- Pekinger Original
Tian Lipu ist Chinas höchster Schützer von Patentrechten. Welche Agenda er verfolgt, ist allerdings unklar
Was für eine Begrüßung. Ein trister Pekinger Behördenbau, lange Korridore, eine Tür geht auf – und plötzlich schallt „Im Frühtau zu Berge“ aus den Lautsprechern, und ein strahlender Chinese in Trachtenjacke schmettert dem Gast ein herzliches „Grüß Gott“ entgegen. Chinas Patentamtschef Tian Lipu, der Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer im April 2010 so empfing, wird gewusst haben, welchen Eindruck sein Auftritt auf den CSU-Politiker machen würde. Wie sollte ihm Seehofer nach einem solchen Willkommen noch böse sein?
Dabei repräsentiert Tian einen Pekinger Machtapparat, auf den viele deutsche Unternehmen schlecht zu sprechen sind. Der 59-jährige Ingenieur ist Chinas höchster Wächter über geistige Eigentumsrechte, und damit auch verantwortlich, wenn Patente ausländischer Firmen in der Volksrepublik verletzt werden. Das kommt häufig vor, so häufig, dass China sich vorwerfen lassen muss, systematischen und staatlich sanktionierten Technologieklau zu betreiben. Tians Job ist es, diesen Vorwurf zu entkräften.
Seine Aufgabe erfüllt er mit einer Mischung aus Charme und Unerbittlichkeit, wie er zuletzt Mitte November beim Parteitag der Kommunistischen Partei demonstrierte. Zwar räumte Tian ein, dass es in China beim Schutz geistigen Eigentums Probleme gebe, doch das Eingeständnis war nur der Auftakt für einen Gegenangriff. „Westliche Medien verzerren Chinas Image“, klagte er. Inzwischen sei der Patentschutz viel besser als sein Ruf: 2011 seien in China 526 000 Erfindungen angemeldet worden, ein Fünftel mehr als im Vorjahr und 13 Mal so viel wie noch vor einem Jahrzehnt. Damit liege die Volksrepublik in der Rangliste innovativer Länder auf Platz vier. Außerdem bezahle kein Land der Welt mehr Geld für Lizenzen, etwa für Technologie, Software oder Fernsehprogramme. „Aber darüber spricht fast nie jemand“, beschwerte sich Tian. Statt China Vorhaltungen zu machen, solle man ihm lieber dankbar sein und ansonsten Zeit geben, sein System zu verbessern, schließlich befinde es sich auf dem richtigen Weg.
Aber tut es das? So einleuchtend Tians Argumentation zunächst klingen mag, so geschickt umschifft sie die aus westlicher Sicht entscheidenden Fragen: Warum kann ein Land, das stolz auf sein hohes Entwicklungstempo ist und das Internet nahezu lückenlos überwacht, nicht mit der gleichen Geschwindigkeit und Effektivität den Schutz geistigen Eigentums verbessern?
Seite 2: Patentrechtsverletzungen sind nach wie vor ein grassierendes Problem
Denn allen Pekinger Rechtfertigungsreden zum Trotz sind Patentrechtsverletzungen nach wie vor ein grassierendes Problem. Das Spektrum reicht von imitierten Markenhandtaschen und kopierten DVDs bis zu gefälschten Arzneimitteln und nachgebauter Technologie. In einer Umfrage der Deutschen Handelskammer in China aus dem Jahr 2011 gaben 57 Prozent der Mitgliedsunternehmen an, Opfer von Copyrightverstößen geworden zu sein, 17 Prozent sogar wiederholt. Studien anderer Verbände kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Der finanzielle Schaden lässt sich nur grob abschätzen. Die International Intellectual Property Alliance, ein Zusammenschluss amerikanischer Unterhaltungs- und IT-Konzerne, gibt an, dass ihren Unternehmen 2009 allein durch illegale Software Einnahmen von 3,5 Milliarden Dollar entgangen seien. Noch schwerer wiegt für viele Firmen allerdings, dass Chinas Zulassungsbehörden ihnen den Zugang zum chinesischen Markt häufig nur gewähren, wenn sie vorab Entwicklungsdetails offenlegen. Die Informationen, etwa über die Programmierung von Chips oder die Rezeptur von Medikamenten, würden dann an chinesische Konkurrenten weitergegeben und von diesen immer öfter sogar als Patente registriert, klagen ausländische Unternehmensvertreter.
Man darf davon ausgehen, dass Tian all diese Probleme bestens kennt. Schließlich hat er sein gesamtes Berufsleben im chinesischen Patentrechtsapparat verbracht. Nach zwei Studienabschlüssen in Tianjin und Peking trat er 1981 in den Dienst der staatlichen Copyrightschützer und wurde in den folgenden Jahren mehrfach für längere Studienaufenthalte nach Deutschland geschickt. Unter anderem forschte er beim Patentamt in München, am europäischen Patentgerichtshof und am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht. Zu Hause machte er schrittweise Karriere im Patentamt, bis er 2005 Direktor des State Intellectual Property Office und seiner rund 10 000 Mitarbeiter wurde. Ausländischen Besuchern erklärt Tian gerne, dass es in seiner Behörde ausgesprochen deutsch zugehe. Doch welche Agenda sie in Wirklichkeit verfolgt, bleibt unklar, Trachtenjacke hin oder her.
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