- „Wir wollen eine saubere Politik für Italien“
Auch einen Monat nach den italienischen Parlamentswahlen macht Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung den etablierten Parteien das Leben schwer. In vielen europäischen Städten haben sich mittlerweile Unterstützer zusammengeschlossen. Cicero Online sprach mit dem Initiator der Berliner „Freunde von Beppe Grillo“, Marcello Pilato
Es ist ein eisiger Sonntagmittag in Berlin-Kreuzberg. In einem italienischen Café sitzen etwa 15 Italiener an einem Tisch und diskutieren lautstark. Neben zahlreichen Espresso- und Cappuccino-Tassen liegen einige gelbe Flugblätter. „20 Punkte, um aus der Dunkelheit zu kommen“, steht dort auf Italienisch geschrieben. Daneben das Symbol der Movimento 5 Stelle (M5S), der Fünf-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppe Grillo, die vor einem Monat bei den Parlamentswahlen überraschend etwa 25 Prozent der Stimmen erhielt.
An diesem Sonntagmittag treffen sich die „Freunde von Beppe Grillo“ zu einem Meetup, einer organisatorischen Sitzung. In Italien gibt es bereits etwa 1000 dieser Versammlungen, die nicht wie ein Kreisverband einer traditionellen Partei zu verstehen sind. In den Meetups werden Ideen gesammelt und Aktionen geplant, sie sind jedoch keine offiziellen Parteiorgane. Die Berliner „Freunde von Beppe Grillo“ gibt es erst seit Dezember vergangenen Jahres. Mittlerweile sind sie etwa 50. Cicero Online sprach mit Initiator Marcello Pilato.
Herr Pilato, am Samstag wurden die Präsidenten des Abgeordnetenhauses und des Senats gewählt. Vor allem die Wahl des Kandidaten der Demokratischen Partei (PD) im Senat, Pietro Grasso, hat für großen Wirbel gesorgt, weil er einige Stimmen aus dem M5S-Lager erhalten hat. Wie bewerten Sie die Situation?
Die Senatoren der Bewegung haben sich in einer sehr schwierigen Situation befunden. Sie standen vor der Wahl: Entweder, sie enthalten sich der Stichwahl und müssen eventuell eine Wiederwahl von Schifani (von Berlusconis Volk der Freiheit (PdL), Anm. d. Red.) miterleben oder sie entscheiden sich für das kleinere Übel und wählen Grasso. Mit der Strategie, in den vorherigen Wahlgängen immer einen eigenen Kandidaten zu präsentieren, hat die M5S zumindest erreicht, dass die PD einen Kandidaten zur Wahl gestellt hat, der nicht in ihren Parteiapparat eingebunden ist. Grasso als ehemaliger Antimafia-Staatsanwalt unterscheidet sich enorm von der anfangs vorgeschlagenen Anna Finocchiaro.
Warum dann die große Aufregung in der Bewegung und der Aufruf Beppe Grillos an die M5S-Senatoren, die für Grasso gestimmt haben, zurückzutreten?
Ihm geht es dabei um die Kohärenz, die einer unserer Grundsätze ist. Die Mitglieder haben sich dazu verpflichtet, keine Allianzen mit anderen Parteien einzugehen und auch deren Kandidaten nicht zu unterstützen. Es handelt sich bei dem Stimmverhalten der Senatoren wohl um eine Gewissensentscheidung, die nicht als Annäherung an die PD zu verstehen ist. Daher ist die Aussage von Beppe Grillo auch in der Bewegung umstritten.
Glauben Sie, dass es der PD noch gelingen wird, eine Regierung zu bilden?
Es wäre keine große Überraschung, wenn es eine Große Koalition geben würde. Es ist klar, dass die PD lieber eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung will, unsere Ablehnung ist jedoch deutlich. Wir werden keine Bündnisse eingehen, sondern von Gesetzesvorlage zu Gesetzesvorlage abwägen, ob diese mit unseren Zielen übereinstimmen. Wenn die PD also regieren will, bleibt ihr als Partner nur Berlusconis PdL. Allein die Präsenz des M5S im Parlament zwingt die Parteien schon, Änderungen einzubringen, wie man am Samstag gesehen hat.
Als letzte Möglichkeit gelten Neuwahlen. Wie sollen dort klare Mehrheiten zustande kommen, wenn die M5S weiterhin keine Koalitionen eingehen will?
