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Direktkandidaten - Als Einzelkämpfer in den Bundestag

Parteilose Kandidaten haben es besonders schwer, direkt in den Bundestag einzuziehen. Das geltende Wahlrecht privilegiert Parteien

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Man kann nicht sagen, die Deutschen hätten am 22. September keine Wahl: 34 Parteien treten mit 4361 Kandidaten für die 598 Sitze im Bundestag an. Dazu kommen noch einmal 80 Einzelbewerber, also Männer und Frauen, die keiner Gruppierung mit eigener Landesliste angehören. Die zwei bekanntesten Einzelkämpfer sind der Noch-CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder und der parteilose Bundesrichter a. D. Wolfgang Neskovic. Kauder ist im Wahlkreis Schwarzwald-Baar von der CDU nicht wieder nominiert worden und versucht es deshalb auf eigene Faust. Neskovic hatte 2009 als Kandidat der Linken den Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße direkt gewonnen, verließ Ende 2012 jedoch die Bundestagsfraktion der Linken und tritt jetzt gegen den offiziellen Linken-Kandidaten an.

Einzelbewerber gab es bei allen bisherigen Bundestagswahlen. Aber nur beim ersten Urnengang 1949 schafften drei den Einzug in den Bundestag. Einer war der Fabrikant Richard Freudenberg aus Weinheim, der später gern behauptete, die eine entscheidende Stimme bei der Kanzlerwahl Konrad Adenauers sei seine eigene gewesen. Seit 1949 hat es ein nicht von einer Partei unterstützter Kandidat jemals wieder in den Bundestag geschafft. Der 2003 von der CDU ausgeschlossene Abgeordnete Martin Hohmann erreichte 2005 im Wahlkreis Fulda mit 21,5 Prozent der Erststimmen das beste Ergebnis eines unabhängigen Bewerbers seit 1953.

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Auch Kauder und Neskovic dürften es am 22. September nicht schaffen. Das hängt einmal damit zusammen, dass Kandidaten es ohne die Unterstützung eines Parteiapparats sehr schwer haben. Zudem gibt es eine weitere Hürde zum Nachteil solcher Bewerber – das Wahlrecht.

Seit Einführung von Erst- und Zweitstimme bei der Bundestagswahl 1953 (1949 hatten die Wähler nur eine Stimme) sind unabhängige Kandidaten benachteiligt. Für den Fall, dass ein Einzelbewerber den Wahlkreis gewinnt, verfallen alle auf ihn entfallenen Zweitstimmen. So steht‘s im Paragrafen 6 des Bundeswahlgesetzes: „Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze werden die für jede Landesliste abgegebenen Zweitstimmen zusammengezählt. Nicht berücksichtigt werden dabei die Zweitstimmen derjenigen Wähler, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis erfolgreichen Bewerber abgegeben haben …).“

Auch wenn dies nach einem Abwehrmechanismus der „etablierten“ Parteien gegenüber Einzelkämpfern aussieht, so ist die Regel doch logisch. Entscheidend für die Zusammensetzung des Bundestags ist nämlich die Zweitstimme. Die Erststimme entscheidet lediglich, welche der insgesamt 598 Sitze (ohne Überhangs- und Ausgleichsmandate) an welche Wahlkreiskandidaten gehen.

Ein Beispiel: Ein Wähler gibt dem Direktkandidaten von CDU oder SPD seine Stimme und kreuzt zugleich die jeweilige Landesliste an. Gewinnt der CDU-Bewerber den Wahlkreis direkt, bekommt die CDU über die Landesliste einen Sitz weniger; analog ist es bei zwei Stimmen für die SPD.

Einzelbewerber passen da nicht so recht ins System. Gibt ein Cottbuser dem Kandidaten Neskovic die Erststimme und der Linken die Zweitstimme und gewinnt Neskovic den Wahlkreis direkt, dann wird dieses Direktmandat eben nicht mit den Mandaten der Linken verrechnet. Der Neskovic-Wähler hätte dann mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestags als sein Nachbar, der beide Stimmen für den Kandidaten beziehungsweise die Liste derselben Partei abgibt.

Wenn also die Zweitstimmen eines siegreichen Einzelbewerbers bei der Berechnung der Mandatsverteilung unter den Tisch fallen, kann das einer Partei erheblich schaden. Sollte Siegfried Kauder seinen Wahlkreis mit etwa 40.000  Stimmen gewinnen (vor vier Jahren holte er 54.000), dann würden die von seinen Wählern abgegebenen Zweitstimmen nicht mitgezählt. Da Kauder-Wähler wohl überwiegend die Zweitstimme der CDU geben dürften, wäre der Schaden für die Union immens.

Die Vorstellung, dem Parlament gehörten nicht ausschließlich Abgeordnete mit Parteibuch an, sondern auch unabhängige, direkt gewählte Parlamentarier, ist nicht ohne Reiz. Aber man muss ganz nüchtern sehen, dass das geltende Wahlrecht Einzelbewerber benachteiligt beziehungsweise Parteien privilegiert. Auch wenn Artikel 6 des Bundeswahlgesetzes den meisten Wählern nicht geläufig ist, wissen die Parteien ihn doch zu nutzen. Bei Martin Hohmann hat die CDU 2005 in Fulda ihre Wähler vor den negativen Folgen einer Hohmann-Stimme gewarnt; im Schwarzwald-Baar-Kreis dürfte das in diesem Jahr nicht anders sein.

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