierte, der oftmals verspottete, der als Populist abgestempelte, zeigte einmal mehr: Er ist der beste Redner, den die SPD zurzeit hat. Noch im Jahre 2009 – auf dem Dresdner Parteitag – haben ihm nur wenige zugetraut, dass er die Partei aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte wird herausholen können. Jetzt - zwei Jahre später – verkörpert er wie kein zweiter das neugewonnene Selbstbewusstsein einer sich gerade neu erfindenden Sozialdemokratie.
Kampfeslustig, humorig, kraftvoll intoniert spricht Gabriel dann auch von einem neuen Zeitalter sozialer Gerechtigkeit, von Aufbruch und Kampf, von Stärke und Leistungsfähigkeit und vor allem von „Stolz“. Er weiß um die Bedürfnisse seiner Genossen, weiß um die viel geschundene sozialdemokratische Seele, die nach Jahren der Krise nun im Aufwind ist. Gabriel weiß, was die Delegierten hören wollen. Einen selbstbewussten Vorsitzenden, einer selbstbewusste SPD.
Natürlich kommt die Kritik an der Regierung nicht zu kurz. Es sind die überparteilichen Störfeuer, die Gabriel wie kein zweiter in seiner Partei zu zünden weiß. Hier hat er seine Stärken. Es ist die typisch kampflustige Rhetorik Gabriels, die immer auch zwischen Verständnis und Attacke, Tiefe und Populismus oszilliert. Die Regierung wird dann zu einer „Bande von Halbstarken“, der Regierungsstil zum „Turbolader für Politikverdrossenheit“ und der Freiheitsbegriff der FDP kurzerhand zum „Schnäppchenjägerliberalismus“ erklärt.
Es sind diese wortgewaltigen Seitenhiebe gegen Merkel und ihre Koalition, die erwartungsgemäß für den größten Beifall, die größte Zustimmung unter den Delegierten sorgen. „Das Zeitalter des Marktradikalismus ist vorbei. Wir sind die Experten dafür, den Kapitalismus zu bändigen“, skandiert Gabriel weiter. Die Botschaft ist klar, wie sie einfach ist: Merkel hat ausregiert. Die SPD ist bereit und vor allem: Sie ist willens.
Wer jetzt befürchtete, Gabriel würde die SPD programmatisch noch weiter nach links verrücken, sah sich enttäuscht. Gabriel sprach sich für die politische Mitte aus und kritisierte sowohl linke als auch rechte Abweichler von diesem Kurs. Kein Linksruck, also. Allenfalls ein Ruck noch ein Stückchen weiter weg von den großen "Alten" Schmidt und Schröder. „Sonntagsreden – und übrigens auch Sonntagsinterviews – helfen uns nicht“, kritisierte Gabriel Altkanzler Gerhard Schröder, der in einer großen Sonntagszeitung Steuererhöhungen für falsch befand. „Wer Visionen hat, der muss wieder zu uns kommen“ formuliert Gabriel den Schmidtschen Ausspruch um und erntete tosenden Applaus.
„Der Umbau der SPD ist beendet, das Dach ist dicht und wir sind wieder da“, ruft Andrea Nahles wenig später nach Gabriels Rede den Delegierten zu. Es dauerte gerade zwei Jahre, um aus einem sozialdemokratischen Trümmerhaufen wieder eine ernstzunehmende, selbstbewusste Partei zu formen. Sigmar Gabriel hat entscheidenden Anteil daran. Nun steht die SPD in Umfragen wieder konstant über der für das eigene Selbstwertgefühl so wichtigen 30 Prozent-Marke, eine Demarkationslinie, die zwischen Volks- und Klientelpartei trennt. Gabriel hat der SPD wieder auf die Beine geholfen, den Dauerpatienten SPD zu einem Vorzeigerekonvaleszenten gemacht.
Die SPD hat heute vor allem eines: Ein Luxus-Problem, das auf den Namen Gabriel, Steinmeier, Steinbrück hört. Die Troika demonstriert auf dem Parteitag erfolgreich Einigkeit. Eine Einigkeit, die eine Halbwertszeit von ziemlich genau einem Jahr hat. Denn dann wird er benannt, der Kapitän, der das wieder in Fahrt gebrachte Schiff SPD in den Berliner Hafen Segeln soll. Ob es dann so harmonisch weiter geht, wie auf dem heutigen Parteitag, darf bezweifelt werden. Spätestens in einem Jahr zeigt sich, wie fähig die SPD wirklich ist.
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