Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Wahlen in Frankreich - Der rechtsextreme Front National schlägt Wurzeln

Vor der Stichwahl der französischen Departementswahlen steht eines schon fest: Der rechtsextreme Front National hebt das Zweiparteiensystem der französischen Verfassung von 1958 völlig aus den Angeln

Stefan Brändle

Autoreninfo

Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

So erreichen Sie Stefan Brändle:

„Alors, wer hat nun wirklich gewonnen?“, fragte die Tageszeitung Metronews am Montag verzweifelt. An sich lässt die Reihenfolge auf dem Podest nach dem ersten Durchgang der Departementswahlen nichts zu deuteln: Die konservative „Union für eine Volksbewegung“ (UMP) von Nicolas Sarkozy kommt landesweit auf 29,4 Prozent der Stimmen, der rechtsextreme Front National (FN) auf 25,2 Prozent und die Parti Socialiste (PS) auf 21,9 Prozent. Gold, Silber und Bronze scheinen klar verteilt.

Und doch. Die königsblauen Parteifarben der UMP strahlten am Montag fast weniger stark als das „Marineblau“ der FN-Chefin Marine Le Pen. Die UMP rechnete selbst nicht mit diesem Erfolg. Denn sie leidet unter internen Hahnenkämpfen, die auch Parteichef Nicolas Sarkozy belasten. Sein Sprecher Gérald Darmanin meinte sehr vorsichtig, das UMP-Ergebnis sei zu „relativieren“, da die Stimmbeteiligung nur 50 Prozent betragen habe.

Die Linke verliert
 

Solche erstaunlich bescheidenen Töne aus dem Hause Sarkozy machen klar, dass nicht einmal die UMP das Gefühl eines Wahltriumphs hat. (Sie weiß, dass sie ähnlich abgestraft worden wäre, wenn sie an der Regierung säße. Und Sarkozy weiß, dass er nach nicht einmal vier Monaten im Amt des Parteichefs keinen Anspruch auf einen persönlichen Wahlsieg erheben kann.)

Arithmetisch hat das linke Regierungslager verloren. Wenn man aber bedenkt, dass Präsident François Hollande bei diesem lokalen Urnengang zwischen zwei Präsidentschaftswahlen mit einer Gemütsreaktion frustrierter Wähler rechnen musste, zieht er sich eigentlich recht gut aus der Affäre. „Ehrenvoll“, nach offiziellem Sprachgebrauch.

Aber nur landesweit: Von den 101 französischen Departementen – sie sind unter anderem zuständig für Mittelschulen, Straßenbau und Sozialhilfe – dürften am kommenden Sonntag etwa 15 an die Rechte verloren gehen. Die UMP dürfte nach dem zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag gut 70 Departemente kontrollieren, der FN immerhin zwei – Aisne im Nordosten und Vaucluse in der Provence. Letzteres ist aber noch sehr unsicher.

Die Linke trug zudem selbst zu ihrer rechnerischen Niederlage bei. Sie verzettelte sich in zahllose Wahllisten, wie etwa im südlich von Paris gelegenen Val-de-Marne. Es ist das letzte richtig „rote“, seit 1976 von den Kommunisten regierte Vorstadt-Departement. Und dort traten zum Beispiel eine „kohärente Linke“ sowie eine „vereinigte Linke“ gegen die großen Linksparteien an. Die Grünen brachen landesweit mit 2 Prozent ein; die Linksfront erzielte hingegen im Kielwasser der griechischen Syriza-Allianz gute 6,4 Prozent der Stimmen.

Der rechtsextreme Front National schlägt Wurzeln
 

Umstritten ist auch, wie das Resultat der „Frontisten“ einzustufen ist. Das rührt daher, dass Marine Le Pen die Latte unvorsichtigerweise selbst sehr hoch legte und posaunte, der FN werde am Sonntag stärkste Partei Frankreichs werden. Dieses Ziel hat sie klar verfehlt. Sie steigerte ihre Stimmenzahl nach den Europawahlen von 2014 (24,9 Prozent) nur geringfügig. Der Politologe Dominique Reynié erklärt deshalb: „Das Wahlresultat unterbricht den unwiderstehlich scheinenden Aufstieg des FN.“

Es kann durchaus sein, dass Marine Le Pen ihr Potenzial langsam ausgeschöpft hat. Ihr Vater Jean-Marie Le Pen war nie über 20 Prozent der Stimmen gekommen. Der nüchterne Befund ist trotzdem bedenklich: Die französischen Rechtsextremen haben erstmals überhaupt bei einer landesweiten Wahl die Schwelle von 25 Prozent überschritten.

