- Wie rechte Ideologen Amerika lahmlegen
Durch den aktuellen „Government Shutdown“ erleidet die US-Volkswirtschaft einen täglichen Schaden von etwa 300 Millionen Dollar. Die republikanische Tea Party missbraucht das Budgetrecht des Parlaments und torpediert die Regierung. Es geht um die Frage, wie viel Einfluss der Staat nehmen darf
Ist Amerikas „Tea Party“ die neue Bannerträgerin der Entmündigten und Entrechteten? Vor 150 Jahren schuf Georg Herwegh das Gedicht, das zum Lied der deutschen Arbeitervereine wurde: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“. 2013 hat sich Amerikas Rechte den Appell zu eigen gemacht. Sie legt den Regierungsapparat lahm, indem sie das Budgetrecht des Parlaments – das doch als „Königsrecht“ der Volksvertreter gedacht war – zu Erpressungsversuchen missbraucht.
Wann immer die Regierung Obama frisches Geld benötigt, möchten „Tea Party“-Vertreter der Nation mit ultimativen Forderungen ihre ideologischen Überzeugungen aufzwingen. Vor zwei Jahren, im August 2011, endete eine solche künstlich geschaffene Budgetkrise mit der Herabsetzung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s. Durch den aktuellen „Government Shutdown“ erleidet die US-Volkswirtschaft einen täglichen Schaden von schätzungsweise 300 Millionen Dollar. Die „Tea Party“ nimmt also weder Rücksicht auf das Nationalinteresse noch zeigt sie Achtung vor den Spielregeln der Demokratie. Die Gesundheitsreform, die sie nun mit ihrer Blockade der Haushalts-Bewilligung torpedieren möchte, war schließlich 2010 mit Kongressmehrheit beschlossen worden.
Die Republikaner hungern den Staat
Die „Tea Party“ hat diese Erpressungsmacht freilich nur aus zwei Gründen. Erstens wegen der Verschuldungskrise. Da stehen die USA nicht allein. In allen westlichen Industrieländern sind die Schuldenberge der öffentlichen Haushalte unverantwortlich hoch. Im Zuge der Finanzkrise hat sich das Problem verschärft. Nirgendwo scheint die politische Klasse in der Lage, entschieden umzusteuern – auch nicht in den USA. Dort wollen die Republikaner den Staat durch niedrigere Steuern aushungern. Obamas Demokraten versprechen dagegen zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel die Gesundheitsreform. Bei dieser Kombination aus Steuerermäßigungen und neuen Staatsausgaben wird die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben immer größer.
Zweitens tritt die Parteiführung der Republikaner diesen Erpressungsmanövern des rechten Flügels nicht energisch entgegen, obwohl der nur rund 20 Prozent der Abgeordneten stellt. Aus offenkundiger Schwäche lässt sie es zu, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Rein theoretisch gäbe es ja eine breite Mehrheit aus moderaten Demokraten und moderaten Republikanern, die eine weitere Zuspitzung verhindern und einen Nothaushalt verabschieden wollen, um die Regierung arbeiten zu lassen. Doch Fraktionsführer John Boehner muss fürchten, seinen Ehrenposten als „Speaker“ des Abgeordnetenhauses zu verlieren, wenn er die seit einigen Jahren geltende machtpolitische Regel preisgibt, dass der „Speaker“ nur die Gesetzesvorlagen im Plenum zur Abstimmung stellt, die in der eigenen Fraktion eine Mehrheit haben. Auch die Freigabe der Abstimmungen über den Haushalt oder die Erhöhung der Schuldenobergrenze wird er nicht wagen. Der Fraktionszwang bei Voten von derart machtpolitischer Bedeutung gehört zu den etablierten Herrschaftsmitteln.
Eine gespaltene Gesellschaft
Überhaupt sind entscheidende Faktoren, die zur aktuellen Zuspitzung im „Government Shutdown“ führen, spezifisch amerikanisch. Ein tiefer ideologischer Riss spaltet die Gesellschaft so ziemlich in der Mitte. In den USA ist die Frage, ob mehr oder weniger Staat im gesamtgesellschaftlichen Interesse liege, weiterhin hart umkämpft. Beide Lager sind ungefähr gleich groß. Das ist ein signifikanter Unterschied zu Deutschland, wo die meisten mehr oder minder sozialdemokratisch denken und den Staat samt seiner sozialpolitischen Umverteilungsfunktion für einen Fortschritt halten. In Deutschland ist die überwältigende Mehrheit bereit, höhere Steuern hinzunehmen. In den USA ist eine große Mehrheit strikt gegen höhere Steuern.
