- Trainiert wie Soldaten für den Krieg
Deutschland hat die Debatte zur Polizeigewalt aus den USA übernommen. Dabei sind manchen die Maßstäbe verrutscht. Denn die deutsche Polizei ist überhaupt nicht mit der amerikanischen Polizei vergleichbar.
Deutschland ist Importweltmeister. Zumindest in der Einfuhr amerikanischer Debatten. Ob MeToo oder Identity Politics: Der Blick klebt auf den USA. Derzeit geht es um die Bewegung Black Lives Matter, die sich gegen Rassismus und Polizeigewalt engagiert. Keine schlechte Sache. Den Deutschen schadet eine Auseinandersetzung damit nicht. Doch so hilfreich die Debatten auch sind: Viele führen sie im Maßstab 1:1. Das ist unreflektiert und unkritisch.
Bei aller Berechtigung sollten wir den Kontext nicht aus dem Blick verlieren. Die Bedingungen, die in den USA zu dieser Bewegung führten, sind nicht zu vergleichen mit den Gegebenheiten in Deutschland. Die nationalen und historischen Realitäten sind grundverschieden.
Ein krankes Land
Struktureller Rassismus ist den Vereinigten Staaten tief verankert. Vierhundert Jahre atlantische Sklaverei zeichneten die amerikanische Gesellschaft. Damals schon, zu Zeiten der Sklavenhändler, etablierte sich das Bild des schwarzen Straftäters.
Jahrhunderte der Stigmatisierung schwarzer Bevölkerung führten zu Armut, zu fehlender Bildung, zu Segregation, die Aufteilung in schwarze Slums und weiße Villenviertel. Die amerikanische Gesellschaft ist räumlich fast so gespalten wie in den Sechziger Jahren. All das sind Gründe, wieso Afroamerikaner in Kriminalität versinken, öfter und länger im Gefängnis sitzen, und sich seltener aus armen Verhältnissen befreien. All das sind Gründe für den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Es ist ein krankes, gespaltenes Land, das nicht zurechtkommt mit seinem Werteverständnis, seiner Vielfalt, seiner Einstellung zum Leben des Einzelnen oder der Beziehung zu Gewalt und Waffen.
Auch Deutschland hat die Rassismusdebatte nötig. Nur nicht in derselben Radikalität, denselben Unterstellungen und Forderungen. Im Vergleich mit den USA glitzert Deutschland wie ein Eldorado.
Good cop, bad cop
Ein besseres Beispiel für das unreflektierte Übernehmen amerikanischer Gesellschaftsthemen: die derzeitige Polizeikritik, die sich aus Black Lives Matter heraus formuliert. Die Kritik an Gewalt und Rassismus, die in den Vereinigten Staaten zurecht Einzug in die Debatte hielt, formulieren nun auch Aktivisten aus Deutschland. Nur leider im selben Maßstab wie in den USA.
Korpsgeist und Militarisierung herrschen in den Kadern der amerikanischen Polizei, die ihren Nachwuchs vornehmlich aus Familienangehörigen von Kollegen oder Veteranen der Armee rekrutiert. Jeder fünfte US-Polizist war beim Militär, und „sie werden trainiert wie Soldaten, die in einen Krieg ziehen“, wie der Amerika-Korrespondent des Deutschlandfunks, Thilo Kößler, schreibt. Zudem ist der systematische Rassismus von Polizei und Justiz unbestreitbar.
Charakterliche Eignung spielt in der Polizeiausbildung kaum eine Rolle. Die Durchsetzung staatlicher Gewalt zählt umso mehr. In kürzester Zeit kann ein Neuling US-Polizist werden: Durchschnittlich in 19 Wochen. Im Bundesstaat Indiana darf man gleich ohne Ausbildung loslegen, sofern man seine Schulungen nachholt. Und 2015 fand die Neue Zürcher Zeitung heraus, dass die Ausbilder nur rund acht Stunden in das Training von Deeskalation investieren. Schießen dürfen die Beamten, sobald es ihnen angemessen erscheint.
