- Ein Militäreinsatz birgt große Gefahr
Die französische Intervention in Mali, die die Bundesregierung unterstützen will, wird mit der Angst begründet, Mali könne zum Rückzugsraum radikaler Islamisten werden. Befürworter beschwören die Angst vor einem "zweiten Somalia" herauf. Dabei droht gerade wegen des ausländischen Militäreinsatzes eine 'Somalisierung' Malis
Niemand hat mit ihnen gerechnet. Doch auf einmal, nach fünfzehn Jahren Regierungslosigkeit, übernehmen im Juni 2006 die 'Islamischen Gerichtshöfe' die Macht in Mogadischu - und von dort in ganz Somalia. Fußballspiele, Videos und Musik werden verboten, Dieben öffentlich die Hände abgehackt, angebliche Ehebrecherinnen gesteinigt. Die Anarchie Somalias - Markenzeichen: mit Kalaschnikows wedelnde Jugendliche auf kanonenbestückten Pickups - weicht in Rekordzeit einer Islamistenherrschaft. Wer genau die neuen Herrscher sind, weiß niemand, doch schnell ist von Dschihadisten die Rede. Im Pentagon herrscht Alarmstimmung.
Das sind sie, die 'somalischen Verhältnisse', die derzeit für Mali heraufbeschworen werden. Tatsächlich gibt es viele Parallelen: Die malischen Islamisten haben ebenso überraschend und effektiv zugeschlagen wie ihre somalischen Pendants vor sieben Jahren. Die Berichte über die von ihnen verübten Menschenrechtsverletzungen gleichen sich. Auch die Ausgangslage ist ähnlich. Im Norden Malis übt der Staat (anders als im Süden) schon seit Jahren kaum noch Kontrolle aus. Ebenso wie in Somalia ist die staatliche Ordnungskraft, das Militär, schwach - so schwach, dass es im vergangenen März gegen die Regierung in der Hauptstadt Bamako putschte, um mehr Ressourcen zu bekommen. Die Bevölkerung beider Länder ist arm und hungert und damit leichte Beute für jene, die eine bessere Zukunft versprechen.
Haben also jene Recht, die wie der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz die französische Militärmission in Mali mit den Worten begründen: „Mali darf kein zweites Somalia werden“? Die Antwort lautet: Nein. Der Nacht- und Nebeleinsatz der Franzosen droht, die 'Somalisierung' Malis erst richtig voranzutreiben.
Was jetzt in Mali geschieht, geschah so ähnlich an Weihnachten 2006. Ebenso überhastet wie heute in Mali marschierte eine 'Anti-Terror-Koalition' aus äthiopischer Armee mit informeller Unterstützung von US-Spezialeinheiten in Somalia ein. Innerhalb weniger Tage war die Union islamischer Gerichtshöfe vertrieben. Doch der somalischen Übergangsregierung, der vierzehnten seit der Flucht von Somalias Diktator Siad Barre 1991, fehlten die Macht und auch die Sympathie in der Bevölkerung, um die Kontrolle in den von den Islamisten befreiten Gebieten zu übernehmen.
Gleichzeitig gewannen innerhalb der islamischen Gerichtshöfe, in der Mehrzahl volksnahe und moderate Einheiten, die Radikalsten die Oberhand. Sie konnten sich über regen Zulauf freuen, weil eine Armee der 'Ungläubigen' das Land besetzt hielt. Die Besatzung schweißte zudem zuvor verfeindete Islamistengruppen zusammen und mobilisierte das Terrornetzwerk Al-Kaida, das die Chance sah, in Somalia einen Kampfplatz des internationalen Islamismus zu inszenieren. Der Gegenschlag der radikal-islamischen Shabaab ein Jahr später ist brutal. Vier Jahre lang herrschen die Islamisten mit einer Härte, die Somalia zuvor nicht kannte.
