- Ich spiele verminderte Akkorde in Moll mit einem Hauch Dur
Der Jazz-Musiker Al Di Meola würde in seinen letzten 24 Stunden zu seiner Lieblingsgitarre greifen und die Traurigkeit überspielen. Er glaubt nicht ans Jenseits. Wenn er geht, dann für immer.
Der 1954 in Jersey City (USA) geborene Jazz- und Jazzrock-Gitarrist und Komponist Al Di Meola gehört zu den weltweit profiliertesten Musikern seines Faches. Sein neuestes Album heißt „Across the Universe“.
Ich öffne die Tür und höre das Rauschen des Ozeans. Meine letzten 24 Stunden beginnen. Wie aus heiterem Himmel bricht die Realität über mir zusammen. Ich denke sofort an meine Kinder und an die Menschen, die mir am nächsten stehen. Die ersten Stunden verbringe ich wie paralysiert. Ich schaue auf das Meer und versuche zu begreifen, dass ich nun diese wunderschöne Erde für immer verlassen werde.
Musik hat mir immer geholfen in schwierigen Zeiten, ob bei einer Scheidung oder nun in der Corona-Pandemie. Ich greife einfach zu meiner Gitarre und fange an, etwas zu komponieren. Das ist für mich der beste Weg, um zu meditieren und mich von den Problemen, die mich umgeben, loszulösen. Doch die Gewissheit zu haben, nur noch wenige Stunden zu leben, wäre eine ganz andere Herausforderung. Ich denke, niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wie er in dieser fundamentalen Lage reagiert, selbst wenn Pläne geschmiedet werden. Es ist wesentlich leichter, nicht zu wissen, wann der Tod an das Leben anklopft.
Der Griff zur Lieblingsgitarre
Trotzdem greife ich zu einer meiner Lieblingsgitarren, einer gebrauchten Conde Hermanos aus den achtziger Jahren – ihr Sound ist einzigartig. Gitarre zu spielen, gibt meinem Leben einen Sinn und erinnert mich daran, dass ich lebendig bin. Denn ohne Musik kämpfen wir mit den Dämonen der Gesellschaft und der Depression. Ich kann in einer finsteren Stimmung sein, das Instrument spielen und es bringt mich an einen anderen Ort, der meine dunklen Gefühle aufhellt. Das funktioniert besonders gut vor Live-Publikum. Die Anerkennung setzt einen Endorphinrausch frei, der eine ganze Weile anhalten kann. Mein Lieblingsakkord ist der Dominantseptakkord mit kleiner None, doch heute spiele ich Variationen verminderter Akkorde in Moll mit einem Hauch Dur, die meine Gefühlslage besser spiegeln. Traurigkeit besitzt eine unbeschreibliche Schönheit. Die Musik, die mir am meisten bedeutet, bringt mich zum Weinen.
Als Siebenjähriger fiel ich eines Tages hoch oben aus einem Baum und schlug mit dem Kopf auf den Pflastersteinen der elterlichen Einfahrt auf. Ich zog mir eine Schädelfraktur zu und schwebte zwischen Leben und Tod. Schreckliche Operationen musste ich über mich ergehen lassen. Zwei Monate verbrachte ich im Krankenhaus. Es hieß, es sei ein Wunder, dass ich keine bleibenden Schäden davontrug. Während der Genesung entbrannte in mir der Drang, Musik zu machen. So bekam ich meine erste Gitarre geschenkt von meinen Eltern.
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Selbst einem großen Musiker sollte man groben Unfug nicht einfach unkommentiert durchgehen lassen. "Variationen verminderter Akkorde in Moll mit einem Hauch Dur" sind so eine Art veganer, glutenfreier Salat mit Fleischeinlage und Grünkern.
Musik ist ein tiefer Ausdruck von Individualität, Freiheit. Überbrückungsmedium (für mich) zwischen den immer tiefer Gräben, die sich zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen und einer Ideologie, welche die Freiheiten immer mehr beschneiden will.
Musik nun hören oder selber aktiv musizieren; Musik wirkt direkt auf unsere Gefühle.
Sie hat die Gabe, längst vergessene Emotionen in uns wachzurufen, Schmerzen/Sorgen/Vergessen aufzuhalten, zu lindern.
„Musik ist für die Seele was Gymnastik für den Körper.“ (Platon)