Schusswaffengebrauch als Ultima Ratio
Die Anforderungen in der deutschen Polizeiausbildung dagegen sind enorm. Viele Anwärter absolvieren ein dreijähriges Studium bevor sie auf Streife gehen. Es ist eine fundierte Lehrzeit, besonders charakterliche Eignung zählt. Immer wieder beschäftigen sich die Schüler mit Deeskalation, dem Credo der deutschen Polizei. Der Schusswaffengebrauch ist in Deutschland die Ultima Ratio.
Kollegen mit ausländischen Wurzeln sind weder auf Großstadtwachen noch unter Polizeianwärtern eine Seltenheit. Im Gegenteil: Ihre Anzahl steigt. Die Marketingabteilungen werben gezielt um sie, in Hamburg seit 1995: Dort hat jeder fünfte neue Polizist einen Migrationshintergrund. Die deutsche Polizei genießt unter Demokraten in Deutschland einen tadellosen Ruf. Sie gilt als eine der besten der Welt. Eine mit Rassismus begründete, fahrlässige Tötung wie im Falle von George Floyd in Minnesota, das Gesicht im Asphalt, das Knie in Nacken und Luftröhre gedrückt: Hierzulande völlig undenkbar.
Defund the police
Ein amerikanischer Debattenimport im Zuge von Black Lives Matter wirkt in Deutschland besonders deplatziert: „Defund the Police!“ – „Streicht der Polizei die Mittel!“. So skandieren Protestierende in den USA, so titeln amerikanische Meinungsartikel. Die Mehrheit des Stadtrates in Minneapolis etwa will die örtliche Polizei durch eine Organisation für öffentliche Sicherheit ablösen. Die Idee der Abschaffung der Polizei folgt in den USA aus der Annahme, die US-Polizei sei überfinanziert und unreformierbar.
Auch in Deutschland fordern erste Stimmen, der Polizei die Mittel zu kürzen. „Wir müssen Ressourcen aus dem Polizeiapparat abziehen und in Institutionen der ökonomischen, sozialen und politischen Teilhabe reinvestieren“, sagen etwa die Sozialwissenschaftler Vanessa E. Thomson und Daniel Loick.
In Deutschland unhaltbar
„Defund the Police“ ist in den USA eine radikale Forderung. Die Kritik an ihr würde einen weiteren Artikel füllen, selbst wenn man die US-Polizei für unbedingt zu reformieren hält. Einzelne Ansätze aber sind im amerikanischen Kontext legitim begründet. Angenommen also, dort wäre sie sinnvoll: In Deutschland ist sie letztlich irrational – und in der Debatte unhaltbar.
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Ja, lieber Herr Wilk, so ist es.
In Deutschland an eine Abschaffung der Polizei überhaupt zu denken, zeugt von einer Realitätsblindheit, die ihresgleichen sucht. Ich bin davon überzeugt, daß es in kaum einem anderen Land der Welt zurückhaltendere Polizisten gibt als bei uns.
Manchmal frage ich mich, wenn ich Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen sehr:
Wer hat da wohl mehr Angst - die Randalierer oder die Polizei? Vor allem: Wer hat mehr Sanktionen zu
befürchten?
Dieser Zustand ist nicht gut; denn er untergräbt das Machtmonopol des Staates, welches uns allen im Interesse des inneren Friedens sehr wichtig sein sollte.
Bei aller übertriebener Kritik a la Saskia Esken gibt es völlig unnötigen Gewalteinsatz der Polizei auch in Deutschland laufend (siehe z.B. der Fall Herten aktuell, wo ebenfalls ein Familienangehöriger mit Tritten am Boden fixiert wurde).
Und auch in Deutschland sterben an solchen Methoden z.T. Menschen. Ein russischer Dirigent eines Adventskonzerts hat deshalb im Dezember 2019 einen Disput im Hotel mit Polizeieinsatz z.b. nich überlebt.
