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Balkonkonzerte 2020 / dpa

Sound zum Jahreswechsel 2020/2021 - Unser musikalischer Ausweg aus dem Corona-Jahr

2020 war ein Jahr, das weitgehend ohne Livekonzerte vorüberging. Doch bei uns in der Redaktion und im Homeoffice blieb es trotzdem nicht nur leise. Unsere Cicero-Playlist zum Jahreswechsel präsentieren wir Ihnen deshalb auch diesmal.

Cicero Cover 11-24

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Liebe Leserinnen und liebe Leser,

wir wünschen Ihnen nach diesen turbolenten Monaten einen fulminanten Jahreswechsel. Lassen Sie es krachen – ohne Böller, aber mit Musik. Hier kommen unsere Songs aus der Redaktion. Auf Ihre Musik-Tipps freuen wir uns schon jetzt in den Kommentaren.

Bis 2021!
Ihre Cicero-Redaktion

Ralf Hanselle

Helge Schneider – „Heute hab ich gute Laune“

Wenn es ein Wort für das nun endlich auslaufende Jahr 2020 gibt, dann ist vielleicht dieses: „Gaga!“ Man muss ja gar nicht mal politisieren, medizinisieren oder sonst irgendwelche Stammtischlieder anstimmen, um zu bemerken, dass man mit Ernsthaftigkeit alleine einem solchen annus horribilis nur schwer beikommen konnte. Was es vielmehr brauchte, war ein Clown. Und ein solcher war für mich spätestens mit Erscheinen von Helge Schneiders 14. Album „Mama“ gefunden. Gleich das Eingangslied „Heute hab ich gute Laune“ wurde während der letzten Monate zu meinem Lockdown-Soundtrack sowie zum Soundteppich unter den morgendlichen Pegelständen des Robert Koch-Instituts oder der Frankfurter Börse. Schabernack, statt harter Zahlen. Wahnsinn, statt Weltuntergangsstimmung.

Das tolle am Clown ist schließlich dieses: Ganz wie ein Kind bleibt er im Moment. Er macht keine Prognosen, keine Simulationen, keine Modelle. Er tut nur das, was gerade am nächsten liegt: „Dann küssen wir uns und kaufen Pommes“. Stück für Stück, Schritt um Schritt, Kuss für Kuss: Anders wäre dieses Jahr doch kaum zu ertragen gewesen. Denn nur wer gaga war, konnte noch gute Laune haben.


Alexander Marguier
Van Morrison – „Dark Night of the Soul“

Van Morrison habe ich vor langer Zeit einmal live erlebt. Mitte der Nullerjahre muss das gewesen sein, in der Frankfurter Jahrhundert-Halle. Seine Band war unglaublich gut eingespielt, fast schon ein bisschen zu perfekt. Der Frontmann, inzwischen bereits Mitte 70, machte während des ganzen Konzerts trotzdem einen schlechtgelaunten Eindruck – was aber offenbar zu seinem Image gehört. Es war jedenfalls ein großartiger Abend, und hinterher war ich noch ein bisschen mehr Fan von Van Morrison als schon zuvor. Aber die Alben, die er in den darauffolgenden Jahren herausbrachte, wurden nach meinem Eindruck leider immer langweiliger. Irgendwann interessierte ich mich nicht mehr für seine Musik.

Vor kurzem kam ich bei der Suche nach LED-Birnen (warum geben die Dinger eigentlich ständig ihren Geist auf?) in einem Media-Markt zufällig am CD-Regal vorbei – und nahm aus purer Nostalgie die jüngste Van-Morrison-Einspielung mit nach hause. „Three Chords & the Truth“ heißt das 2019 erschienene Album – und es ist schlichtweg ein Meisterwerk. Eine der besten Plattenaufnahmen des gebürtigen Nordiren überhaupt. Und wiederum einer der besten Titel darauf ist die Nummer „Dark Night of the Soul“, die ich zum Leidwesen meiner Frau (sie mag Van Morrisons Stimme nicht) am liebsten gleich ein paar Mal nacheinander anhöre. Achten Sie auf die seidige Gitarre und die unglaublich wohltemperierte Hammond-Orgel! Das Stück geht runter wie Honig.