In den Umfragen vor der Wahl standen wir noch bei etwa 15 Prozent und haben 25 Prozent geholt. Jetzt, nur einen Monat danach, sehen uns die Umfragen schon fast bei 30 Prozent. Mit diesem Wert könnte man schon die relative Mehrheit erreichen. Damit würden sich die Rollen umkehren. Die M5S hätte dann die Aufgabe der Regierungsbildung und die anderen Parteien müssten uns bei der Umsetzung der wichtigen Reformen unterstützen.
Schon jetzt finden sich einige Gemeinsamkeiten bei M5S und PD.
Das stimmt. Um sich uns anzunähern, hat die PD einen Acht-Punkte-Plan aufgestellt. Diese acht Punkte gehen jedoch nicht weit genug, um die Probleme des Landes zu lösen und die M5S zu überzeugen. Was die Parteien versprechen und dann am Ende auch umsetzen, sind ohnehin zwei verschiedene Paar Schuhe.
Die M5S fordert ein Referendum über die Beibehaltung des Euro. Ist wirklich der Euro Schuld an den Problemen Italiens?
Es geht dabei in erster Linie darum, die Italiener an den wichtigen Entscheidungen teilhaben zu lassen. Ich persönlich sehe es als eine Form der Provokation und Drohung. Die Möglichkeit eines Volksentscheids könnte die Position Italiens bei Verhandlungen stärken und zeigen, dass das italienische Volk nicht alles tatenlos hinnimmt. Es kann nicht sein, dass Italien jährlich etwa 100 Milliarden Euro Zinsen auf die Schulden zahlen muss.
In den deutsche Medien wird der Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung vor allem auf die große Wut der Bürger zurückgeführt. Kann eine Bewegung dauerhaft auf dieser Basis existieren?
Die Wut ist sicherlich ein wichtiger Aspekt in Beppe Grillos Wahlkampf gewesen. Die Personen, die sich in der Bewegung engagieren, tun dies aber nicht nur aus Wut und Protest, sondern weil sie die Hoffnung haben, etwas verändern zu können. Die M5S ist nicht vergleichbar mit den Extremisten in Griechenland, die nicht ihre Stimme benutzen, sondern andere Mittel.
Beppe Grillo ist offiziell nur das Sprachrohr der M5S. Wie ist die Fünf-Sterne-Bewegung überhaupt organisiert?
Die Bewegung besteht zum Einen aus den Mitgliedern, die sich auf der offiziellen Internetseite angemeldet haben. Aber natürlich sind nicht alle achteinhalb Millionen Wähler der Bewegung dort registriert. Viele sind jedoch Teil eines Meetups. Diese Meetups sind nichts anderes als der physische Teil der Bewegung, die ansonsten sehr stark im Forum der Homepage stattfindet. Die Bewegung hat nicht die klassischen Parteistrukturen mit einem Vorsitzenden, einem Vorstand und diversen Kreisverbänden.
Wie kam es zum Meetup in Berlin?
Berlin ist in einer strategisch wichtigen Position in Europa und in fast allen großen Städten gab es bereits ein Meetup. Deshalb war es mir ein Anliegen, eine Präsenz der Bewegung für die zahlreichen Italiener in Berlin zu schaffen.
Was verbindet die Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung?
Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, sieht man, dass die Bewegung sowohl aus dem linken als auch aus dem konservativen Lager Stimmen gewonnen hat. Zudem hat die M5S viele Proteststimmen erhalten. Es gibt also keine gemeinsame Ideologie, aber viele gemeinsame Ideen, die wir umsetzen wollen.
Welche sind diese gemeinsamen Ideen?
In erster Linie wollen wir eine saubere Politik. Die Bürger sollen sich die Kontrolle über die Institutionen zurückholen. Daher fordern wir die Begrenzung der Parlamentszugehörigkeit auf zwei Legislaturperioden, die Reduzierung der Politikergehälter und dass sich vorbestrafte Bürger nicht zur Wahl stellen dürfen. Wenn es keine Berufspolitiker mehr im Parlament gibt, sondern nur noch Mitglieder der Zivilgesellschaft, die sich den Institutionen für eine begrenzte Zeit verschreiben, wird die Fünf-Sterne-Bewegung nicht mehr gebraucht.
Was heißt das für die traditionellen Parteien?
An einen Wandel der Parteien glaube ich erst, wenn dort nicht mehr die gleichen Gesichter wie seit dreißig Jahren zu sehen sind.
Herr Pilato, vielen Dank für das Gespräch.
Interview und Übersetzung: Julian Graeber
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