Verschärft wird die furchtsame Haltung der Parteiführung durch das berüchtigte „Gerrymandering“. In Folge dieser Manipulation der Wahlkreiseinteilung haben radikalere Politiker bessere Chancen bei der Kandidatenaufstellung für die Kongresswahl als moderate Bewerber. In mehr als 70 Prozent der Wahlkreise weiß man von vornherein, welche Partei dort gewinnt. Damit verschiebt sich die Entscheidung, welcher Volksvertreter nach Washington geht, von der Hauptwahl in die Kandidatenaufstellung. Eine Absicherung auf Parteilisten wie in Deutschland gibt es in den USA nicht. Diese Dynamik erklärt das Zögern der Republikaner-Führung, der „Tea Party“ entgegenzutreten und die Abstimmung über den Haushalt und die höhere Kreditaufnahme freizugeben. Viele Moderate müssen fürchten, bei der Kandidatenaufstellung im Frühjahr 2014 von radikaleren „Tea Party“-Leuten herausgefordert zu werden und ihr Mandat zu verlieren.
Der Oktober 2013 bot sich zudem in besonderer Weise an für die Machtprobe. Denn nun bieten sich in kurzer Abfolge gleich zwei Gelegenheiten zum Kampf um die reine Lehre: der Beginn des Budgetjahres am 1. Oktober, der ein neues Haushaltsgesetz erforderlich macht, und wenig später das erneute Erreichen der Schuldenobergrenze, vermutlich um den 17. Oktober.
Hinzu kommt eine paradoxe Interessengemeinschaft. Aus unterschiedlichen Gründen kommt es sowohl Präsident Obama als auch der „Tea Party“ gelegen, den Konflikt auszukosten und die Republikaner-Führung um John Boehner schwach aussehen zu lassen. Obama hat in der Syrienkrise – und generell in der Innenpolitik – mit der Kritik zu kämpfen, ihm fehle es an Führungskraft. Nun kann er Stärke zeigen, indem er sich der Erpressung widersetzt. Und dies ohne großes Risiko. Seine Gesundheitsreform bleibt zwar unpopulär, aber die Mehrheit der Bürger findet es falsch, sie mit dem Budgethebel zu stoppen. Die „Tea Party“ wiederum berauscht sich an ihrer Macht und Prinzipientreue, wenn sie Appelle zur Mäßigung missachtet.
Schwacher oder starker Staat?
Welten trennen die politische Kultur in Deutschland von der in den USA. In Amerika wird das Budgetrecht rigider ausgelegt. Ist kein Geld in der Kasse, haben Leistungsberechtigte das Nachsehen. Das gilt auch dann, wenn der Staat gar nicht pleite ist, sondern lediglich das Parlament vorhandene Mittel nicht bewilligt. In Deutschland liefe es wohl anders. Deutsche glauben an den Staat; unvorstellbar, dass auf ihn kein Verlass sein soll. Angenommen, hier wollte jemand Staatsbedienstete in unbezahlten Zwangsurlaub schicken oder Rentenüberweisungen aussetzen oder Behörden schließen, nur weil der Bundestag nicht fristgerecht einen neuen Haushalt beschlossen hat - das gäbe Massendemonstrationen! Oder Gerichte ordnen an, dass der Staat gesetzlich festgelegte Leistungen nicht von der Kassenlage abhängig machen darf.
Wegen des Prinzipienstreits zwischen den Lagern in den USA ist eine rasche Beilegung des Budgetkonflikts unwahrscheinlich. Ein kleiner Kompromiss zur Beendigung der Regierungsschließung und zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit der Regierung Mitte Oktober ist dagegen möglich. Die finanziellen Kosten der Zwangsschließung steigen jeden Tag - und damit auch die politischen Kosten für die Republikaner. Die Mehrheit der Bürger hält sie für die Hauptschuldigen. Und so selbstmörderisch sind Amerikas Konservative dann auch wieder nicht, dass sie sich vom starken Arm der „Tea Party“ in eine Niederlage bei der Kongresswahl 2014 zwingen lassen.
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