 

Christoph Schwennicke
Black Sabbath – „End of the Beginning

Klar, man könnte es auch mit was Lustigerem versuchen. Den Song des Jahres bei The Cure, Joy Division oder den Einstürzenden Neubauten suchen. Aber bei der Suche nach dem passendem Song zu diesem ausgehenden Jahr 2020 bin ich unweigerlich bei Black Sabbath und deren letztem Studioalbum „13“ gelandet. Brillant produziert von Rick Rubin. Eine Wiederauferstehung vor dem endgültigem Ende, ein grandioses letztes Aufbäumen gegen die Endlichkeit. „Is This The End Of The Beginning Or The Beginning Of The End?“ quäkt Ozzy Osbourne mit seiner unverwechselbaren, koboldhaften Stimme ins Mikrofon: „Losing Control Or Are You Winning?“ fragt er weiter, „Is Your Life Real Or Just Pretend?“ Dann setzen die schwermütige Gitarre von Tony Iommi und das infernalische Bassgeblubber von Geezer Butler wieder ein.

Verlieren wir gerade die Kontrolle, oder gewinnen wir sie zurück? Ist das ein Leben, oder tut das nur so? Direkt nach Black Sabbath wieder Karl Lauterbach im Radio gehört. Er hat auch eine unverwechselbare Stimme und sagt näselnd: Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, und die nächste kommt bestimmt. Prince of Darkness haben sie Ozzy Osbourne immer genannt. Aber der Gute ist vergleichsweise ein Sonnenscheinchen. Der wahre Fürst der Finsternis heißt Karl Lauterbach.

Ob das alles mal wieder anders wird? Ich wünschte es sehr. Seit über zwei Jahren liegen bei uns in der Küche zwei Karten für ein Ozzy-Osbourne-Konzert in Berlin. Es hätte am 19. Februar 2019 stattfinden sollen, dann wurde erst Ozzy krank, danach kam Corona. Es wäre schön, wenn ich diese Karten nochmal einlösen und ihn auf der Bühne sehen könnte. Ich glaube eher nicht daran.

 

Antje Hildebrandt
Bilderbuch – „Softdrink“

Ich liebe Cola. Nicht Pepsi oder Fritz, nein, Coca Cola muss es sein, wenn möglich zero, wegen der Kalorien. Cola macht hellwach. Cola erfrischt. Und wenn jetzt einer sagt, mit Cola kann man auch Toiletten putzen, dann  zucke ich mit den Schultern und nehme noch einen Schluck aus der Dose. Vor Jahren trampte ich mal  über die israelisch-jordanische Grenze, ich war halb-verdurstet, und was tauchte da plötzlich in der Wüste auf? Richtig, ein Cola-Automat.
 
So ein ähnliches Erlebnis hatte ich, als ich zum ersten Mal den Song „Softdrink“ von Bilderbuch hörte. Bilderbuch ist eine österreichische Band, die den Geist des genialen Falco atmet. Schwarzhumorig, größenwahnsinnig und unberechenbar, aber genau das macht ja die Magie von Pop aus. „Softdrink“ stammt von dem grandiosen Album „SchickSchock“, das 2015 erschien.

Der Song ist eine Hommage an all die Colas, Fantas, Pepsis, Seven-ups und Sprites, klingt aber, als besinge der Sänger eine Geliebte. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Song 2020 gehört habe. Er erfrischt. Er macht hellwach. Man hat auf dem Fahrrad gleich Rückenwind, wenn man ihn hört. Mehr kann man von geiler Musik wirklich nicht erwarten.

 

Moritz Gathmann
Meute – „You & Me“

Stellen Sie sich einen dieser wahnsinnigen Corona-Lockdown-Tage vor: Alle Kinder zuhause, es gab Stress wegen der Hausaufgaben, jetzt schmollen sie in den Zimmern, die Wäsche werden die jetzt auch nicht mehr zusammenlegen, na gut, dann quillt der Korb eben über; auf dem Handy vier unbeantwortete Anrufe von Arbeitskollegen, aber Sie werden nicht zurückrufen, weil Sie gerade einkaufen waren und die Familie jetzt auf das Abendessen wartet; kehren müsste man auch mal wieder, fällt Ihnen auf, als Sie unter den Tisch schauen; draußen nieselt und dunkelt es.

