- „Wir müssen die Menschen suchen“
Seit Mittwochabend hat die katholische Weltkirche mit ihren 1,2 Milliarden Gläubigen wieder ein neues Oberhaupt. Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio verspricht Wandel im Vatikan. Ob er auch der Weltkirche Reformen bringt, bleibt abzuwarten. Menschennah und bescheiden stellte er sich vor
Als am Mittwochabend um 19.05 Uhr endlich weißer Rauch aus dem schmalen Schornstein der Sixtinischen Kapelle quillt, verwandelt sich der Petersplatz in ein Fußballstadion. Die seit Stunden im Regen ausharrende Menge verfällt in Freudentaumel. “Viva il Papa - Es lebe der Papst”, das Menschenmeer wogt . Noch wissen die Gläubigen nicht, wer der neue Nachfolger von Petrus ist. Das Erscheinen des Erzbischofs von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, auf der Loggia des Petersdoms schafft dann Klarheit und stößt alle Erwartungen um. Seine Namenswahl - Franziskus - lässt ein Raunen durch Italien gehen.
“Nomen est omen”, heißt es sofort. Bergoglio ist der erste Bischof von Rom, der es wagt, sich mit dem Namen des Heiligen Franz von Assisi zu kleiden. Nicht unkonsequent, galt doch der neue Pontifex schon vorher als “Kardinal der Armen”, als resoluter Kämpfer gegen Elend und Korruption, als Kirchenfürst, der lieber U-Bahn fährt, als sich chauffieren zu lassen. Seinen Landsleuten riet er von der Reise nach Rom ab: Das Geld sollten sie lieber den Armen spenden. Bei seinem ersten Auftritt als Nachfolger Petri verzichtete Bergoglio denn auch symbolträchtig auf das in drei Größen bereitliegende, mit weißem Hermelin gesäumte Mäntelchen aus rotem Samt. “Der Name ist ein Zeichen”.
“Cari fratelli e sorelle, buonasera - Liebe Büder und Schwestern, Guten Abend”, grüßt Franziskus den Platz, die Stadt und die Welt. Es folgt fast ein Augenzwinkern: “Ihr wißt, es war die Aufgabe des Konklaves, Rom einen Bischof zu geben. Es scheint, meine Mitbrüder, die Kardinäle, sind fast bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn zu holen. Aber wir sind hier”, stellt er sich vor, mit einem verschmitzten Lächeln hinter der Brille. Kein einziges Mal nennt der Argentinier sich in seiner ersten kleinen Ansprache selbst Papst. Als Bischof von Rom bittet er die Gläubigen, nicht nur für seinen Vorgänger, sondern vor allem auch für ihn selbst zu beten. “Jetzt beginnen wir diesen Weg - Bischof und Volk”. Gemeinsamkeit und Demut geben den Ton an, an diesem ersten Abend. Und noch vor 22 Uhr steht es am Mittwoch: “Eins zu Null” für den neuen Papst.
Selbst Kirchenkritiker auf dem sozialen Netzwerk Facebook, die in Sekundenschnelle nach schlichten Kommentaren auch die Vorwürfe gegen Bergoglio “posten”, er habe Ordensbrüdern unter der grausamen Militärdiktatur von Jorge Rafael Videla (1976-1983) zu wenig Rückendeckung gegeben, können die Welle der spontanen Sympathie nicht übertönen.
Italienische Medien begeistern sich in den ersten Kommentaren der Nacht, das Konklave habe das “Geheimnis der Impotenz”, das “verunstaltete Antlitz” der Kirche und der Kurie zu renovieren, welches Benedikt in seinem Rücktritt revolutionär deutlich machte, endlich begriffen. Demut und Nähe seien die ersten Zeichen des neuen Papstes, schreibt etwa die römische “La Repubblica”. Mit seiner Art, sich nicht als Papst, sondern als Bischof von Rom den Menschen vorzustellen, habe sich Bergoglio “fast wie der charismatische Papst Wojtyla” auf “bislang auf der Loggia des Petersdoms ungekannte Art und Weise” vor den Gläubigen verneigt. Doch sicher, das ist nur der erste Eindruck.
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Die Erwartungen und Aufgaben, an denen Franziskus sich wird messen müssen, sind ganz anderen Kalibers. Sein Vorgänger Benedikt XVI. hat ihm eine von Baustellen gezeichnete Weltkirche hinterlassen. Die schweren Krisen, die das Pontifikat des Deutschen zeichneten, sitzen Kirche und Kirchenvolk noch in den Knochen. Von der Ökumene über den Missbrauchsskandal bis hin zu Vatileaks. Von den zahlreichen Problemen der Christen auf den fünf Kontinenten einmal ganz abgesehen. Um freie Hand zu haben, wird der neue Papst vom anderen Ende der Welt sie lösen müssen.