Und erstmals schlagen sie im ganzen Land Wurzeln: in den Vorstädten mit Immigrationsproblemen und auf dem Land, das von Abwanderung und Arbeitslosigkeit gezeichnet ist. Ein Beispiel illustriert das: Im rückständigen Departement Aisne wurden einzelne FN-Kandidatenpaare – solche Binome schreibt das neue Wahlgesetz zur Geschlechterparität vor – schon im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen in den Departementsrat gewählt.

Alles in allem scheint es, dass die Franzosen die regierende Linke sanktionieren wollten – aber ohne der Rechten zu einem Triumph zu verhelfen. Daher ist die Frage nach dem Wahlsieger nicht klar zu beantworten. Sicher ist jedoch, dass der FN heute Frankreichs dritte politische Kraft neben den beiden Großparteien UMP und PS geworden ist. Er sprengt damit das über ein halbes Jahrhundert alte Zweiparteiensystem der Fünften Republik auf.

1958 stattete Charles de Gaulle die jeweils stärkste Partei mit einem Bonus aus, um stabile Verhältnisse zu schaffen. Dieses Modell geht mit drei ähnlich starken Parteien nicht mehr auf. Die Folgen sind, wie auch die Departementswahlen zeigen, „Dreieckswahlen“ mit einem höchst unsicheren Ausgang. De Gaulles Mehrheitswahlrecht wird zur politischen Lotterie.

Auch das wirft die Frage auf, wer letztlich profitiert, wenn der FN vielerorts in die Stichwahl vorstößt. Auf den ersten Blick ist es eher die Linke, da sich die UMP ihre Stimmen mit der Rechtsaußen-Partei teilen muss. Mit seinem demagogischen Slogan „FNPS“ wirft Sarkozy den Sozialisten vor, sie förderten die Lepenisten seit den Zeiten Mitterrands (1981-1995) klammheimlich.

Am Wahlabend räumte der EX-Präsident und UMP-Chef unfreiwillig selber ein, dass der FN der Linken ebenfalls massiv Stimmen abjagt: Er meinte, Le Pen habe den Syriza-Sieg in Griechenland begrüßt, wie es die französische Linke getan habe. Was auch stimmt: Die Frontisten schlagen heute vor allem in armen und Arbeiterzonen Wurzeln, wo die Sozialisten traditionell stärker sind als die Bürgerlichen.

Sarkozy und Valls bringen sich in Stellung
 

Die Frage, wem der FN-Vorstoß am meisten nützt, führte jetzt zu einem wütenden Schlagabtausch zwischen Sarkozy und dem sozialistischen Premierminister Manuel Valls. Sarkozy erklärte angriffslustig, seine Partei gehe mit dem FN keine lokalen Bündnisse ein – aber sie rufe im Fall eines Duells FN-PS auch nicht zur Wahl des Sozialisten auf, um die Rechtsextremen zu verhindern.

Ein wütender Valls warf Sarkozy am Montag vor, das sei ein „moralischer und politischer Fehler“. Die republikanischen Kräfte, also PS und UMP, müssten sich gegenseitig unterstützen. Sarkozy denkt nicht daran. Er plant die Änderung des Parteinamens von „UMP“ in „Die Republikaner“, was in Frankreich einen positiven Beiklang hat.

Der neuste Clash zwischen den beiden Hitzköpfen Sarkozy und Valls ist natürlich auch ein Vorbote der Präsidentschaftswahlen von 2017. Indem sich die beiden wie Hund und Katz anfeinden, verdrängen sie indirekt auch den geschwächten Präsidenten Hollande aus dem Rampenlicht.

Le Pen verfolgt derweil lächelnd, wie sich ihre Gegner sogar parteiintern auf die Füße treten: Sarkozy und Alain Juppé auf der Rechten, Hollande und Valls auf der Linken. Nur sie hat das Ticket ihrer Partei für 2017 sicher. Beruhigt lehnt sie sich zurück und verfolgt, wie sie die französischen Politik durcheinanderwirbelt. Der Frühling naht, die Saat des FN geht auf.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.