Bevor Sie jetzt das große Küchenmesser in die Hand nehmen, schalten Sie diesen Song der elfköpfigen Hamburger Blaskapelle Meute an, der die Coverversion der Coverversion eines ursprünglich todlangweiligen Liedes ist. Jetzt lassen Sie sich vom Saxophon und dem dezent begleitenden Marimbaphon an der Hand nehmen. Spätestens, wenn Schlagzeug, Tuba und die anderen Bläser einsetzen, haben Sie Corona vergessen, und spüren für ein paar Minuten einen sommerlichen Tag im Berliner Görlitzer Park, voller Freiheit, Sonne und Lebensfreude. Wirkt garantiert!

 

Marko Northe
Tocotronic – „Die neue Seltsamkeit“

Landet da ein Ufo? Oder tut sich eine Singularität auf? 20 Jahre lang waren für mich die kryptischen Zeilen dieses Songs ein Rätsel. In diesem Jahr nun machten sie plötzlich Sinn: Corona. Dirk von Lowtzow, der Punkdandy mit der Adidas-Trainingsjacke, singt über eine Pandemie. Über Corona. Tocotronic als Hellseher? Jedenfalls lässt sich der Virus-Layer gut über dieses Lied legen:

Man wisse zwar nicht, wann und wie es passiert
Und ob man gewinnt, oder ob man verliert
Man habe vorsorglich schon mal Geld gespart
Und für Donnerstag dem Verein abgesagt

Da bricht etwas über uns herein, das wir nicht ganz begreifen können, und zunächst versuchen wir, den Alltag aufrecht zu erhalten („Man habe ja auch noch den Hund zu versorgen“), bevor wir resigniert und erschöpft dem unerhörten Geschehen dort draußen seinen Lauf lassen: „Und ich liege im Bett, und ich muss gestehen / Ich habe große Lust, mich nochmal umzudrehen“.

Dazu dieser schleppende und scheppernde Tocotronic-Sound des endenden Jahrtausends, die immer gleiche Akkordabfolge, G, Am, F, C, G, die leiernde Stimme von von Lowtzow. Die Eintönigkeit des Lockdowns spricht aus dieser Musik und trotzdem hört man gerne hin. Ein schöner Soundtrack für dieses triste Jahr der Seltsamkeit 2020.

 

Bastian Brauns

Patti Smith – „These are the words“

Auf die Gefahr hin, das Jahr 2020 als esoterisch Angehauchter zu beenden, so kann ich trotzdem nicht verhehlen, dass ich dieser vielfach erzwungenen inneren Einkehr auch etwas Tröstliches abgewinnen konnte – zumindest, wenn der Sound dazu passte. Erschreckend war aber auch, immer wieder das Gefühl erfahren zu haben, mit einem Schlag um 40 Jahre gealtert worden zu sein. So wohnen seit Corona zwei Seelen in meiner Brust. Diese dürften in etwa dem jungen und dem alten Dasein von Patti Smith entsprechen. Die eine, zurzeit still gelegte Seele hängt ihrem Song „Because the Night“ von 1978 hinterher, den ich allerdings zuerst in der 90er-Dance-Cover-Version von CoRo kennenlernte. Wo sind die Feste, Parties und Ausgelassenheiten nur hin?

Die andere Seele hingegen ist offenbar mit Patti Smith gealtert und besinnlicher. 40 Jahre nach ihrem Welthit sang sie 2018 im Soundtrack zu Wim Wenders Film über Papst Franziskus („Pope Francis: A Man of His Word“) den Song „These are the Words“. Zwar kann einen der Taizé-hafte Singsang im Hintergrund auch irritieren. Aber mir verschaffte das Gelassenheit angesichts immer neuer Negativ-Nachrichten. Ich glaube fest daran, dass es ein Leben nach Corona geben wird. Und entgegen aller pessimistischen Annahmen kann es auch wieder so sein wie zuvor. Freuen wir uns auf dieses Gefühl, wenn die Sonne wieder scheint und wir Luft ohne Mund-Nasen-Schutz ein- und ausatmen werden.

