- Politisches Powerplay
Einerseits will die Nato ihre Truppen in Polen und im Baltikum aufstocken, um Stärke gegenüber Russland zu demonstrieren. Andererseits setzt der Westen auf eine „selektive Zusammenarbeit“, um das Risiko einer direkten Konfrontation so gering wie möglich zu halten. Doch die strategische Konkurrenz kann jederzeit eskalieren
Gut zwei Jahre nach der Krim-Annexion durch Moskau sind auch die unerschütterlichsten Optimisten in der Wirklichkeit angekommen: Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen sind weit mehr als nur eine vorübergehende Episode gegenseitiger Verstimmung. Auf beiden Seiten richtet man sich ein in der neuen Normalität, in der es nicht mehr um Partnerschaft, sondern um strategische Konkurrenz geht. Mit Pauken, Trompeten und dröhnenden Kampfjets kehrt Russland auf die große Bühne der internationalen Politik zurück – und mit ihm die längst überwunden geglaubte Logik der „great power politics“. Geschickt setzt Moskau auf einen Mix aus strategischer Ambiguität, kalkulierter Unberechenbarkeit und gezielten militärischen Provokationen.
Dass Putin dabei mit seiner Syrien-Intervention sowohl außenpolitisch als auch an der heimischen Propagandafront einen Punktsieg errungen hat, wird wohl niemand bestreiten. Dank taktischer Finesse und effizientem Mitteleinsatz ist es ihm gelungen, eine militärische Niederlage des Assad-Regimes vorerst abzuwenden und den Grundstein dafür zu legen, dass – sollte es dazu kommen – Russland sich gemeinsam mit den USA als Garantiemacht eines syrischen Friedensabkommens in Szene setzen kann. Doch die ambitionierte Außenpolitik des Kremls kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Gebälk der Russischen Föderation vernehmlich knirscht. Die nicht nur dem niedrigen Ölpreis und dem abwärtsrollenden Rubel, sondern auch strukturellen Defiziten geschuldete Wirtschaftsmisere und der innenpolitische Stillstand sind beste Voraussetzungen für einen „perfekten Sturm“. Wie lange sich die russische Bevölkerung noch damit zufriedengibt, statt steigender Wachstumsraten siegreiche Kampfpiloten zu bejubeln, bleibt abzuwarten. Fest steht indessen: Russlands außenpolitische Kraftmeierei ist eher ein Indiz seiner Schwäche als ein Ausweis von besonderer Stärke.
Russlands Rückkehr als globale Macht
Wie also kann es weitergehen zwischen Russland und dem Westen? In Zeiten wie diesen lautet die Devise: realistisch sein und das Schlimmste verhindern, will sagen: das Risiko einer direkten Konfrontation so gering wie möglich halten. Eine „selektive Zusammenarbeit“ mit Russland dort, wo sich (außenpolitische) Interessen überschneiden, vor allem in Syrien und Libyen, mag wünschenswert sein. Doch seien wir ehrlich: Gerade im nordafrikanisch- nahöstlichen Krisenbogen gibt es zwar punktuelle Interessenüberschneidungen zwischen Russland und dem Westen. Grosso modo aber unterscheiden sich Moskaus regionale Ziele deutlich von denen der Europäer und Amerikaner. Im
gegenwärtigen Klima scheint die Region zwischen Rabat und Riad eher zu einem Schauplatz strategischer Konkurrenz als zu einem Raum der Zusammenarbeit zu werden. Denn aus Sicht des Kremls bieten Nordafrika und der Nahe Osten die ideale Kulisse, um Russlands Rückkehr als globale Macht zu inszenieren.
Dass es darüber hinaus auch in Moskaus Interesse liegt, Terrorismus und Extremismus zu bekämpfen, befreundete Regime zu stützen, Marktanteile für Rüstungs- und andere Exportgüter zu sichern und Einfluss auf die Förderpolitik der Rohstoffproduzenten am Golf zu nehmen, liegt auf der Hand. Doch über allem steht der Anspruch, sich durch gezieltes Engagement in der Mena-Region den Wiederaufstieg als Alpha-Player zu sichern und nebenbei die Schwäche amerikanischer Nahostpolitik auszunutzen. Für seine nahöstlichen Verbündeten erweist sich Moskau dabei als verlässlicher Partner, dem Regime-Stabilität über alles geht und der seine Alliierten in der Region nicht mit lästigen Forderungen in Sachen Menschenrechte und politische Reformen behelligt.
Libyen – der nächste Brandherd vor Europas Haustür
Syrien mag als Paradebeispiel dafür dienen, dass die vielbeschworene „selektive Zusammenarbeit“ zwar nicht unmöglich (ohne eine russisch-amerikanische Einigung wäre die – brüchige – Feuerpause zwischen Assad-Regime und Opposition kaum zustande gekommen), aber doch ein äußerst schwieriges Bohren dicker Bretter ist. So herrscht nach wie vor Uneinigkeit darüber, welche der Konfliktparteien es zu bekämpfen und wen es zu unterstützen gilt und wie die Zukunft Syriens nach dem Ende der Kampfhandlungen aussehen sollte. Auch mit Blick auf die Stabilisierung Libyens – des nächsten Brandherds vor Europas Haustür – stehen die Aussichten auf eine russisch-westliche Zusammenarbeit nicht gut. Aus Kreml-Perspektive ist es in erster Linie Aufgabe des Westens, die Scherben seiner misslungenen Militärintervention zusammenzukehren, der Moskau von Anfang an ablehnend gegenüberstand. Sollte sich die russische Führung dennoch zu einem stärkeren Engagement in dem nordafrikanischen Krisenland entschließen, würde dies als Entgegenkommen an den Westen verpackt – versehen mit dem entsprechenden politischen Preisschild.
Fazit? Es gilt realistisch zu sein, wenn es um die Chancen einer „selektiven Zusammenarbeit“ geht. Man sollte sich darauf konzentrieren zu verhindern, dass aus strategischer Konkurrenz unversehens direkte Konfrontation wird. Wie gefährlich schnell sich die Eskalationsspirale drehen kann, hat der Abschuss einer russischen Su-24 durch die türkischen Luftstreitkräfte im November 2015 gezeigt. Willkommen in der neuen Normalität zwischen Russland und dem Westen.
Dieser Artikel ist am 01. Mai 2016 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.
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