- Bodo Ramelow traut sich was
Ein aktiver Politiker als Schlichter in einem Tarifkonflikt, das hat es noch nie gegeben. Aber an dem Streit zwischen Bahn und GDL ist sowieso nichts normal. Das ist die Chance von Bodo Ramelow
Die Züge fahren wieder und das hat mit einem Vorgang zu tun, der nur auf den ersten Blick sehr alltäglich erscheint. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL) und die Deutsche Bahn AG haben sich nach dem neunten Streik in der aktuellen Tarifauseinandersetzung auf eine Schlichtung verständigt, in den kommenden vier Wochen herrscht Friedenspflicht.
In Wirklichkeit jedoch ist an dieser Schlichtung nichts normal. Es geht nicht um mehr Geld oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern es geht um eine kleine Gewerkschaft, die um ihre Existenz kämpft, weil an diesem Freitag im Bundestag von der Großen Koalition das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet wurde. Mit diesem Gesetz wird das Recht der GdL, Tarifverträge abzuschließen, erheblich eingeschränkt oder sogar vollständig beschnitten. Es geht um einen Tarifkonflikt zwischen einer kleinen Gewerkschaft und einem Staatsunternehmen, in dem dieselben Politiker, die das Tarifeinheitsgesetz vorangetrieben haben, die Aufsicht führen. Nicht völlig zu Unrecht wurde der Streik der GdL als „politischer Streik“ bezeichnet.
Das Risiko für Bodo Ramelow ist groß
Noch zwei Umstände zeigen, nichts an dieser Schlichtung ist normal. Schließlich gibt es nicht nur einen Schlichter, der zwischen den Parteien vermittelt, sondern zwei. Jede Konfliktpartei hat ihren Schlichter benannt. Vor allem: Einer der Schlichter ist kein Ex-Politiker, Ex-Richter oder Ex-Manager, der auf seine alten Tage seine persönliche Glaubwürdigkeit aufbietet, um die Streitenden zu einem Kompromiss zu bewegen. Im Gegenteil, ein Schlichter ist mit Bodo Ramelow ein aktiver Politiker, der zu dem Tarifeinheitsgesetz eine dezidierte Meinung hat. Er lehnt es ab.
Der Linken-Politiker und Ministerpräsident von Thüringen geht also ein sehr hohes Risiko ein. Ramelow kann bei seinem Einsatz als Schlichter in diesem Tarifkonflikt ziemlich viel verlieren, seine politische Reputation und seine politische Glaubwürdigkeit. Zumal er erst seit wenigen Monaten im Amt ist und als erster linker Ministerpräsident sowieso unter besonderer Beobachtung steht.
Scheitert Ramelow, dann werden sich Hohn und Spott über ihn ergießen. Kommt es nach dem Ende der vereinbarten Friedenspflicht am 17. Juni erneut zu einem Bahnstreik, dann werden viele Kommentatoren den Namen Bodo Ramelow in einem Atemzug mit dem unbeliebten GdL-Chef Claus Weselsky nennen. Und anders als sein Co-Schlichter kann sich der Ministerpräsident von Thüringen anschließend nicht wieder auf sein Altenteil zurückziehen.
Auf den ersten Blick scheint es sogar so, als habe Ramelow seine Glaubwürdigkeit als Schlichter schon verspielt, bevor die Schlichtung richtig begonnen hat. In einem Radio-Interview hat der frisch gekürte Schlichter den Arbeitgeber Bahn am Donnerstag massiv angegriffen, „unprofessionelles Vorgehen“, er habe in seinem Leben viele Tarife verhandelt, aber so etwas „noch nicht erlebt". „Unklug“, nannten dies Experten, schließlich werde von einem Schlichter erwartet, dass er in der Öffentlichkeit schweige. Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mike Mohring griff Ramelow scharf an. Es sei „der völlige falsche Einstieg, als Schlichter gleich zu Beginn eine Seite zu kritisieren“.
Ramelows Werben um das Vertrauen der GdL-Mitglieder
Doch der Schein trügt. Es kann als nahezu ausgeschlossen gelten, dass Ramelow dieser Satz in dem Radio-Interview nur einfach so herausgerutscht ist. Dass sich das politische Alpha-Männchen Ramelow einfach so verplappert hat. Ramelow ist erfahrener Gewerkschafter. Bevor er in die Politik ging, war er Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken Versicherungen (HBV) in Thüringen. Er war an vielen Tarifauseinandersetzungen an vorderster Front beteiligt. Man muss also davon ausgehen, dass dieser Ausbruch gegen die Bahn wohlkalkuliert war.
Das hat wiederum damit zu tun, dass an diesem Tarifkonflikt und an dieser Schlichtung nichts normal ist. Es war zudem einigermaßen überraschend, dass die GdL, deren umstrittener Vorsitzender CDU-Mitglied ist, einen aktiven Politiker der Linkspartei als ihren Schlichter präsentierte. Und es war genauso überraschend, dass Bodo Ramelow sich auf dieses politische Risiko eingelassen hat.
Sein erstes Ziel war es offenbar, das Vertrauen der GdL-Mitglieder zu gewinnen, deshalb hat er die Bahn öffentlich kritisiert. Denn nur wenn diese ihn als ihren Mann akzeptieren, werden sie ihm auch dann folgen, wenn am Ende der Schlichtung ein schmerzhafter Kompromiss mit Zugeständnissen steht. Dass die GDL deutliche Zugeständnisse wird machen müssen, steht außer Zweifel, zu sehr hatte sie sich zuletzt in dem Tarifkonflikt verrannt und in der Öffentlichkeit ihren Kredit verspielt.
Hinzu kommt. Ramelow ist nicht nur ein erfahrener Gewerkschafter, sondern auch ein erfahrener Politiker. Er hat es gelernt, Politik vom Ende her zu denken. Womöglich also stehen die Zeichen zwischen GdL und Bahn längst auf Kompromiss, womöglich gibt es längst einen Einigungskorridor. Und weil es in dem Konflikt nicht um Geld geht, sondern um Politik, wird am Ende kein finanzieller Kompromiss stehen, sondern ein politischer. Deshalb war es womöglich sogar ein ziemlich kluger Schachzug, einen aktiven Politiker als Schlichter einzusetzen. Zumal auf der anderen Seite nicht nur der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck mit am Tisch sitzt, sondern als Vertreter der Bahneigentümer indirekt auch die Parteien der Großen Koalition.
Es scheint so, als stünden die Zeichen in der Schlichtung auf Einigung. Gelingt es Bodo Ramelow zusammen mit Matthias Platzeck den Tarifkonflikt zu befrieden, dann wäre dies wohl sein erstes politisches Meisterstück.
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