- Krisenbilanz der schwarz-gelben Rumpelkoalition
Der Bundestag verabschiedet sich in die Sommerpause – danach gibt es nur noch Wahlkampf. Wir malen Schwarz(-Gelb) und zeichnen die Legislaturperiode der vermeintlich besten Regierung seit der Wiedervereinigung nach
Im politischen Berlin sind sich die Experten weitestgehend einig: Bundeskanzlerin Merkel wird die neue alte Kanzlerin. Die Frage ist für viele nicht, ob sie nach der Bundestagswahl im September noch regiert, sondern mit wem: in einer Großen Koalition, mit den Liberalen oder als Avantgardistin eines schwarz-grünen Projektes.
Erstaunlich. Denn nüchtern betrachtet, liest sich die Bilanz ihrer Koalition als eine Krisenbilanz. Auf dem Papier ist die „erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“, wie es Angela Merkel noch vor wenigen Wochen selbst euphemisierte, tatsächlich dann doch eher das genaue Gegenteil.
Doch an Angela Merkel perlt alles ab. Die Kanzlerin steht, ja schwebt über allem. Das mitunter chaotische Treiben unter ihr weiß sie gekonnt zu überfliegen. Während sich ihre Minister bei Krisen den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie hätten ihr Haus nicht im Griff und müssten die politischen Konsequenzen ziehen, bleibt an der Kanzlerin so gut wie nichts hängen. Für das politische Haus Merkel gibt es keinen Verantwortungsträger. Merkel ficht das alles nicht an.
Beginnen wir das Resumé auf der Personalebene. Merkels Minister kamen und gingen wie sonst nur Fußballtrainer in der Bundesliga.
Personal: Minister-Wechsel-dich
Als erster fiel der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Infolge einer desaströsen Informationspolitik nach einem umstrittenen Luftangriff auf zwei Tanklastwagen nahe Kunduz im September 2009 trat Jung von seinem Amt zurück. Ihm folgte am 1. März 2011 Karl-Theodor zu Guttenberg, der wiederum nach einem beispiellosen medialen Höhenflug über seine dilettantisch zusammengeschusterte Doktorarbeit stürzte. Thomas de Maizière übernahm das Amt und wird sich – der Drohne sei dank – künftig vor einem Untersuchungsausschuss rechtfertigen müssen. Ausgang offen.
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Auch Norbert Röttgen, der zwischenzeitlich sogar als ein möglicher Merkel-Nachfolger gehandelt wurde, musste nach verloren gegangener Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen seinen Hut nehmen. Weil er von sich aus nicht gehen wollte, entließ ihn Merkel kurzerhand und präsentierte einen neuen: Altmaier. Im Frühjahr dann der vorerst letzte Ministerrücktritt: Am 9. Februar erklärte Annette Schavan ihren Amtsverzicht. Zuvor wurde ihr der Doktortitel aberkannt; damit war sie als Bildungsministerin nicht mehr tragbar.
Den Rücktritten folgten muntere Rotationsspielchen, ein launig-buntes Minister-Wechsel-dich: Aus Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen wurde Arbeitsministerin von der Leyen. Die Stelle im Familienministerium bekam das politische Leichtgewicht Kristina Köhler, aus der kurze Zeit später eine Schröder wurde. Aus dem Innenminister Thomas de Maizière wurde der Verteidigungsminister de Maizière. Hans-Peter-Friedrich wurde neuer Innenminister, begann mit „der Islam gehört nicht zu Deutschland“, suchte Schuldige in einer NSU-Pannen-Serie und offenbarte jüngst im Bundestag in Bezug auf die Prism-Affäre eine geradezu beispiellose Ahnungslosigkeit.
Rainer Brüderles Wirtschaftsministerium übernahm Philipp Rösler, der, nachdem Guido Westerwelle als Vizekanzler und FDP-Vorsitzender abgesägt wurde, als neuer Vizekanzler und FDP-Vorsitzender nun ein gewichtigeres Ressort bekommen sollte. Röslers Amt als Gesundheitsminister ging schließlich an Daniel Bahr. Rainer Brüderle wurde Vorsitzender seiner Fraktion und brach nebenbei mittels Tanzkarte und Busenblick unfreiwillig eine Sexismusdebatte vom Zaun.
Es folgten weitere Affärchen um Entwicklungsminister Dirk Niebel, der bei der Besetzung seines Ministeriums, das er doch eigentlich längst abschaffen wollte, vor allem aufs Parteibuch schaute und in die Schlagzeilen geriet, als er aus Kabul einen privat gekauften Teppich vom BND kostenfrei und zunächst unversteuert nach Berlin bringen ließ. Auch Philipp Rösler machte als frisch gebackener Wirtschaftsminister eine unglückliche Figur, als er im Herbst 2011 offen über eine Insolvenz Griechenlands spekulierte und damit die Aktienkurse zum Einsturz brachte.
Während das Gros der Minister also mit sich beschäftigt war, kämpften die profilierten – wie beispielsweise Ursula von der Leyen in Sachen Betreuungsgeld oder der Rentenzuschussfrage – mit ihrer Regierung bzw. offen mit der Kanzlerin. Und der blasse Kabinetts-Rest fiel indes unter die Kategorie: Was macht eigentlich…?
Alles in allem zeigte Angela Merkel kein allzu glückliches Händchen bei Personalentscheidungen. Kontinuität sieht anders aus.
Politikstil: Dissens und Pöbelei
Schwarz-Gelb steht auch für einen ganz besonderen Stil im Umgang untereinander: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, wütete der Bundesminister für besondere Aufgaben und Kanzleramtschef Ronald Pofalla in Richtung Parteifreund Wolfgang Bosbach, als dieser sich erdreistete, in der Euro-Rettungsschirmpolitik anderer Meinung zu sein.