Wie schnell heutzutage von Behördenseite Gewalt ins Spiel kommen kann, habe ich bei einem Feuerwehr-Sanitätereinsatz in meinem Wohnzimmer im Dezember selbst erlebt: da reichte eine geringfügig andere Schilderung eines Sturzes einer verwirrten Verwandten durch selbige (angebl. Sturz suf Kopf) im Vergleich zu meiner als Augenzeuge (Sturz auf Hüfte), dass ich die eigene Wohnzimmertür ins Gesicht gedrückt bekam, angebrüllt wurde und die Polizei gerufen wurde, um kurze Angaben von mir als Bevollmächtigtem zur Vorerkrankung (Delirium) zu verhindern.
Ist auch mein Eindruck. Und dennoch werden die linken Aktivisten in der USA hier nachgemacht. Selbst der Begriff Liberal, ist von dort übernommen, wobei der Begriff dort etwas anderes meint als hierzulande. Egal. Ich würde das als kulturelle Globalisierung oder Übernahme der US-Kultur bezeichnen. Wobei ja auch schon die Grünen Großeltern zwar Antiamerikanisxh waren, aber damit die dortigen Vietnam - Kriegsgegner übernahmen. Wobei das auf der anderen Seite in gewisser Weise genauso geschieht. Reagan, Thatcher, das waren die Väter oder Mütter des Neoliberalismus. Vielleicht man hier schon lange keine eigenen Ideen mehr hatte? Technisch ja genauso. Die Erfindung des Verbrennungsmotor ist ewig her.
unser Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder sich rückhaltlos und eindeutig hinter ihre Polizei stellen würden. Es ist eine Schande, wie Polizei und Rettungsdienste in diesem Land behandelt werden!
Klasse Herr Wilk! Sehr ähnliche Anmerkungen zu diesen höchst unreflektierten Vergleichen machte ich leider vergeblich vor kurzem in meiner Antwort auf einen Mitkommentator, der ebenfalls die Polizeigewalt und Rassismus in den Staaten 1:1 auf uns übertrug. Plötzlich war auch sein unter Gast gemachter Kommentar weg. Was soll`s;).Sie haben es eh besser und eloquenter in Ihrem Artikel erfasst! Mein Mann arbeitete über 45 Jahre, nach 4 Jahren BW über 41 Jahre für eine Sicherheitsbehörde der alliierten Streitkräften, die von unterer bis oberer Ebene stets eng mit den deutschen Hausherrn;) und anderen europäischen Diensten eng kooperierten. In dieser langen Zeit lernte auch ich so Einiges was den Vergleich beider Seiten betrifft. Sie liegen mehr als richtig lieber Herr Wilk mit der Annahme, das ein solcher Vergleich m.E. nach ein ideologisches Zerrbild darstellt. Denn sie können weder z.B. das Justizsystem noch die Waffenfreiheit/-Gewalt und Mentalität mit der unsrigen vergleichen!MfG
nur zustimmen. Die USA allgemein lassen sich mit uns nicht vergleichen genauso wenig wie z. B. Russland oder China oder Indien usw. Wenn man überhaupt vergleichen will sollte man die EU zum Vergleich heranziehen und selbst da wird man scheitern. Was uns natürlich nicht hindern sollte immer wieder zu überprüfen wie sieht es in der EU oder bei uns aus, gibt es etwas das verbesserungswürdig ist und wen ja wie geht man die Sache ruhig und sinnvoll an. Was ich ablehne ist dieses ständige in moralischer Überhebllichkeit mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Liebes Cicero-Team,
herzlichen Dank für Ihren Artikel.
Der/den deutschen Polizei/en einen wie auch immer gearteten Rassismus zu unterstellen ist einer jener Fehler, die leider in der heutigen Zeit sehr häufig geschehen, wenn nicht vergleichbare Sachverhalte dennoch verglichen und übernommen werden.
Wie in Deutschland mit einem tatsächlich ähnlichen Fall umgegangen wurde, bei dem Rassismus allerdings keine Rolle spielte (ob er es im Fall Floyd spielte, wird ein Gericht wohl erst noch prüfen müssen) lässt sich gut an dem Fall Amir Ageeb, der 1999 während seiner Rückführung in sein Heimatland verstarb, sehen:
Eine lückenlose juristische und polizeiliche Aufarbeitung, weitreichende Änderungen in Aus-/Fortbildung der Rückführungsbeamten sowie Durchführung der Abschiebemaßnahmen usw.