Awake everyone, the dawn has come
Life is streaming from the sun
A garden blessed, the bird that sings
Nature gives us everything

 

Jakob Arnold
Christopher Tin – „Sogno di Volare“

Kein Lied könnte dieses Jahr aus meiner Sicht besser beschreiben. Statt die Freunde vom Schüleraustausch in Spanien zu besuchen oder mit einem Uni-Seminar nach Rom zu reisen, bin ich monatelang im Hotel Mama eingecheckt. Ehrlicherweise habe ich wieder gelebt wie mein 10-jähriges Ich. Und das heißt konkret: Videospiele. Vor allem für Strategiespiele habe ich eine Schwäche. Eines der populärsten ist die Civilization-Reihe. Ich habe mich dieses Jahr im neuesten Teil verloren: Civilization 6.

Das ganze Spiel ist eine Ode auf das Menschsein. In jedem Ableger führt man seine Zivilisation von der Steinzeit bis ins heutige Informationszeitalter. Am Ende steht immer der Stolz, Teil dieser wunderbaren Spezies Mensch zu sein. Von diesem Gefühl ist auch die Titelmusik getragen. Wenn Sie wie ich ein Ohr für etwas Pathos haben, hören Sie doch einmal herein. Dieses Mal ist es das Lied „Sogno di Volare“… Wie ironisch, dass das übersetzt „Der Traum vom Fliegen“ heißt.

Also dann; auf ein Jahr 2021, in dem wir wieder den Traum vom Fliegen leben können.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 31. Dezember 2020 - 17:59

Ich schaue zunächst auf die letzten Wochen zurück und da berührte mich mal wieder die Niederländische Bachgesellschaft am tiefsten.
Diesmal mit den Kantaten "Widerstehe doch der Sünde" - Sünde kommt wohl von Sinnen im Sinne von trachten nach - BWV 54 und der Kantate BWV 23 "Du wahrer Gott und Davids Sohn".
So einen ganz kleinen Ausweg hatte ich allerdings Ende dieses Jahres, als ich mir das Mandalorienbaby Yoda kurz ansehen konnte.
Das ist doch wohl der Hammer, wenn es die Macht ausströmt, jedenfalls komme ich so zu dem Text des jungen Journalisten Jakob Arnold, aber überhaupt zum Cicero.
Ich sage mal, ein Glücksfall ganz sicher auch 2021 und wenn es finanziell eng wird, bitte Bescheid sagen!
Ich kann nicht viel, aber manchmal hilft schon wenig von vielen oder vereintes Jammern und Wehklagen:)
Erhalten Sie sich.

Bernd Muhlack | Do., 31. Dezember 2020 - 18:18

POWER UP - das neue Album von AC/DC
... nach sechs Jahren und ohne Malcolm Young!
Er wurde ein Opfer der Demenz ...

Hallo Herr Brauns!
Ich habe Patti Smith vor knapp 100 Jahren live erlebt - Frankfurt.
Es ist ein Wunder, dass ich nicht taub wurde!
Ich war bei vielen Rockkonzerten, jedoch war das ein Mega-Hammer!
"Rockn Roll Nigger" - der Bierbecher in Händen vibrierte mit dem Bass!
Ich/wir haben zwei Tage danach kaum etwas gehört!

Das Video ist sehr schön, erinnert mich an meinen letzten Einkauf bei Kaufland: man hilft sich eben!
Einer dieser Obdachlosenzeitungsverkäufer labert mich an; er sieht die drei Getränkekisten im Wägelchen und meine Unterarmkrücke => er packt alles ins Auto!
Ich drücke ihm einen 10er inne Hände - iss ja zwischen den Jahren!
Er zögert ... "Danke, shukran!"
"Sie sind Araber?"
"Ja, Syria, Hama."
Er ist etwa 18j, ob er das damalige Massaker von Hama kennt, 1982?

Nachher "Kleinsilvester", zu dritt, mit Ute und Hans.

Alles Gute an ALLE für 2021!

Milan Chudaske | Do., 31. Dezember 2020 - 21:48

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie Herr Schwennicke, in der ersten Reihe stehend und die Hand zum Teufelsgruß erhoben, sein hoffentlich noch reichlich vorhandenes Haupthaar zu Black Sabbath Songs schüttelt. Rock on...

Klaus-Dieter Kaiser | Do., 31. Dezember 2020 - 22:11

sie haben mir eine Freude bereitet, den Titel kannte ich noch nicht, ich habe den großen Meister mal in Bonn live erlebt, unvergessen.
Danke.