- Obamas Syrien-Dilemma
US-Präsident Barack Obama hat den Einsatz von Chemiewaffen durch Syriens Diktator Assad stets als "rote Linie" bezeichnet - jenseits der die USA eingreifen würden. Wie reagiert Obama nun, da es Anzeichen für die Anwendung von Giftgas gibt?
Der Umgang der US-Regierung mit dem Bürgerkrieg in Syrien nähert sich womöglich einem Wendepunkt. Präsident Barack Obama hat den Einsatz von Chemiewaffen mehrfach als eine „rote Linie“ bezeichnet und „enorme Konsequenzen“ angedroht, falls das Assad-Regime sie überschreite. Nun erklärt das Weiße Haus auf Anfrage des Kongresses: „Unsere Geheimdienste kommen mit unterschiedlichem Grad von Sicherheit zu der Einschätzung, dass das syrische Regime Chemiewaffen in geringem Umfang eingesetzt hat, speziell den Wirkstoff Sarin.“
Die Umstände und die vorsichtige Wortwahl lassen erkennen: Obama möchte einen Militäreinsatz in Syrien vermeiden.
Er ist nicht von sich aus aktiv geworden, sondern steht unter dem Druck republikanischer Senatoren wie John McCain, aber auch einiger Demokraten wie Dianne Feinstein, die den Geheimdienstausschuss im Senat leitet. „Es ist klar, dass rote Linien überschritten wurden und die Regierung handeln muss, um den Einsatz (von Chemiewaffen) in größerem Umfang zu verhindern“, sagte Feinstein. Obama hat in seinen Wahlkämpfen versprochen, ein Jahrzehnt der Kriege zu beenden und Amerikas Ressourcen im Inland einzusetzen. Er möchte die USA nicht in einen weiteren Bodenkrieg in einem arabischen Land verwickeln.
So wiegelt das Weiße Haus in seinen Stellungnahmen ab. Die neue Lage sei „kein automatischer Auslöser“ für einen Militäreinsatz, erläutert ein Berater in einer Telefonkonferenz mit Reportern im Weißen Haus. Es sei nicht eindeutig geklärt, unter welchen Umständen das Giftgas eingesetzt worden sei – und von wem. Experten meinen, dass nur das Regime Zugriff auf die beträchtlichen Vorräte hat und damit der Hauptverdächtige ist. Zugleich gehört es zu den großen Sorgen, dass Chemiewaffen in die Hände der Islamisten fallen könnten, die an der Seite der Opposition gegen Assad kämpfen. Generell hat der Widerstand Interesse daran, die USA dazu zu bringen, in den Bürgerkrieg einzugreifen – ähnlich wie in Libyen, wo die Unterstützung westlicher Kampfflugzeuge zu Gaddafis Sturz führte. Obama aber möchte sich nicht durch fingierte Giftgasspuren, die man offiziell dem Regime anlasten kann, in den Krieg ziehen lassen. Israel hatte seit Wochen seine Belege für einen Giftgaseinsatz vorgelegt. Obama ging nicht darauf ein.
Das Weiße Haus betont zudem, man müsse Geheimdiensterkenntnisse mit großer Vorsicht behandeln. Den Irakkrieg hatten die USA unter anderem wegen Berichten über Massenvernichtungswaffen begonnen, die sich als falsch erwiesen. Im Kern lässt sich Obama jedoch nicht von ernsthaften Zweifeln leiten, ob Assad Chemiewaffen eingesetzt hat. Sondern er möchte einen Automatismus vermeiden, der die USA zum Kriegseintritt zwingt, und sich Optionen offenhalten. Syrienexperten in den USA glauben, dass Assad ganz gezielt kleine Mengen von Giftgas einsetzt, um Obamas Entschlossenheit zu testen. Je nachdem könne er entscheiden, wie brutal er bei der Niederschlagung des Aufstands vorgehen könne, ohne US-Militäraktionen zu riskieren.
Obama steht eine große Bandbreite von Reaktionen unterhalb des militärischen Eingreifens zur Verfügung: Bisher haben die USA die Opposition mit Geld und „nicht tödlichem“ technischen Gerät wie Mobiltelefonen und Computern unterstützt. Diese Hilfe soll nun wachsen. Außerdem verstärken die USA ihre Präsenz in Syriens Nachbarländern. Jordaniens König Abdullah besuchte Obama am Freitag im Weißen Haus. Die USA schicken ihm weitere Militärberater und helfen im Umgang mit der Welle von Flüchtlingen aus Syrien in Jordanien. Innenpolitisch muss Obama darauf achten, nicht zu weich zu erscheinen. Seine Forderung, Assad müsse, wie versprochen, eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen ins Land lassen, und man solle deren Ergebnisse abwarten, bewerten führende Republikaner als Schwäche. Die USA dürften die Grundlagen ihrer Sicherheitspolitik nicht an die UN „outsourcen“, kritisiert ihr Anführer im Kongress, John Boehner.
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