Dabei ist der Name Franziskus auch ein Programm. Und das lässt an erster Stelle auf die dringend notwendige Reform des maroden Regierungsapparats des Heiligen Stuhls hoffen. Ganz nach dem Vorbild von Christus lebte der heute als Heiliger verehrte Franz von Assisi (1181-1226) in Armut und teilte mit den Mittellosen und Kranken. Er wetterte gegen den Luxus, in dem viele Geistliche seiner Zeit schwelgten, und war damals der institutionalisierten Kirche ein Dorn im Auge. Papst Franziskus erwarten Herkulesaufgaben im Vatikan.
Aller Heiligkeit spottende Zustände ließ im vergangenen Jahr der Vatileaks-Skandal in der römischen Kurie erst nur erahnen. Dass Dokumente vom päpstlichem Schreibtisch gestohlen wurden, war an sich schon Skandal genug. Ihr Inhalt war noch brisanter. Um Korruption und Vetternwirtschaft ging es da. Um mafiöse Grundstrukturen in der Kurie. Noch höhere Wellen schlugen - nach einem bereits abgeschlossenen Prozess und kurz vor dem Rücktritt Benedikts - Berichte über die Hintergründe der Affäre. Was da über anonyme Informanten durch die Mauern des Vatikans an die Öffentlichkeit sickerte, hätte Bestsellerautor Dan Brown kaum besser erfinden können. Von Macht-, Sex- und Geldgelüsten war die Rede, von einer Schwulenlobby im Heiligen Stuhl, von Erpressung und Diebstahl. Erneut scheint die Vatikanbank IOR in dunkle Geschäfte verwickelt.
Um diesen Augiasstall auszumisten, ist es mit Stühlerücken nicht getan. Denn wenn der neue Papst auch dank Benedikts Rücktritt fast alle Leitungspositionen im römischen Schaltzentrum der geistlichen Macht neu besetzen kann, braucht es Transparenz, um derartige Intrigenspiele künftig auszuschließen. Es geht um Strukturenwandel und die Einführung neuer Kontrollmechanismen. Sicher, Bergoglio gilt nicht als Kurienmann. In diesem Sinne setzten die Kardinäle mit ihrer Wahl ein Zeichen zugunsten einer Reform der römischen Kirchenregierung. So machte sich Bergoglio in Argentinien als tapferer Kämpfer gegen Korruption bereits einen Namen. In den letzten Jahren kollidierte er deswegen immer wieder mit den Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner. Doch dürfte der Mann aus Buenos Aires in Rom Kurien-Insider als Helfer brauchen. Italienische Insider, die noch nicht kompromittiert sind, könnten ihm von Nutzen sein, sagen Vatikankenner.
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Auch mit dem weiter schwelenden Missbrauchsskandal und den Spaltungen innerhalb der Kirche wird der Papst mit dem anspruchsvollen Namen sich auseinandersetzen müssen. Benedikt hatte sich die Ökumene auf die Fahne geschrieben, löste jedoch seinem sich vorrangig an konservative Abtrünnige gewandten Vorgehen nicht nur die Krise um die Piusbrüder und ihren Holocaust leugnenden Bischof Richard Williamson aus. Er stieß vor allem auch viele Protestanten vor den Kopf. Hinzu kommen brach liegende Probleme in der Weltkirche: Von den heißen Eisen in Südamerika wie Drogenhandel, Gewalt, Korruption und Armut bis hin zum Islamistenproblem und der Christenverfolgung etwa in Afrika. Wie der argentinische Papst mit den Problemen umgehen wird, bleibt abzuwarten.
Viele vor allem in Nordeuropa und Deutschland sehnen sich nach einem “Reformpapst”, nach einem Kirchenoberhaupt, das der Welt “aufgeschlossener” gegenübersteht und begegnet. Und dass er den Menschen “begegnen” kann, hat er am ersten Abend schon gezeigt. Doch wie sehr Franziskus den Hoffnungen auf Öffnung entsprechen kann, steht in den Sternen. Mit 76 Jahren ist er älter als man es sich für den neuen Papst erhofft hatte. Das lässt darauf schließen, dass die Kurie mit ihm vielleicht doch noch einmal einen Übergangspapst wählen wollte, der Reformen beginnen kann, aber nicht alles umstülpt. Bislang stand der erste Papst aus Lateinamerika jedenfalls nicht gerade für Modernisierung der Kirche in Fragen von Sexualmoral, Frauen und der Zölibat. In Argentinien wehrte er sich lange, vergeblich und vehement gegen die Legalisierung der “Homo-Ehe”.
Und dennoch: Der erste Eindruck bleibt zunächst bestehen. “Die Menschen suchen, das ist unsere Aufgabe”, erklärte Bergoglio einmal in einem ihm gewidmeten Interviewbuch. Denn “einer ichbezogenen Kirche geht es wie einer ichbezogenen Person: Sie wird paranoid und autistisch.” Das lässt hoffen vor allem in punkto Kirchenferne und Gläubigenschwund. Einen ersten Schritt tat der neue Papst an diesem herzerwärmenden ersten Abend.
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