Nächste Seite: Es drohen somalische Verhältnisse
Der gleiche Fehler droht sich nun in Mali zu wiederholen. Damals wie heute wurde ein Militäreinsatz begonnen, bevor überhaupt klar war, gegen wen man da eigentlich kämpfte. Die Somalis, die 2006 in Washington am lautesten gegen die Union islamischer Gerichtshöfe agitierten, waren dieselben Warlords, die das Land zuvor anderthalb Jahrzehnte lang terrorisiert hatten. Sie verteufelten unter anderem den moderaten Anführer, Sharif Sheikh Achmed, der später von der internationalen Gemeinschaft als rettender Engel zum Präsidenten ernannt wurde.
Sein wahres Vergehen aus Sicht der Warlords: Er hatte ihre Geschäfte gestört. Denn Sheikh Achmed löste die Straßensperren auf, an denen die Milizen der Warlords Somalis täglich Schutzgeld abpressten. Er sorgte für öffentliche Sicherheit in einem Land, wo bis dahin jeder Spaziergang im Kreuzfeuer kämpfender Milizen tödlich enden konnte. Viele Somalis, die in der Mehrzahl einen toleranten Islam praktizieren, waren nur deshalb von der Union Islamischer Gerichtshöfe begeistert. Von 'Goldenen Zeiten' war die Rede - bis die Äthiopier einmarschierten, um die Rechte der Warlords in der Übergangsregierung durchzusetzen.
In Mali zeigen sich bereits ähnliche Entwicklungen. Die Gruppe Ansar Eddine, vor kurzem noch zu Verhandlungen bereit, steht jetzt fest an der Seite der Salafisten von Al-Kaida im islamischen Maghreb und der Mujao-Bewegung. Mit ihnen kämpfen Jugendliche, die von den neuen Herrschern gut bezahlt werden und nicht zurück wollen zum Status quo ante, wo sie arm waren und die Regierung in Bamako ihre Not ignorierte. Vielen im Norden Malis gelten die Islamisten, bei allen verübten Gräueln, als letzte Kraft, die sich für die dortigen Bewohner einsetzt.
Die französische Armee kämpft unterdessen für eine Regierung, die durch einen Putsch an die Macht gekommen ist. Gerade erst haben die Militärs wieder ihre Macht bewiesen, als sie nach wenigen Monaten im Amt Premier Sheikh Modibo Diarra durch einen liebsameren Kandidaten ersetzt haben. Das Militär ist gespalten, innerhalb der Streitkräfte tobt ein Machtkampf. Selbst wenn französische Soldaten die Islamisten zurückdrängen, stellt sich die Frage: Wer soll an ihrer Stelle die Macht übernehmen?
Nicht umsonst sah der ursprüngliche Plan vor, die malische Armee vor einer Offensive erst einmal auszubilden - im Kampf, aber auch in grundlegenden Menschenrechtsfragen. So gelang es 2012 letztlich in Somalia, die Islamisten zumindest vorläufig zu vertreiben. Eine EU-Trainingsmission mit Unterstützung der Bundeswehr hatte dafür seit 2010 den Kern der somalischen Armee ausgebildet. Dabei gab es Rückschläge - Vorwürfe von Kindersoldaten, zuvor ein unrühmlicher deutscher Alleingang bei der Polizistenausbildung - doch heute profitiert Somalia davon. Eine solche Mission war für Mali geplant, an ihr wollte die Bundeswehr sich beteiligen.
Die französische Intervention hat diese Pläne zunichte gemacht. Und so drohen jetzt tatsächlich somalische Verhältnisse - denn wie im Norden Malis Stabilität geschaffen werden soll, das ist derzeit ebenso unklar wie die Rolle, die die Bundeswehr in diesem unübersichtlichen Einsatz spielen soll.
Der langjährige Afrika-Korrespondent Marc Engelhardt (41) hat gerade sein Buch 'Somalia - Piraten, Warlords, Islamisten' (http://marcengelhardt.wordpress.com/2012/12/09/somalia-piraten-warlords-...) veröffentlicht. Zur aktuellen Lage in Afrika bloggt er auf www.unreporter.de
____________________________________________________________
Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!
____________________________________________________________
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.