Deutschland hat sich hier - von Einzelfällen abgesehen- nichts vorzuwerfen - und auch den USA stünde es gut zu Gesicht, würde man den Sachverhalt ruhig und nüchtern aufarbeiten...
es ist eine groteske Phantomdebatte, ein mutwillig herbeigeredetes, imaginiertes Problem - das mich ein wenig an den Angstwahn vor Corona erinnert, ähnlich lebensfeindlich, doch im Subtext zutiefst rassistisch und oikophob, durch irre Medienmacher anmoderiert, gefüttert und aufgeblasen. Wenig mehr als die infantile Lust an der Selbstzerstörung. Fragt sich, wo die Erwachsenen bleiben, die der Auto-Aggression endlich Einhalt gebieten.
Sie bringen es auf den Punkt. Amerikanische Polizisten und deutsche Polizisten haben einen völlig anderen historischen und auch kulturellen Hintergrund. Keine 19 Wochenausbildung, sondern 2 1/2 Jahre Ausbildung im mittleren Dienst, wo es ihn noch gibt bzw. Studium im gehobenen Dienst. Auch wenn ich die Herabsetzung von Einstellungsvoraussetzungen in der deutschen Polizei kritisiere, weil jahrzehntelang Personal eingespart wurde und der Kriminalitätsdruck wuchs, und man schnell neue Leute einstellen muss, so ist bereits die Kontrolle der Polizei hier zu Lande eine völlig andere. Polizeiliches Handeln wird von Vorgesetzten, in Strafsachen von Staatsanwälten und später bei Gericht sehr wohl überprüft. Es gibt Strafverfolgungspflicht aus dem Gesetz heraus, auch gegen Polizeibeamte, früher selten öffentlich gemacht, heute medial skandalisiert. Natürlich gibt es auch Übergriffe und auch wenige Extreme. 99 % machen aber einen guten und schweren Job. Die meisten Vorwürfe sind unbegründet.
Wenn Sie diesen Namen im Zusammenhang mit Polizei googeln, dann werden Sie feststellen, dass die deutsche Polizei zwar nicht rassistisch, aber gemeingefährlich handeln kann und die Folgen dann durch Anklagen des Opfer "bereinigt" werden sollen und eine Entschädigung nicht einmal annähernd den Schaden ersetzt. Auch in Deutschland muss sich die Polizei fragen lassen wie sie mit Polizeigewalt umgeht.
Die radikale Linke, besonders in ihrer anarchistischen Variante, hasst jede Form staatlicher Autorität, die nicht ihrer eigenen Ideologie entspringt. Für deutsche Linke ist diese 1:1-Übernahme der US-Diskussion wie ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe sie ihren Polizeihass weit in die Gesellschaft hineintragen können. Die meisten Leute erkennen nicht, wer diese Kräfte sind, die diese Diskussion hier bei uns vorantreiben. Der radikalen Linken ist jedes Mittel recht, um die staatliche Autorität eines politischen Systems wie des unsrigen zu delegitimieren.
Und was die USA anbelangt: jetzt dominieren zwar die US-Linken die Diskussion dort, aber ich glaube, dass in diesem endlos weiten Land zwischen New York und Los Angeles so schnell keine Polizei abgeschafft wird, denn in diesem endlos weiten Land denkt man anders als in den linken Hipster-Vierteln New Yorks.
Ich dachte eigentlich auch immer, dass es da noch ein paar Unterschiede gibt, wenn ich die "Stirb langsam"- Filme erinnere.
Ich halte die Forderung nach geringerer Aufwendung für die Polizei aber erst recht für die USA für fatal, würde doch alles andere eher den individuellen Waffengebrauch fördern.
Also mehr Geld, bessere Ausbildung und höhere gesellschaftliche Anerkennung für die Polizei in den USA und auch hier.
Nicht alle Polizisten, hüben wie drüben, haben die moralische Überzeugung, dem Gesetz und damit den Menschen zu dienen wie John McClane.