In Erinnerung bleiben auch die Nettitessen zwischen den Juniorpartnern CSU und FDP. Da beschimpften sich die Parteien im Zuge der Diskussion um die Einführung einer Kopfpauschale gegenseitig als „Gurkentruppe“ bzw. „Wildsau“. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zeigte sich dabei als Meister des Trübsinns: „Bei der FDP sind zwei Sicherungen durchgeknallt, und die heißen Bahr und Lindner“. An anderer Stelle machte sich Dobrindt auch außerhalb Deutschlands bekannt, als er den Austritts Griechenland aus der Eurozone forderte. Sehr zur Freude seines Parteivorsitzenden Horst Seehofer, den stets verschmitzt lächelnden Unruhestifter im bayerischen Exil.
Inhalte: Im Anfang war die „Mövenpick-Steuer“ – brüchige Gesetze, keine Visionen
Doch wie sieht es auf inhaltlicher Ebene aus? Auf den ersten Blick gar nicht mal schlecht: Über 400 Gesetze wurden beschlossen und verkündet. Doch zieht man die Euro-Rettungs-Gesetze ab (wobei auch hier vor allem gezögert, aufgeschoben und nachjustiert wurde), bleibt unterm Strich nicht viel.
Schwarz-Gelb erwischte einen denkbar schlechten Start: Medial blieb vor allem die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers hängen. Ein Zugeständnis an die FDP, die einmal mehr ihr klientelbezogenes Politikverständnis offenbarte.
In Erinnerung bleibt auch das von der Opposition als „Herdprämie“ verspottete Betreuungsgeld. Eine Subvention, die Menschen davon abhalten soll, staatliche Institutionen zu besuchen. Bemerkenswert auch die Art und Weise seines Zustandekommens: Politik nach dem Prinzip Kuhhandel. Damit das von der CSU gewünschte Betreuungsgeld überhaupt eine Mehrheit innerhalb der Koalition finden konnte, durfte sich die FDP die Abschaffung der Praxisgebühr auf die Fahnen schreiben.
Es folgten Streitigkeiten zwischen Ursula von der Leyen und der CDU um die sogenannte Zuschussrente, Diskussionen um umstrittene Waffenlieferungen in Krisenregionen und viele gänzlich unbespielte Politikfelder: von Integration bis Abgeordnetenbestechung.
Das Kuriose: Die großen Würfe – der Ausstieg aus der Atomkraft oder das Ende der Wehrpflicht, die von Schwarz-Gelb im Gedächtnis bleiben, sind im Grunde Zufallswürfe, die der Regierung wider Willen unterkamen.
Regierungslogik: Nachjustieren, durchwurschteln, Post aus Karlsruhe
Auch hat Schwarz-Gelb im Besonderen dafür gesorgt, dass es einer Berufsgruppe nicht langweilig wurde: den Verfassungsrichtern. Sie mussten die Regierung immer wieder zurückrufen. Schwarz-Gelb, das hieß für die Richter in Karlsruhe vor allem: jede Menge Arbeit. Dabei mussten schlecht gemachte Gesetzte zurückgepfiffen und Versäumnisse abgemahnt werden. Stichwort verfassungswidrige Politik gegen Lesben und Schwule.
[[gallery:Die 21 Gesetze im System Merkel]
Und irgendwie erinnerte das Wirken von Schwarz-Gelb zumindest in der Arbeitsweise so manches Mal an das Prinzip Ronald Schill. Das war der einstige „Richter Gnadenlos“ aus Hamburg, dessen populistische und publikumswirksame Urteile in zweiter Instanz schließlich kassiert wurden und in sich zusammenfielen.
Die Logik von Schwarz-Gelb folgt dem Prinzip Wurschteln. Der Gesetzesmotor funktioniert in der Regel nur bei äußerstem Druck, quasi immer erst kurz vor der Infragestellung der eigenen Existenz. Erst wenn Seehofer mit Koalitionsbruch drohte, die Kanzlermehrheit in Gefahr schien, waren Minimalkompromisse möglich. Erst ein möglicher Machtverlust führte zur Disziplinierung der eigenen Reihen. Große Entwürfe, fantasievolle Konzepte oder gar Überzeugungen, die einen gemeinsamen Nenner zu bilden in der Lage gewesen wären – Fehlanzeige.
Die Macht als einziges Bindemittel führte dann zu einer Regierungsweise, die mehr einer Simulation glich statt tatsächlich aktiver Gestaltung. Diese Merkel‘sche Regierungssimulation führte so weit, dass die bloße Ankündigung von Reformen den Wählern tatsächliches Handeln suggerierte. Der Gipfel an Unglaubwürdigkeiten zeigt sich im jüngst verkündeten Wahlprogramm Merkels. Ein Programm, das im politischen Terrain der Opposition fischt, ein bisschen von allem für alle verspricht und von dem jeder halbwegs politisch Denkende weiß, dass nach der Wahl sein Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Fazit: Note 5, Versetzung nicht gefährdet
So profitiert die Regierung weiter von den Reformen der Vorgänger, was sie selbst nicht einmal bestreitet. Merkels innenpolitisch offenbarte Unzulänglichkeiten kann sie mit ihrer europäischen Omnipräsenz in der Funktion der krisenfesten Kanzlerin überspielen. Das auch ihr austeritätspolitisch gefärbter Krisenkurs Fragen aufwirft, pfeifen die Wirtschaftsexperten von allen Dächern: Auch hier galt: zögern, schieben, nachjustieren.
Die Regierung Merkel geht in die Pause. Die Bilanz gruselig, die Noten schlecht, doch die Versetzung scheint trotzdem nicht in Gefahr. Warum eigentlich?
Merkel sei Dank.
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